Fossile Energien: Zurück zu Öl und Gas

Vor fünf Jahren machte der damalige BP-Chef mit einer Ankündigung Schlagzeilen: Der britische Energiekonzern werde seine Öl- und Gasproduktion bis 2030 um 40 Prozent senken und viel mehr in erneuerbare Energien, in Windkraft, Solaranlagen, Wasserstoff, Ladestationen für Elektroautos und anderes investieren. BP wollte Vorreiter einer grünen Energiewende werden. Dafür gab es Applaus von Klimaschützern.

Inzwischen hat der Londoner Konzern eine Kehrtwende vollzogen. Von einem baldigen Ölausstieg spricht im Hauptquartier am St. James’s Square niemand mehr. Gerade erst bejubelte BP die Entdeckung eines gewaltigen Ölfeldes in Brasilien. Es ist der größte Fund des Unternehmens seit einem Vierteljahrhundert und schon das zehnte neu entdeckte Ölvorkommen in diesem Jahr, nach größeren Funden im Golf von Mexiko – den BP wie vom amerikanischen Präsidenten Donald Trump gewünscht Golf von Amerika nennt – , in Trinidad, Ägypten, Libyen, Namibia und Angola. BP baut sein Explorationsprogramm deutlich aus und plant in den nächsten drei Jahren rund 40 Bohrungen. Der neue Vorstandschef Murray Auchincloss müht sich, den Anlegern wieder gute Renditen mit fossilen Brennstoffen zu versprechen.

Die Branche versucht aufzuholen

Der Wandel hat nicht nur BP erfasst, den nach Börsenwert kleinsten der fünf westlichen „Big Oil“-Unternehmen BP, Shell, Totalenergies, Chevron und Exxon-Mobil. Noch vor ein paar Jahren waren aus der Politik die Rufe nach dem schnellen Ausstieg aus Öl und Gas sehr laut. Investitionen in neue Infrastrukturen für fossile Brennstoffe seien „moralischer und wirtschaftlicher Wahnsinn“, wetterte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres. Sie würden bald zu „gestrandeten Assets“, prophezeite der portugiesische Sozialist.

Inzwischen hat die Stimmung sich geändert. In London sagt Shell-Chef Wael Sawan: „Was wirklich gefährlich und unverantwortlich wäre, ist eine Kürzung der Öl- und Gasproduktion, sodass die Lebenshaltungskosten weiter in die Höhe schießen.“ Mit dem Höhenflug des Ölpreises nach Ausbruch des Ukrainekriegs 2022 rückten die Thema Energiesicherheit und Bezahlbarkeit wieder ins Zen­trum. Trump gibt sich seit dem Wahlkampf 2024 ums Weiße Haus mit der Devise „Drill, Baby, drill“ als größter Vorkämpfer für mehr Ölbohrungen.

„In den letzten 24 Monaten hat in der gesamten Branche ein Umdenken stattgefunden“, sagt Javier Blas, Bloomberg-Kolumnist, Buchautor und einer der besten Kenner der Ölindustrie. „Etwa fünf Jahre lang ging es vor allem um mehr grüne Investitionen, um CO2-arme und erneuerbare Energien, sogar in Amerika. Heute aber gibt die gesamte Branche Vollgas, bohrt nach neuen Vorkommen und erweitert die Produktion.“

Investitionen in neue Ölfelder

Die amerikanischen Konzerne Exxon-Mobil und Chevron liegen dabei mit Abstand vorne. Alleine Exxon plant einen Ausbau der Öl- und Gasproduktion bis 2030 um 18 Prozent auf 5,4 Millionen Barrel (Fass zu 159 Liter) am Tag. In der Golfregion hielten Aramco, der saudische Staatskonzern und größte Ölförderer, und andere einen Ausstieg aus dem schwarzen Gold ohnehin für utopisch. „Wir sollten die Illusion eines Auslaufens von Öl und Gas aufgeben und stattdessen angemessen in diese investieren“, sagte Aramco-Präsident Amin Nasser auf der Energiekonferenz CERA Week im texanischen Houston.

