Frau mit Freiheitsdrang: Gianna Nanninis umwerfende Energie in München

München – Die Fans haben sich rausgeputzt, stilvoll, wie für eine Vernissage oder ein klassisches Konzert. Diszipliniert nehmen alle Menschen Platz, auch in den Reihen der komplett durchbestuhlten Arena. Äh, wir sind hier aber schon beim Konzert der größten italienischen Rocksängerin aller Zeiten, oder? Die Stimmung ist respektvoll und feierlich.

Da mittlerweile im Gastrobereich der Olympiahalle kein Bargeld mehr angenommen oder ausgegeben wird, verhandeln einige Besucher mit Kreditkartenbesitzern, damit sie etwas kaufen können. So wandern die Scheine eben erst zu freundlichen Fans, die denjenigen, die eben „nur“ Cash dabeihaben, dann über Bande die gewünschten Getränke kaufen.

Auf der Bühne entsteht pünktlich um 20 Uhr ein zündendes Intro, das Podium wird in sattes Rot getaucht, und schon geht es mit Vollkaracho los, Gianna Nannini joggt energiegeladen in rotweißer Lederjacke, fingerlosen Stulpenhandschuhen und Lederhose auf die Bühne und macht schon in der ersten Sekunde ihres Auftritts klar: Sie wird alles geben, ihre Energie ist geradezu umwerfend. Eine ansehnliche Schar von Leuten springt auf und sprintet vor zum Absperrgitter, Jubel bricht aus. Gianna lacht herzerfrischend und ruft: „Das ist unsere Show!“

Gianna Nannini in München: Eine Frau mit Freiheitsdrang 

Jeder Song ist eine Punktlandung, gleich die zweite Nummer ist ihr früher Hit „Primadonna“ von 1983, ein Lied, in dem sie über den Zwiespalt als Frau, die eigenständig leben möchte, sich allen Herausforderungen des Lebens stellt, aber dennoch unter der harten Schale eine tiefe Verletzlichkeit spürt, sich vor der Einsamkeit fürchtet, jedoch durch ihren Freiheitsdrang allen ihr auferlegten Normen trotzt.

Sie nahm noch nie ein Blatt vor den Mund, weder beim Sprechen, noch beim Schreiben, erst recht nicht beim Singen. Sie ist nach eigenen Aussagen pansexuell, posierte hochschwanger mit kugelrundem Bauch auf dem Titel von „Vanity Fair“ zur Aufschrift: „Gott ist eine Frau“. Ihre Tochter nannte sie nach Penelope, der Gattin von Odysseus, die 20 Jahre auf ihren Gatten wartete, weil der in Troja kämpfte. Sie schrieb während ihrer Schwangerschaft einen öffentlichen Brief an ihre Tochter, worin es heißt: „Ich werde Dich Penelope nennen, weil Du lange auf mich gewartet hast, bevor Du geboren werden konntest. Du hast gewartet, bis ich bereit war.“

Gianna Nannini in der Olympiahalle.
Gianna Nannini in der Olympiahalle.
© Jens Niering
Gianna Nannini in der Olympiahalle.

von Jens Niering

„}“>

Gianna Nannini: „In Italien ist das Verhältnis zu mir überhaupt ziemlich extrem“

Lange lebte sie mit Frau und Kind in London, bis es sie irgendwann zurück nach Italien zog, nun wohnt die Familie wieder in Mailand. In der Emma sagte sie 1983: „In Italien ist das Verhältnis zu mir überhaupt ziemlich extrem. Entweder man mag mich sehr, oder man mag mich überhaupt nicht. Man mag mich nicht, weil ich keine richtige Frau bin.“

Und weiter: „Eine richtige Frau gehört ins Haus, ist unkompliziert und bescheiden. Ich bin das ganze Gegenteil: Ich bin eine Frau, die Erfüllung in ihrer Arbeit findet, die unabhängig ist, allein und – auch noch Erfolg hat. Und das alles ohne Mann, sogar ohne Manager. Vor solchen Frauen – und davon gibt’s bei uns immer mehr – haben viele Angst in Italien. Wirklich Angst. Ich spüre es manchmal im Publikum: Wie einer da sitzt und mich starr vor Entsetzen anguckt.“

Gianna Nanninis Stimme erinnert an Janis Joplin 

Ihre heisere, kraftvolle Stimme erinnert schon seit jeher etwas an Janis Joplin, die sie in ihren Anfängen 1976 als ihr Vorbild nannte. Aber nicht nur diese besondere und direkt ins Mark gehende, leicht schleifende Stimme ist ihr Aushängeschild, sondern ihre grundsätzlich präsente kämpferische Eigenschaft, vereint mit musikalischer Vielfalt voller Feminismus, Lebensfreude, Provokation und Poesie. Etwa „America“, in dem sie über die Freuden der Selbstbefriedigung singt und die Fackel der amerikanischen Freiheitsstatue gegen einen Vibrator auswechselte. Damals war sie 25, heute ist sie 70, aber keinen Deut leiser oder ruhiger.

