Frankfurt gegen Stuttgart: Alter Messi besiegt jungen Messi – Sport

In gesprochener, geschriebener und sogar gesungener Form ist der Stuttgarter Stürmer Nick Woltemade in der vergangenen Woche mehrfach gewürdigt worden. Nachdem ihm beim 3:1 der deutschen U21 gegen Spanien hundert Prozent aller deutschen Tore gelungen waren, gab es in gebündelter Form noch mal sämtliche Nick-Names zu hören und zu lesen, die sich seine Anhänger, die Medien und seine Anhänger bei den Medien zuletzt ausgedacht hatten. Woltemessi, Big Nick, Nickrahimovic, Schwaben-Socrates – ein Kosename schöner und wahrer als der andere, dazu eine kleine, spontane Hommage des Musikers Nasim („Neckar Nick“), die sogar einen freundlichen Gruß an den offenkundig noch skeptischen Bundestrainer Julian Nagelsmann enthielt („Julian, was ist Konstanz? / Das ist Kunst, das ist Tanz“). Sehr glücklich über die grassierende Woltemanie dürfte auch der TV-Sender Sky gewesen sein, der sein abendliches Topspiel Eintracht Frankfurt gegen den VfB Stuttgart nun mit einem Superstar bewerben konnte.

Tatsächlich stand nach Beendigung des Topspiels ein Superstar vor den Mikrofonen und ließ sich für das einzige Tor des Spiels feiern. Schon einmal in seinem Leben, vor ungefähr elf Jahren, hatte dieser Spieler der Welt gezeigt, dass er besser war als Messi, zumindest in dem Moment, in dem er das einzige Tor im WM-Finale in Brasilien schoss. Im Sky-Topspiel am Samstagabend brauchte Mario Götze allerdings keine Aufforderung des Bundestrainers Joachim Löw mehr, er weiß inzwischen selbst, was er zu tun hat, um ein Tor mehr zu schießen als Woltemessi. Götze, 32, ist längst über die Zeiten hinaus, die für Woltemade, 23, womöglich gerade beginnen. Götze ist schon lange kein Super-Mario mehr, für den man Verse schmiedet oder Melodien komponiert. Er ist jetzt ein elder statesman.

Dass Götze bei Frankfurts 1:0 gegen Stuttgart der spielentscheidende Nachschuss vor die Füße fiel (71. Minute), während Woltemade aus Gründen der Belastungssteuerung erst nach 61 Minuten das Spielfeld betrat, passte zu diesem Bundesligaduell, das sich nicht nur als singuläres Ereignis, sondern vor allem in der vergleichenden Lektüre begreifen ließ. Eintracht Frankfurt und der VfB Stuttgart haben im Moment mehr miteinander zu tun, als sich nur an einem Bundesligaspieltag zu begegnen. Beide stehen für das ehrenwerte Bemühen, das Potenzial eines Standorts endlich wieder dauerhaft nutzbar zu machen. Beide versuchen, die Energie eines Traditionsklubs endlich wieder in die richtigen Bahnen zu lenken – und am Ende gab das Aufeinandertreffen an diesem 27. Bundesliga-Spieltag den aktuellen Entwicklungsstand angemessen wieder. Im Spiel war die Eintracht ein Tor voraus, wie auch schon in der Hinrunde beim spektakulären 3:2 in Stuttgart; jenseits des Tagesgeschäfts sind es wohl ein paar Jahre und womöglich ein paar Dutzend Millionen, die die Klubs noch trennen.

