Frankfurt: Wie Großstädte am Müll verzweifeln

Ist es wirklich erst knapp 30 Jahre her, dass ein Unternehmen in Deutschland dachte: Lasst uns doch Kaffeebars nach amerikanischem Vorbild eröffnen? Denn dort wurden damals schon 90 Prozent der Getränke im Becher in die U-Bahn, den Bus oder den eigenen Wagen mitgenommen. In deutschen Großstädten dagegen nahm seinerzeit nur ein Prozent der Gäste den Kaffee mit nach draußen.

Wie hoch der Anteil derer ist, die heute mit dem Kaffeebecher in der Hand auf Straßen, Plätzen und in Parks in Deutschland unterwegs sind, wissen wir nicht. Doch der Coffee to go im Einwegbecher ist aus deutschen Großstädten nicht mehr wegzudenken. In den Parks gibt es längst mobile Kaffeebars, sogenannte Coffee-Bikes, und neueste Café-Ketten bieten die Verkaufsstellen gleich ohne Sitzplätze und den Kaffee dafür zu sensationellen Preisen an – den Espresso gibt es dann für 1,50 Euro – mit erwartbar langen Schlangen, nicht nur von Vertretern der Hipster-Generation.

Längst ist der Kaffeebecher als ständiger Begleiter auf Plätzen, am Spielplatz, an Bushaltestellen oder auf Parkbänken aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Mit dramatischen Folgen für die Städte, denn die haben ein Müllproblem. Das Bundesumweltministerium gibt an, dass inzwischen stündlich rund 320.000 Einwegbecher für Heißgetränke verbraucht und weggeworfen werden.

Der Kaffeebecher war nur der Anfang

In Frankfurt hatte das gemeinnützige Unternehmen „Lust auf besser leben“ im Jahr 2018 schon die Zahl der Einwegbecher mit rund 25 Millionen im Jahr angegeben und versucht, ein erstes Mehrwegsystem an der mit Cafés gesäumten Berger Straße einzuführen. Schon zu dem Zeitpunkt war in den Großstädten deutlich zu erleben, dass ein fester Begleiter dieses neuen Lebensgefühls der überall achtlos weggeworfene Müll sein würde.

Von der ersten Idee eines deutschen Unternehmens, nach amerikanischem Vorbild den Einwegbecher für Heißgetränke einzuführen, bis zur vollständigen „Starbuckisierung“ der Gesellschaft waren nur wenige Jahre notwendig. Das beste Beispiel ist die Eroberung des Kinderwagens, denn der wird längst mit Getränkehalterung am Griff des Gefährts angeboten. Die ist nicht für die Bedürfnisse des Nachwuchses vorgesehen. Die Eltern sollen auch beim Spaziergang ihren „Latte“ konsumieren und damit das lässige Lebensgefühl genießen können. Ein Leben ohne den obligatorischen Coffee to go ist für viele kaum noch denkbar.

Beim Kaffeebecher ist es nicht geblieben. Wer den Tag mit der Familie oder Freunden im Park verbringt, wer Slacklines oder Hängematten zwischen Bäumen anbringt, der hat bald Hunger, grillt, wo immer es möglich ist, oder ­ordert gleich die fertige Pizza an die Picknickdecke. Am Frankfurter Mainufer wird am Abend ergänzend Wein oder Schampus bestellt, Orientierungspunkt für die Lieferdienste sind seit ­Jahren die durchnummerierten Laternen.

Was nach einer chilligen Lebenskultur klingt, hat jedoch von Anbeginn einen zentralen Fehler gehabt: Das deutsche „Dolce far niente“ führt zu Abfallbergen und damit zu Müll- und Umweltproblemen in bisher nicht bekanntem Ausmaß. Die Frankfurter geben inzwischen die mangelnde Sauberkeit in der Stadt als eines der drängendsten Probleme an.

Dabei sind die Straßenreinigung und das von der Stadt beauftragte Unternehmen, die FES, an zentralen Punkten in der Stadt wie auf der Einkaufsmeile Zeil werktags von sechs bis 22 Uhr im Dauereinsatz, und selbst sonntags ist die erste Kehrmaschine um sieben Uhr unterwegs – mit Rücksicht auf die Anwohner nicht schon eher. Denn Politiker kennen das Phänomen der Broken-Windows-Theorie: Ist erst einmal etwas verdreckt und wirkt ein Ort verwahrlost, wirft jeder seinen Müll noch hinzu.

Die Corona-Pandemie hat diesen Trend, draußen zu leben und dort zu konsumieren, sicher verstärkt. Entscheidend ist, dass Großstädte wie Frankfurt nicht mehr wissen, was sie tun sollen, um die Bürger dazu anzuhalten, mit dem ihnen doch so wichtigen öffentlichen Raum pfleglicher umzugehen.

Anfangs hat Frankfurt versucht, mit Hinweis auf die hohen Reinigungskosten zu schocken, dann die Bürger zu überzeugen, dass Sauberkeit nicht spießig sei. Es wurden immer mehr und größere Müllbehältnisse aufgestellt. Es hat alles nicht geholfen. Auch nicht die Rekordbeteiligungen der Bürger bei sogenannten Cleanup Days. In Frankfurt setzt die Stadt nun auf Strafen, erhöht die Bußgelder zum 1. Oktober drastisch. Doch vermutlich wird auch das an dem Umstand, den Einwegbecher achtlos irgendwo stehen zu lassen, nichts ändern.