Ihre leuchtenden Augen blitzen durch den Saal, sie scheint jede Person persönlich anstrahlen zu wollen, das Publikum ist wie gebannt, fast hypnotisiert. Auf einmal ist alle Zurückhaltung fort, der gesamte Saal erhebt sich und singt klatschend und jubelnd mit, was ganz in Giannas Sinne ist, sagte sie doch einst: „Ich mag es, wenn das Publikum laut ist, wenn die Leute aus sich rausgehen und genauso schwitzen, wie wir auf der Bühne“.

Alle Hits von „America“ bis „Bello e impossibile“

So kramt sie tief in der Kiste ihrer musikalischen Bandbreite, spielt harte Rocksongs mit viel Bass und hämmerndem Druck, zarte Balladen und zwischendurch etwas italienische Folklore. Auch das hat Konzept, stammt sie doch aus einer traditionsreichen toskanischen Familie, die in Siena diverse Konditoreien betreiben und davon ausgehen, das Gianna und ihr Bruder Alessandro den elterlichen Betrieb übernehmen werden. Doch die Kinder sind Rebellen und gehorchen nicht. Der Bruder wird Formel 1-Fahrer, die Tochter studiert Komposition und Literatur am Konservatorium in Milano, finanziert sich ihr Leben durch Kneipenkonzerte, mit Anfang 20 erscheint ihr erstes Album.

Gianna Nannini in der Olympiahalle.
Gianna Nannini in der Olympiahalle.
© Jens Niering
Gianna Nannini in der Olympiahalle.

von Jens Niering

„}“>

Gianna Nannini in München: Publikum mit losgelöstem Enthusiasmus 

Neugierig bereist sie die Welt, entdeckt neue Ausdrucksformen, mal wird der Sound sphärischer, mal gnadenloser, mal sind die Gitarrenriffs elegant, später wieder schmutzig und wild. Ihre Karriere bleibt lebhaft, sie erhält mehrmals Platin, erklimmt für Greenpeace den Balkon der französischen Botschaft in Rom, um gegen Atomexperimente zu demonstrieren, schreibt den Soundtrack zu einem Bertolucci-Film und spendiert der WM 1990 gemeinsam mit Edoardo Bennato die Hymne „Un’Estate Italiana“.

Die anfänglich so zögerliche Höflichkeit des Publikums ist im zweiten Drittel des Konzertes losgelöstem Enthusiasmus gewichen, bei „Bello e impossibile“ wird lautstark und textsicher mitgesungen, die Band wird vorgestellt, hierbei stellt sich heraus, dass es sich bei dem Schlagzeuger, der ein bisserl ausschaut wie Mikis Theodorakis, um keinen geringeren als Toto-Urgestein Simon Phillips handelt.

Frenetischer Applaus, gefolgt von den ersten Beats zu ihrem größten Hit „Latin Lover“, den sie auf denselben Brettern bereits bei ihrer erfolgreichen „Odyssee“-Tour gemeinsam mit Udo Lindenberg performte. Heute wie damals zaubert Gianna Nannini Glut und Magie in die Menschen, die mit glücklichen Gesichtern in die kühle Münchner Nacht entschweben.

 

!function(f,b,e,v,n,t,s)
{if(f.fbq)return;n=f.fbq=function(){n.callMethod?
n.callMethod.apply(n,arguments):n.queue.push(arguments)};
if(!f._fbq)f._fbq=n;n.push=n;n.loaded=!0;n.version=’2.0′;
n.queue=[];t=b.createElement(e);t.async=!0;
t.src=v;s=b.getElementsByTagName(e)[0];
s.parentNode.insertBefore(t,s)}(window,document,’script‘,
‚https://connect.facebook.net/en_US/fbevents.js‘);
fbq(‚init‘, ‚2523508247947799‘);
fbq(‚track‘, ‚PageView‘);