
Wenn Strategie und Inhalt Grundvoraussetzungen für eine gelungene Kampagne sind, gilt in der Niederlage natürlich das Gegenteil. Dann hakte es meist irgendwo an diesen Stellen. Der grüne Reparaturbetrieb hat nach der enttäuschenden Bundestagswahl nun in beiden Feldern Mängel ausgemacht. Diagnose: Großbaustelle. Nun läuft die Aufarbeitung.
Den ersten Punkt zur strategischen Neuausrichtung setzte Parteichef Felix Banaszak in einem Interview mit einem erneuerten Radikalitätsversprechen an grüne Politik („Die Wirklichkeit, in der wir leben, ist radikal“). Sowie in einem Gastbeitrag mit seiner Co-Vorsitzenden Franziska Brantner (Ehrlichkeit und Empathie als Doppelleitstern für die Grünen).
Auf der zweitägigen Klausur des Parteivorstands, die am Montagvormittag in Berlin begonnen hat, macht sich die Führung der Bundestagsfraktion nun ihrerseits auf Suche nach Antworten. Eine atmosphärisch-strategische Analyse hat man zunächst erarbeitet, Tenor ähnlich wie bei Banaszak: Die Partei will endlich raus aus der Defensive. In der Vergangenheit habe es zu oft an Selbstbewusstsein gefehlt.
Der zweite Tag der Klausur soll Antworten geben auf die Frage, was denn nun radikal und empathisch und ehrlich und bitte mit dem nötigen Offensivspiel vorgetragen werden soll. Die Beschlussvorlage der Fraktionsspitze, die am Mittag verabschiedet werden soll, liegt der ZEIT exklusiv vorab vor.
Unter dem Titel „Investitionen in Klimaschutz und ein Land, das einfach funktioniert statt kaputter Städte und Gemeinden“ versammelt sich im Kern ein neues grünes Milliardenversprechen. Mehr Geld für nahezu jedes öffentliche Interesse.
Die Grünen kritisieren nun, dass die Koalition das Geld aus dem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen falsch ausgebe. Dabei hatten doch die Grünen mit ihren Stimmen die nötige Grundgesetzänderung für die neuen Schulden erst möglich gemacht. „Doch die Bundesregierung nutzt diese Chance nicht – im Gegenteil: Sie reißt riesige Löcher in die Haushalte von Ländern und Kommunen, nur um sie anschließend mit Schulden aus dem Sondervermögen zu stopfen“, heißt es in der Beschlussvorlage. „Ein Großteil der Steuersenkungen wird verpuffen und statt in Investitionen zu gehen, wird ein großer Teil des Geldes an Aktionäre durchgereicht werden.“
„Gegenpol in diesen Machtfragen unserer Zeit“
So bemängeln die Grünen etwa, dass die Gasspeicherumlage nach Plänen der Wirtschaftsministerin künftig aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) gezahlt werden könnte.
„Merz und Klingbeil verteilen Milliarden Euro an die Reichsten des Landes“, sagt Fraktionsvize Andreas Audretsch der ZEIT. „Sie stecken Milliarden Euro, die für Klimaschutz gedacht waren, in neue Gasprojekte und füttern die fossile Gas-Lobby.“ Die Interessen der fossilen Lobbys seien riesig. Diktatoren wie Putin und Autokraten wie Trump bauten ihre Macht auf fossilem Gas und Öl. Die Grünen seien „der Gegenpol in diesen Machtfragen unserer Zeit“.
Demgegenüber stellen nun die Grünen in sieben Unterpunkten ihre Pläne vor, etwa Klimaschutz, Wirtschaft, „lebenswerte Städte und Dorfkerne“, Verkehrsinfrastruktur und Wohnen.
Die Heizungsförderung aus dem KTF solle ausgeweitet werden, „um
mindestens eine halbe Million Wärmepumpen pro Jahr durch die Förderung
für effiziente Gebäude zu erreichen“. Der Hochlauf der E-Mobilität solle
gefördert werden. „Dazu gehören Investitionen in die Ladeinfrastruktur
mit 1 Mio. öffentlich zugänglichen Ladepunkten und Kaufanreize für
E-Autos, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen.“ Am
Verbrenner-Aus will die Partei festhalten.
Um die lahmende Wirtschaft anzukurbeln, schlagen die Grünen unter anderem einen „Investitionsbooster“ vor, der alle Unternehmen erreichen solle. „Eine Investitionsprämie statt reiner Abschreibungen würde auch Start-ups oder Firmen mit aktuell niedrigen Gewinnen oder in der Verlustphase stärken“, heißt es in der Beschlussvorlage der Fraktion.
Schließen von „Steuergerechtigkeitslücken“
Darüber hinaus fordern die Grünen: eine Deutschland-App gegen die Schlangen im Bürgerbüro, den Aus- und Neubau von 3.500 Schienenkilometern, ebenso wie der 20 wichtigsten Bahnhofs- und Infrastrukturprojekte, elektrische Oberleitungen für 2.500 Schienenkilometer, 25.000 neue Elektrobusse, ein „Green Hospital Förderprogramm“, um „mindestens 500 Krankenhäuser klimaneutral umzubauen“, sowie die Sanierung von 4.000 maroden Autobahnbrücken, von 25.000 öffentlichen Kitas und Schulen und 1.000 Sporthallen.
Die Grünen kämpften „gemeinsam mit Millionen Menschen“ und „den vielen im Handwerk, die endlich günstigen erneuerbaren Strom wollen, mit denen in der Industrie, die auf Klimatechnologien der Zukunft setzen“, sagt Audretsch.
Bezahlen wollen die Grünen all das nicht allein aus dem Sondervermögen. Auch eine Reform der Schuldenbremse, wie sie auch die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hatte, wird gefordert.
Zudem solle sich der Staat die entgangenen Einnahmen (PDF) aus dem Cum-Cum-Steuerbetrug zurückholen, bevor diese Fälle verjähren. Von bis zu 28,5 Milliarden Euro an Einnahmen für den Staat ist die Rede. Darüber hinaus wollen die Grünen, dass der Staat mehr Steuern eintreibt. „Wir wollen Lücken im Steuersystem schließen, damit die Reichsten einen fairen Beitrag leisten“, sagt Fraktionsvize Audretsch.
So fordert der Fraktionsvorstand etwa, die Gewinne aus Immobilienverkäufen zu besteuern, die bislang nach einer sogenannten Spekulationsfrist von zehn Jahren noch steuerfrei sind. Das bringe sechs Milliarden Euro. Die Gewerbesteuerbefreiung bei Immobiliengesellschaften soll abgeschafft werden. Außerdem wollen die Grünen Ausnahmen und Lücken bei der Erbschaftsteuer streichen und hoffen auf eine globale Milliardärssteuer.