Die Rolle, die der VfB vergangene Saison spielte, hat nun Frankfurt übernommen

Zweimal ist der VfB Stuttgart in den vergangenen zehn Jahren in die zweite Liga gestürzt, zweimal hat er seitdem einen erneuten Abstieg nur knapp vermieden, während der letzte Abstieg der Eintracht bereits anderthalb Jahrzehnte zurückliegt. Was nichts anderes bedeutet, als dass die Frankfurter in diesen Jahren finanziell deutlich weniger Einbußen zu verzeichnen hatten als der VfB, zumal sie ihre Spitzenstürmer Randal Kolo Muani und Omar Marmoush für knapp 180 Millionen Euro verkaufen konnten, während der VfB für seinen Spitzenstürmer Serhou Guirassy klauselbedingt etwa ein Zehntel davon erhielt. Allerdings haben die Stuttgarter in der laufenden Champions-League-Saison im Schnelldurchlauf eine Menge aufgeholt, weshalb sie inzwischen ebenfalls einen ambitionierten und nicht sehr billigen Kader unterhalten, mit dem sie schon gerne auf dem Tabellenplatz stünden, auf dem die Eintracht gerade steht.

Unabhängig von den großen Linien hat dieses sehr unterhaltsame Abendspiel gezeigt, wozu diese beiden Klubs mit ihren aktuellen Teams imstande sind – wenn auch nicht mehr zu jeder Spielminute wie der VfB, der einstweilen zu einer Momentemannschaft geworden ist. In manchen Spielphasen ist weiterhin das Team erkennbar, das in der vorigen Saison Zweiter geworden ist. Die Elf hat immer noch Fantasie und kann immer noch ein Spiel dominieren, aber eben auf eine Art wie der Spielmacher Enzo Millot, bei dem sich großartige Passagen mit Phasen unterlassener Hilfeleistung abwechseln. Seine Kreativität ist unverändert; verändert hat sich allerdings der Wille, dem vierten Sprint nach hinten vielleicht noch einen fünften oder sechsten folgen zu lassen.

Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeneß allmählich die Statistiker, so viele unterschiedliche Abwehrformationen er diese Saison schon präsentieren musste. (Foto: Tom Weller/dpa)

Das, was der VfB in der vergangenen Saison war, ist jetzt Eintracht Frankfurt: eine Mannschaft, bei der man nicht mehr genau unterscheiden kann, was noch Eigendynamik ist und was schon wahre Qualität. Anders als der um Stabilität ringende VfB tritt die Eintracht mit der Selbstverständlichkeit einer Elf auf, die ihren Mitteln vertraut – wozu der rasende Angreifer Hugo Ekitiké ebenfalls gehört wie der niemals aus der Ruhe zu bringende Fuß des Spielers, der früher mal Super-Mario war.

Auch aus rein handwerklicher Sicht ließ sich der tagesaktuelle Unterschied zwischen beiden Mannschaften auf einen Blick erkennen: Während die Eintracht ihr Spiel auf der einbruchsicheren Innenverteidigung Arthur Theate/Robin Koch aufbauen kann, überfordert Stuttgarts Trainer Sebastian Hoeneß allmählich die Statistiker. Es spricht einiges dafür, dass er an 27 Spieltagen bereits 28 unterschiedliche Abwehrformationen präsentieren musste; irgendeiner ist da hinten immer kurz gesperrt oder lang verletzt oder wie der 18-jährige Finn Jeltsch erst im Winter dazugekommen. Es ist gewiss kein Zufall, dass VfB-Verteidiger Ameen Al-Dakhil wegen einer Notbremse eine rote Karte empfing, die das Spiel vollends kippen ließ (57.); eine baugleiche Szene gab es kürzlich in Kiel zu sehen, als der Verteidiger Leonidas Stergiou wegen desselben Delikts vom Feld flog. Die Notbremsen weisen auf eine Abwehr, die – unabgestimmt, wie sie ist – häufiger in Not gerät, als sie sollte.

Dennoch sollte sich die Liga darauf einstellen, dass es sich bei Frankfurt und Stuttgart um Brüder im Geiste handelt, die sich aus dem ersten Tabellendrittel grundsätzlich nicht mehr verdrängen lassen wollen. Beide gefallen sich in ihrer Rolle als runderneuerte Kultmarken, die mit schlauen Transfers aussichtsreiche Kader anmischen, die sie dann von Söhnen großer Stürmer (Toppmöller/Hoeneß) trainieren lassen. Auch wenn im direkten Duell dann manchmal nur ein Tor fällt, das der alte und nicht der junge Messi erzielt.