„Big Oil“ erwartet mittelfristig einen stark wachsenden Öl- und Gasverbrauch, allen Bemühungen einiger Staaten um eine Energiewende zum Trotz. Die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass die Nachfrage nur bis 2030 steige; danach werde der Öl- und Gasverbrauch sinken. Doch in der Branche glauben viele an eine höhere Prognose, besonders wegen des enormen Energiehungers in Schwellenländern wie China und Indien. „Die Industrie glaubt, dass der Höhepunkt der globalen Ölnachfrage wahrscheinlich erst in zehn Jahren kommen wird. Und auch danach fällt die Nachfrage nicht schnell, sondern sie bleibt eher auf einem hohen Plateau“, sagt Branchenkenner Blas.

Die auf Energie und Rohstoffe spezialisierte Beratungsgesellschaft Wood Mac­kenzie rechnet mit einer global langsameren Energiewende und einem zögerlichen Umstieg der Bürger auf Elektroautos. Das werde Mitte der 2030er-Jahre zu einem um fünf Prozent höheren Ölverbrauch führen als zuvor prognostiziert. Derzeit liegt die Rohölproduktion bei etwa 85 Millionen Barrel am Tag. Der Höhepunkt werde bei 114 Millionen Barrel am Tag liegen, erwartet Wood Mackenzie. Daraus folge in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine globale Produktionslücke, die bis 2050 auf 100 Millionen Barrel wachse.

Einen „riesigen Bedarf“ an höherer Öl- und Gasproduktion sieht Jessica Ciosek von Wood Mackenzie. Die Indus­trie versuche jetzt, mit neuen Bohrungen aufzuholen, nachdem sie zu Beginn der Dekade in der Exploration neuer Öl- und Gasfelder zurückhaltend war.

Der fossile Energiehunger der Welt bleibt groß

Der fossile Energiehunger der Welt ist und bleibt groß. Das liegt auch an der steigenden Zahl der Autos. Inzwischen fahren mehr als 1,6 Milliarden Automobile auf den Straßen der Welt. Davon sind 56 Millionen Elektroautos – gut drei Prozent. Zudem sind so viele Flugzeuge unterwegs wie noch nie. All das bedeutet, dass die Nachfrage nach Öl noch lange groß sein wird.

Auch unter den Aktionären hat die Stimmung sich gedreht. Proteste von Aktivistengruppen wie Extinction Rebellion, die bei Hauptversammlungen „Shell, Shell, go to hell“ schrien, beeindrucken niemanden mehr. Die „grüne Wende“ von BP, in die das Unternehmen seit 2001 mehr als 15 Milliarden Pfund steckte, haben die Aktionäre nicht goutiert. Es gibt noch immer institutionelle Anleger, Pensionsfonds und einige Versicherer, die für strenge Klimaziele votierten. Aber sie sind nun in der Minderheit.

„Die grünen Investoren hatten in den Jahren 2020 bis 2023 die Oberhand, nun hat wieder die fossile Fraktion das Kommando übernommen“, sagt Blas. Mit alternativen Energieprojekten fielen viele auf die Nase und haben Geld verloren. Zum Beispiel Ørsted : Der dänische Weltmarktführer für Meereswindparks hat seit dem Höhepunkt Anfang 2021 mehr als 80 Prozent seines Börsenwerts eingebüßt. In der Windkraftbranche sind viele Offshore-Projekte notleidend.

Öl-Multis versprechen Klimaneutralität

Noch immer versprechen große Ölkonzerne wie BP und Shell bis 2050 Netto-Null-Emissionen, also Klimaneutralität. Doch das betrifft nur ihre eigenen ­Operationen. Sie wollen die CO2– und Methanemissionen reduzieren durch moderne Technologie und weniger „Flaring“. So nennt man das Abfackeln des überschüssigen Erdgases. Von den „Scope 3“-Emissionen, also dem CO2-Ausstoß beim Verbrennen von Öl und Gas durch die Endverbraucher, spricht auf Investorenkonferenzen der Öl-Multis niemand mehr.

Die großen amerikanischen Ölkonzerne wie Exxon-Mobil und Chevron waren in den vergangenen Jahren – verglichen mit ihren europäischen Wettbewerbern – viel zurückhaltender darin, den Weg fort von fossiler Energie einzuschlagen. Auch sie konnten aber die Nachhaltigkeitsbewegung nicht ignorieren. Exxon-Mobil sah sich 2021 einem Aktionärsaufstand gegenüber und wurde beschuldigt, nicht genug in saubere Energien zu investieren. Die Kampagne erzwang Umbesetzungen im Verwaltungsrat. Exxon hat das Ziel ausgegeben, bis 2050 klimaneutral zu werden, und hebt Investitionen in Klimaschutz hervor, etwa in die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid („Carbon Capture and Storage“).

