Franziska Liebhardts Weg zu Paralympics-Erfolgen

Franziska Liebhardt merkte schnell, dass etwas an ihr plötzlich anders war. Die Haut an ihren Beinen, Armen und im Gesicht verhärtete sich, sie ging zu verschiedenen Ärzten und erhielt unterschiedliche Diagnosen, aber alle Behandlungen blieben erfolglos.

Erst nach langen Irrwegen wurde klar, dass sie nicht unter einer Hauterkrankung litt, sondern an einer sogenannten Kollagenose. Kollagenosen sind systemische Autoimmunerkrankungen, die Rheuma ähnlich sind. Das eigene Immunsystem greift dabei den ganzen Körper an. Haut, innere Organe und Gelenke erkranken gleichzeitig oder nacheinander. Diese Diagnose bekam sie mit 23.

Zwei Jahre später bekam die sportliche junge Frau, die damals in der Regionalliga im Volleyball aufschlug, immer schlechter Luft beim Training. Ihre Lunge hatte durch die Erkrankung bereits starke Schäden erlitten.

Drei Organtransplanationen und zwei Paralympics-Medaillen

Selbst Immunsuppressiva, die die körpereigenen Attacken unterbinden sollten, sowie eine Chemotherapie wie bei einer Krebserkrankung konnten den weiteren Verfall nicht stoppen. Noch maximal zehn Jahre gab man ihr – ohne Transplantation einer neuen Lunge.

„Ich konnte das erst nicht akzeptieren, habe alles ignoriert und innerlich abgeblockt“, sagt sie viele Jahre später in ihrem Büro an der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt. Sie ist mittlerweile 42 Jahre alt, hat drei Organtransplantationen hinter sich und bei den Paralympics in Rio zwei Medaillen gewonnen.

Inzwischen ist Liebhardt die Vorstandsvorsitzende des Vereins Kinderhilfe Organtransplantation – Sportler für Organspende (KiO), für den die F.A.Z. in diesem Jahr ihre Leser zu Spenden aufruft. Die Büros des Vereins sind einfach und funktional ausgestattet. „Wir wollen ja kein Spendengeld verschwenden“, sagt sie fast entschuldigend. Handwerker reparieren gerade das Nötigste, damit die Fenster dicht sind für den Winter. Draußen prasseln Eicheln von den Bäumen.

Ihr Vater spendete eine seiner Nieren

Nach der Diagnose stand damals ein steiniger und langer Weg vor Franziska Liebhardt: Sie litt zunehmend unter schwerer Atemnot, konnte erst keine Treppen steigen, dann gar nicht mehr gehen. Sie brauchte Sauerstoff, kam bald schon auf die Intensivstation und musste beatmet werden. Manche Menschen leben mit Lungenfibrose doch viele Jahre, sagte sie sich auf wie ein Mantra. Aber ihr Zustand verschlechterte sich rapide.

„Ich konnte mich ganz lange nicht dazu entschließen, mich auf die Warteliste für eine Transplantation setzen zu lassen. Doch als ich dann endlich drauf war, bekam ich gleich den Status hochdringlich“, sagt Liebhardt. Innerhalb von sechs Wochen gab es ein geeignetes Spenderorgan, transplantiert wurde im April 2009 in der Medizinischen Hochschule Hannover.

Die Kollagenose hatte ihre Nieren ebenfalls schon angegriffen, die Medikamente, die ein transplantierter Mensch nehmen muss, taten ihr Übriges: Im September 2011 musste Liebhardt an die Dialyse. Im darauffolgenden Februar spendete der Vater seiner Tochter eine seiner Nieren. Damals war er schon 63 Jahre alt.

Jeder kann Spender werden

Für Organspenden, so sagt die KiO-Vorstandsvorsitzende, gebe es aber keine Altersgrenze nach oben. Die älteste Spenderin habe nach ihrem Tod mit 93 Jahren noch anderen Menschen mit ihren Organen geholfen, einige Jahre zu überleben.

Es gebe sogar eine spezielle Liste, über die ältere Menschen Organe von Älteren bekommen können „Old for Old“, nenne sie sich. Da warte man nur ein Jahr auf eine Niere, sonst seien es acht bis zehn Jahre. Spender werden könne jeder – außer Menschen, die an HIV erkrankt sind, erklärt Liebhardt weiter. Sie ist zwangsläufig zur Expertin geworden.





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Zwischen den zwei Transplantationen erlitt sie einen Schlaganfall. Glücklicherweise in der Klinik, sodass sie sofort richtig behandelt werden konnte. Nur eine leichte Spastik der rechten Körperseite blieb zurück.

Als sie endlich das Krankenhaus wieder verlassen konnte, wollte die ehrgeizige Sportlerin unbedingt wieder richtig fit werden und schloss sich zunächst einer Freizeitsportgruppe an. „Keinen Leistungssport! Nichts Verletzungsträchtiges!“, hatten die Ärzte sie gewarnt.

„Man darf einfach nicht aufgeben“

Für Franziska Liebhardt aber bedeutete Sport schon immer Lebensqualität. Und auf die wollte sie auf keinen Fall verzichten, auch nicht als Transplantierte. So probierte sie mit einem Trainer verschiedene Disziplinen der Leichtathletik aus und kam so zum Kugelstoßen und zum Weitsprung.

