Französische Atomwaffen können kein Ersatz für die Schutzmacht USA sein

Emmanuel Macron erlebt einen beachtlichen Ansehensgewinn. Der französische Präsident trägt vermittelnd zu einer europäischen Antwort auf Donald Trump bei. Am Dienstag organisierte er in Paris die Beratungen von Generalstabschefs aus 34 Ländern über mögliche Sicherheitsgarantien. An diesem Mittwoch treffen sich dort auf seine In­itiative die Verteidigungsminister Deutschlands, Polens, Italiens und Groß­britanniens zu Beratungen über die Ukraine.

In der Rolle des ehrlichen Maklers, der in Washington herzlich, aber entschlossen vorspricht, gefällt Macron seinen Landsleuten. Seine Popularitätswerte sind nach oben geschnellt. Die Fehlentscheidung über die Par­lamentsauflösung im vergangenen Sommer wie die strukturelle Schwäche seiner Minderheitsregierung sind nicht vergessen, aber sie treten angesichts der geopolitischen Herausforderungen in den Hintergrund.

Sollten Rüstungskäufe diversifiziert werden?

Der Präsident muss sich nicht neu erfinden, sondern ist zu seinem politischen Markenkern zurückgekehrt. Schon in seiner Sorbonne-Rede vor fast acht Jahren hat Macron versucht, Frankreich und die EU auf den „fortschreitenden und unausweichlichen Rückzug“ der Vereinigten Staaten als europäische Schutzmacht vorzubereiten. Die Beharrungskräfte waren stärker als seine visionären Worte.

Jetzt aber hat die Stunde seiner Ideen geschlagen. Das gilt etwa für die Frage, ob Rüstungskäufe diversifiziert werden sollten. Deutschland kauft laut der jüngsten Studie des Stockholmer Instituts SIPRI 70 Prozent seiner Waffen in den USA, Frankreich nur 17 Prozent.

Die Attribute der unabhängigen Atommacht Frankreich zählen wieder etwas. Die scheidende Bundesregierung hatte die Zeichen der Zeit so wenig erkannt, dass sie zum Ärger der Franzosen 2022 der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags mit Beobachterstatus beitrat. In Paris ist man erleichtert, dass Wahlsieger Friedrich Merz (CDU) zu einem strategischen Dialog über nukleare Abschreckung bereit ist. Das Angebot dazu unterbreitete Macron im Februar 2020.

Ganz geschwunden sind die Bedenken offensichtlich nicht. Über den Besuch der NATO-Botschafter vergangene Woche auf dem südfranzösischen Luftwaffenstützpunkt in Istres, wo Rafale-Kampfflugzeuge der „Force de Frappe“ beheimatet sind, wurde in Berlin nicht kommuniziert. Das deutsch-französische Kampfflugzeugsystem FCAS soll perspektivisch 2040 die nuklear bestückbaren Rafale ablösen. Hier erschließen sich neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

Schutzversprechen im Aachener Vertrag

Seit der Unterzeichnung des Aachener Vertrags 2019, der bereits ein Schutzversprechen beinhaltet, wurde viel Zeit verloren. Das sollte kein Grund sein, die französischen Möglichkeiten jetzt zu überschätzen. Macrons Ziel ist es nicht, dass die Deutschen sich vom amerikanischen unter den französischen Schutzschirm flüchten. Er strebt ergänzende europäische Verteidigungskapazitäten an, keinen Bruch mit den USA.

Auf dem Weg in die von Macron proklamierte „neue Ära“ ist Frankreich ein erfahrener Partner mit ausgeprägter strategischer Kultur, aber leeren Kassen. Es kostet Paris schon viel Kraft, Macrons stringent verfolgtes Ziel einer Verdoppelung des ordentlichen Verteidigungshaushalts binnen eines Jahrzehnts einzuhalten.

Für eine der Bedrohungslage entsprechende weitergehende Aufrüstung seiner Streitkräfte fehlt dem hoch verschuldeten Land der finanzielle Spielraum. Ein Ersatz für die sicherheitspolitische Schutzmacht Amerika will und kann Frankreich nicht sein. Das französische Atomwaffenarsenal ist mit 290 nuklearen Sprengköpfen wesentlich kleiner als das der USA mit 3700. Eine Teilhabe nach amerikanischem Muster steht nicht zur Debatte. Es geht um eine gemeinsame strategische Kultur zu Atom- und konventionellen Waffen.

Zum gesellschaftlichen Einverständnis zur nuklearen Abschreckung in unserem Nachbarland gehört die Akzeptanz der zivilen Nutzung der Atomkraft. Macron wird im strategischen Dialog mit Berlin behutsam agieren müssen, will er den parteiübergreifenden Konsens nicht beschädigen, der für die Glaubwürdigkeit der Abschreckung so fundamental ist. Marine Le Pen hat schon Widerstand bekundet, das Schutzversprechen explizit auf Deutschland und andere EU-Partner auszudehnen.

In Deutschland wird gern vergessen, wie sehr die französische Wahlentscheidung von der Frage beeinflusst wird, wem man die Atomcodes anvertraut. Das ist einer der Gründe, warum die Aussichten Le Pens auf das höchste Staatsamt regelmäßig überschätzt wurden. Der sozialis­tischen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal wurde es 2007 zum Verhängnis, dass sie die Zahl der Atom-U-Boote nicht benennen konnte. Die ungeklärte Nachfolge Macrons im Mai 2027 sollte in Berlin nicht als Vorwand für weiteres Abwarten dienen.