Exxon wirbt für Klimaabkommen

Exxon-Vorstandschef Darren Woods appellierte an den frisch zum Präsidenten gewählten Trump, nicht aus dem Pariser Klimaabkommen auszutreten. Doch gleich am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit verabschiedete Trump die USA aus dem Abkommen. Kritiker halten Exxon vor, mit einer klimafreundlicheren Positionierung kaum über Lippenbekenntnisse und „Greenwashing“ – Grünfärberei – hinauszugehen.

Die amerikanischen Konzerne haben ihr traditionelles fossiles Geschäft weiter stark ausgebaut, schon unter Trumps Vorgänger Joe Biden. 2023 kündigten Exxon und Chevron innerhalb weniger Wochen Zukäufe für jeweils mehr als 50 Milliarden Dollar an. Exxon verstärkte sein „Fracking“-Geschäft in den Vereinigten Staaten, Chevron verschaffte sich Zugang zu Ölvorkommen im südamerikanischen Guyana. Die gesamte Ölproduktion in Amerika erreichte im vergangenen Jahr einen Rekordwert.

Trump ist ein besonders großer Fan fossiler Energieträger und hat wenig für erneuerbare Energien übrig. Windturbinen bezeichnet er als scheußlich. Der Präsident strebt eine Energiedominanz an und räumt Hindernisse für die Nutzung fossiler Energien aus dem Weg. Trump beseitigte unter anderem Hürden für den Export von Flüssiggas, er will größere Teile Alaskas für Öl- und Gasförderung öffnen und allgemein Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Finanzielle Anreize des Staats für Wind- und Solarprojekte werden abgeschafft. Im Handelsabkommen mit der Europäischen Union hat Trump die Zusage der Europäer erlangt, dass sie den Amerikanern in den kommenden drei Jahren Energieprodukte für 750 Milliarden Dollar abkaufen werden – wobei Fachleuten bezweifeln, ob das eine realistische Zahl ist.

Trump nutzt und schadet den Ölkonzernen

Sosehr Trump den Öl- und Erdgasförderunternehmen zugeneigt sein mag: Aus ihrer Sicht ist seine Politik ein zweischneidiges Schwert. Die von ihm befeuerten Handelskonflikte gelten als einer der Gründe, warum die Weltwirtschaft schwächer wächst und der Ölpreis in diesem Jahr gefallen ist. Mit Trumps Zöllen wird importierter Stahl für neue Bohrtürme teurer. Beides ist negativ für die Unternehmen. Die amerikanischen Öl-Multis liefern derzeit in ihren Geschäftsergebnissen ein gemischtes Bild. Auch die britischen Unternehmen BP und Shell kommen nicht mehr an die Rekordgewinne heran, die sie wegen des hohen Ölpreises in den ersten zwei Jahren des Ukrainekriegs erzielten.

Derzeit liegt der Ölpreis bei mehr als 60 Dollar. Trump wünscht einen niedrigen Ölpreis, etwa zwischen 40 und 50 Dollar je Barrel. Das schätzt die Investmentbank Goldman Sachs aufgrund seiner Social-Media-Botschaften. Es würde die Konzerne schwer treffen.

In Großbritannien will die Labour-Regierung das Gegenteil von Trumps Öl-Turbo. Zum Bedauern von Shell und BP hat sie angekündigt, gar keine neuen Lizenzen für Ölfelder in der Nordsee mehr zu genehmigen. Labour nimmt auch das Ziel von „Net-Zero“ bis 2050 sehr ernst. Doch ihr droht Ungemach von der Reform-Partei von Nigel Farage, die in Umfragen vorne liegt. Diese will das Ziel der Klimaneutralität über Bord werfen und schleunigst mehr nach Öl bohren – der Albtraum der Klimaschützer.

Die deutsche Energiewende hat in der Welt nur noch wenige Fans, kaum ein Staat betrachtet sie als Vorbild. „Deutschland zeigt der Welt, dass die Energiewende einen hohen Preis hat“, sagt Energieexperte Blas. „Man hatte geglaubt, dass eine Energiewende schnell, relativ einfach und günstig möglich ist. Inzwischen realisiert man, dass sie sehr viel länger dauert, sehr schwierig und sehr viel teurer ist.“ Öl und Gas würden noch eine ganze Weile gebraucht.