Aus dem Freizeitsport einmal pro Woche wurde sehr bald ein straffes tägliches Trainingsprogramm. Ihre Leistungen wurden schnell so gut, dass sie bei den Paralympics 2016 in Rio starten durfte – und prompt Gold im Kugelstoßen und Silber im Weitsprung gewann. „Es gibt gar keine Startkategorie für Organtransplantierte bei den Paralympics, doch meine halbseitige Spastik verschaffte mir den Startplatz“, sagt sie.

„Der Kampf ums eigene Leben und der Kampf im Sport sind sich sehr ähnlich. Man darf einfach nicht aufgeben, auch wenn es häufiger Rückschläge gibt.“ Dass sie dem Bundespräsidenten Joachim Gauck und der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel später die Hand schütteln durfte, werde sie nie vergessen. Auch nicht die Begegnungen mit den anderen Sportlern. Ihre Medaillen hat sie nicht mit in ihr Büro gebracht, Liebhardt macht ungern viel Aufhebens um sich.

„Das Gefühl nach der Transplantation war ein Wunder“

„Es gehört immer Arbeit dazu, im Sport wie in der Krankheit. Ich muss viel investieren, damit es mir besser geht. Ohne Arbeit kein Erfolg.“ Das sei ihr Credo, das sie auch anderen vermittele. Mit dieser Haltung hat sie es auch stoisch akzeptiert, dass die erste Spenderlunge nach elf Jahren aufgab. „Chronisches Transplantatversagen trotz Immunsuppression“, sagt sie lakonisch. Sie zähle das aber eher als einen ihrer großen Erfolge und als das Glück, das sie habe – denn die meisten transplantierten Lungen überdauern nur fünf bis sieben Jahre.

Expertin geworden: Franziska Liebhardt zeigt an einem Modell die beiden Lungenflügel.
Expertin geworden: Franziska Liebhardt zeigt an einem Modell die beiden Lungenflügel.Frank Röth

Die Symptome einer versagenden Lunge kannte sie ja schon – wieder diese chronische Luftnot, das Treppensteigen fiel schwer, wurde unmöglich. Zu dieser Zeit hielt das Coronavirus Deutschland gerade fest im Griff. Sie blieb komplett isoliert wegen des Ansteckungsrisikos, nur der Sauerstofflieferant und der Pflegedienst durften ihre Wohnung betreten. Im Laufe eines Jahres ging es ihr dann wieder so schlecht, dass eine zweite Lungentransplantation unausweichlich wurde.

„Ich kam danach jedes Mal ganz schnell von der künstlichen Beatmung los, war nach drei Wochen Krankenhaus und drei Wochen Reha ein ganz neuer Mensch“, sagt Liebhardt. Vorher habe sie sich gefühlt, als umschnüre ein sehr festes Gummiband den gesamten Brustkorb, gegen dessen Widerstand sie immer anatmen musste.

„Das Gefühl danach war einfach nur wie ein Wunder – alles ging nun so leicht.“ Bei einer dritten oder vierten Transplantation werde es wohl schwierig, sagt sie. Die Vernarbungen im Brustkorb ließen diesen Eingriff nicht unendlich oft zu. Aber daran denke sie jetzt nicht.

Ihre Sportkarriere hat Franziska Liebhardt beendet. Sie fährt aber noch Handbike, geht wandern und schwimmen. Bei KiO arbeitet sie ehrenamtlich. Geld zum Leben verdient sie auf Vortragsreisen zum Thema Organtransplantation und Resilienz sowie mit Motivationsseminaren für große Unternehmen. Die ausgebildete Physiotherapeutin war einige Jahre für die Vorbereitung auf Olympia freigestellt. Danach war das Interesse an ihrer Geschichte und ihren Erfahrungen so groß, dass sie nun sehr viel unterwegs ist.

Trotzdem bleibt ihr noch Zeit fürs Ehrenamt: Sie sammelt Spenden und plant neue Projekte, um transplantierten Kindern und ihren Familien helfen zu können. „Krankenkassen zahlen eben nicht für alles – und man muss für vieles hart kämpfen.“ Familien müssten etwa sehr weit fahren, brauchten Hotelübernachtungen, um ihre Kinder beim Transplantations- und Genesungsprozess begleiten zu können. Nicht alle haben dafür die nötigen Mittel.

KiO organisiert auch psychologische Unterstützung und veranstaltet regelmäßig Freizeiten für die Kinder. „Wenn die dann zum Schwimmen ihre T-Shirts ausziehen und sich gegenseitig an ihren Narben erkennen, braucht es nicht viele Worte.“

Spenden für das Projekt „F.A.Z.-Leser helfen“

Die Frankfurter Allgemeine Sonntags­zeitung und die Frankfurter Allgemeine/Rhein-Main-Zeitung bitten um Spenden für die Arbeit der Vereine Kinderhilfe Organtransplantation (KiO) und Pro Uganda. Die Frankfurter KiO hilft Familien mit organkranken und transplantierten Kindern und Jugendlichen, wenn andere Unterstützer ausfallen. Pro Uganda aus Usingen baut in dem afrikanischen Land Prothesen für Menschen, die Gliedmaßen verloren haben, und eröffnet so neue Lebenschancen.

Spenden für das Projekt „F.A.Z.-Leser helfen“ bitte auf die Konten:

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