Frankreichs Nationalteam: Am Jahrestag der Anschläge beginnt die Amerika-Mission – Sport

Ein paar Minuten nach Spielende dröhnte ein beschwingtes Chanson von Joe Dassin aus den Boxen im Prinzenpark: In „L’Amérique“ verleiht der 1980 verstorbene Sänger seiner Sehnsucht nach Amerika Ausdruck („Amerika, Amerika – ich will es haben und ich werde es haben“). Ein Bedürfnis, das der französische Fußball-Nationaltrainer Didier Deschamps offenbar teilt, der nach dem 4:0 seiner Mannschaft am Donnerstagabend gegen die Ukraine an die verpasste Qualifikation für die WM 1994 erinnerte: „Als Spieler hatte ich leider keine Gelegenheit, die USA zu sehen.“ Als Coach wird er dieses Vergnügen nachholen, denn Frankreich hat durch den Sieg im Pariser Prinzenpark das Ticket für die WM im nächsten Sommer gelöst. Detail am Rande: Seit dem World Cup USA 1994 waren die Franzosen für jede EM und WM zugangsberechtigt.

Bei aller Freude über das Erreichte war dieser Tag in Frankreich aber kein normaler Tag, das Spiel keines wie andere. Der 13. November stand landesweit im Zeichen des Gedenkens an die Terroranschläge von vor genau zehn Jahren, als islamistische Attentäter in der Hauptstadt und im Vorort St. Denis im Umfeld des Freundschaftsspiels zwischen Frankreich und Deutschland im Stade de France insgesamt 132 Menschen töteten und mehr als 350 verletzten. Deschamps hatte vor der Partie gesagt, dass es „gut gewesen wäre, wenn wir das Spiel am 13. November hätten vermeiden können“. Doch das sei nicht in seiner Hand gelegen. Und mit Blick auf die Partie und die WM-Qualifikation: „Es ist nur ein Fußballspiel. Verglichen mit dem, was geschehen ist, ist es nichts.“

Dass die Partie nicht im Stade de France, sondern im kleineren Heimstadion von Paris Saint-Germain stattfand, hatte nichts mit den Anschlägen zu tun – derzeit läuft ein Streit zwischen dem französischen Verband FFF und dem Betreiber des Nationalstadions, in dem es um mehrjährige Mietverträge und ausufernde Kosten geht. Doch im Prinzenpark herrschte insbesondere vor dem Spiel ebenfalls eine sehr spezielle Atmosphäre, was auch daran lag, dass es gegen die vom Krieg gebeutelte Ukraine ging. Wie schon seit Längerem lauschten deren Spieler ihrer Hymne mit der Nationalflagge über den Schultern, bei der Schweigeminute unmittelbar vor dem Anpfiff wurde nicht nur der Opfer des Terrors von 2015, sondern auch jener des Krieges gedacht. In der Kurve rollten die treuesten französischen Fans ein Banner aus, das an „unsere 132 Sterne des 13. November“ erinnerte. Unter den Ehrengästen waren der damalige Staatspräsident François Hollande und der Ordner Salim Toorabally, der 2015 mit seinem heldenhaften Einsatz einem der Terroristen den Zugang zum Stade de France verwehrt hatte.

Und damit ohne geschmacklose Überleitungen zu den sportlichen Aspekten des Abends: Die Ukraine agierte so, wie das viele andere Gästeteams im Prinzenpark machen, wenn sie gegen PSG spielen: sehr defensiv, am Ende hatten die Statistiker bei den französischen Torschüssen 25 Kerben ins Holz geritzt, denen ein einziger Versuch der Gäste entgegenstand.  Die Tatsache, dass Trainer Serhij Rebrow seinen Kapitän Mykola Matwijenko und Mittelfeldmotor Ruslan Malinowskyj gar nicht erst mit in den Spieltagskader genommen hatte, ließ den Verdacht aufkommen, er setze seine volle Konzentration auf das Endspiel um Gruppenplatz zwei am Sonntag in Warschau gegen Island. Mit einem Sieg in diesem direkten Duell wäre die Ukraine in den WM-Playoffs dabei.

Michael Olise vom FC Bayern beginnt unauffällig, steuert aber ebenfalls ein Tor zum klaren Sieg bei

Rebrovs Mauertaktik ging zumindest eine Halbzeit lang auf, dann trat Taras Mychawko im Strafraum dem FC-Bayern-Stürmer Michael Olise auf den Fuß, und Kapitän Kylian Mbappé brachte Frankreich per Elfmeter in Führung (55.). Der Angreifer von Real Madrid legte später noch ein Tor nach (84.) und rückte mit nunmehr 55 Treffern im Nationaltrikot dem Rekordtorschützen Olivier Giroud bis auf zwei auf die Pelle. Mbappé traf bereits im sechsten Länderspiel in Serie, was vor ihm zuletzt einem gewissen Jean-Pierre Papin vor 35 Jahren gelungen war. Und ganz nebenbei hält er nun bei 400 Karrieretoren, was Mbappé mit einer Frotzelei in Richtung Lionel Messi und Cristiano Ronaldo kommentierte: „Hätte man mir das vor 20 Jahren gesagt, hätte ich gesagt: fantastisch! Aber es gibt ja zwei, von denen einer bei 900 und der andere bei 950 liegt.“ Er müsse also „noch mal 400 Tore schießen, damit die Leute mich etwas mehr wahrnehmen“.

Ein weiterer Faktor für den am Ende ungefährdeten Erfolg der Franzosen war Michael Olise, der zunächst über den rechten Flügel angriff und dabei so wirkte wie zuletzt bei den Bayern: leicht überspielt, ideen- und auch ein bisschen lustlos. Das änderte sich schlagartig, als er nach der Auswechslung des zwar agilen, aber bisweilen etwas übereifrigen Manchester-City-Tricksers Rayan Cherki ins Zentrum rückte. Mit dem zwischenzeitlichen 2:0 (76.) trug sich auch Olise in die Torschützenliste ein.

Qualifiziert: Die Franzosen mit Trainer Didier Deschamps und Kapitän Kylian Mbappé bejubeln ihre Teilnahme an der WM-Endrunde 2026 in den USA, Kanada und Mexiko.
Qualifiziert: Die Franzosen mit Trainer Didier Deschamps und Kapitän Kylian Mbappé bejubeln ihre Teilnahme an der WM-Endrunde 2026 in den USA, Kanada und Mexiko. (Foto: Christophe Ena/AP)

Immer wieder beeindruckend ist das schier unerschöpfliche Reservoir an französischen Weltklassespielern – vor allem in der Offensive. Deschamps konnte am Donnerstag noch mal drei Ausnahmekicker einwechseln: den früheren Frankfurter Hugo Ekitiké, dem sein erstes Länderspieltor (4:0/88.) gelang, Monacos Talent Maghnes Akliouche und in der Schlussphase Christopher Nkunku. Und dabei musste der Coach unter anderem auf den aktuellen Ballon-d’Or-Sieger Ousmane Dembélé (Wadenzerrung) und auf den Golden-Boy-Gewinner, den besten U21-Spieler Europas, Desiré Doué (Muskelverletzung im Oberschenkel), verzichten.

Jetzt hat Deschamps Zeit, sein Personal auf Herz und Nieren zu prüfen. Die nächste Länderspielpause im März nutzen Les Bleus zu einer WM-Erkundungsreise in die USA, treffen dort in Testspielen in Foxborough auf Brasilien und Venezuela. Nach den Titelkämpfen im Sommer 2026 soll das Amerika-Abenteuer im Idealfall auf dem Prachtboulevard in Paris enden. Im offenen Doppeldeckerbus mit dem goldenen Weltpokal an Bord und Tausenden, die friedlich und ohne Zwischenfälle am Straßenrand feiern. Auch dazu gibt es eine passende Hymne von Chansonnier Joe Dassin, seinen größten Hit: „Les Champs-Élysées“.