
Deutschland muss mehr Anreize für internationale Spitzenforscher schaffen, schreiben die Ökonomen Said Werner und Thomas J. Hoeger. Werner forscht am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Hoeger an der Harvard Universität und am National Bureau of Economics.
Die USA vollziehen derzeit ein politisches Wendemanöver
mit globalen Folgen für die Wissenschaftslandschaft. In einem Editorial der Fachzeitschrift Science warnen zwei Wissenschaftler
der US-Spitzenuniversität Massachusetts Institute of Technology davor,
jahrzehntelange Investitionen in die Forschung zunichtezumachen. Öffentliche Kürzungen bei Gesundheits-,
Klimawandel-, Agrar- und Diversitätsforschung sind vermutlich nur der Anfang einer
politischen Prioritätenverschiebung zum Schaden der Wissenschaft.
Die Neuausrichtung der US-Forschungsagenda ist aber
zugleich ein geopolitisches Signal und für Deutschland eine strategische
Gelegenheit.
Bereits die Missbilligung von Begriffen wie „woke“ oder „socioeconomic“
in Regierungsdokumenten zeigt, wie kritisch die US-Administration
wissenschaftliche Selbstbestimmung und Objektivität in der Forschung sieht. Interessieren
sollte sie allerdings der volkswirtschaftliche Return on Investment von
Forschung, den Studien des National Bureau of Economic Research, das selbst von
Kürzungen betroffen ist, deutlich zeigen: Jeder
investierte US-Dollar generiert im Schnitt einen vierfachen Ertrag (PDF). Die politische Rochade bei der Forschungsförderung betrifft
daher nicht allein „akademische Eliten“, sondern hat das Potenzial,
Innovationszyklen zu verlangsamen, Produktionskosten zu erhöhen und die
Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Schlüsselindustrien zu gefährden.
Kritik an wissenschaftlicher Selbstbestimmung
Auch international bleibt
diese Entwicklung nicht ohne Folgen. Laut einer Umfrage der
Fachzeitschrift Nature ziehen bereits drei Viertel von rund 1.600
befragten Wissenschaftlern einen Wechsel ins Ausland ernsthaft in Betracht.
Wechselwillig sind vor allem Nachwuchstalente, die einem schrumpfenden Jobmarkt
gegenüberstehen. Allein die Einschnitte bei den National Institutes of Health
führen laut der Plattform Scienceimpact zu
einem jährlichen Verlust von 68.000 Stellen. Sollte
sich der Brain-Drain verfestigen, könnte er schnell systemrelevant werden. Wie
der Berkeley-Ökonom
Enrico Moretti festhält, schafft ein Arbeitsplatz im Hightechsektor bis zu
fünf weitere Jobs außerhalb des Feldes – Wissenschaft wirkt also
tief in die wirtschaftliche Struktur eines Landes hinein.
Einige europäische Länder haben die Tragweite
dieser Verschiebung bereits erkannt. Frankreichs
Universität Aix-Marseille stellt 15 Millionen Euro bereit, um gezielt US-Forscher
anzuwerben. Die Niederlande und die Schweiz entwickeln ähnliche Programme.
Auch die EU-Kommission kündigte über den European
Research Council (ERC) zuletzt
ein umfangreiches Stipendienprogramm an.
Eine aktuelle Umfrage des Wirtschaftsmagazins
Capital in Zusammenarbeit mit dem Deutschen
Hochschulverband zeigt
jedoch, dass deutsche Forschungsinstitute sich nicht aktiv um die Anwerbung von
US-Wissenschaftlern bemühen möchten. Für deutsche Hochschulen dürfte allerdings
bereits der institutionelle Rahmen die Möglichkeiten begrenzen, hoch qualifizierte und hoch bezahlte Spitzenforscher selbstbestimmt für sich zu gewinnen. Schon
vor zehn Jahren empfahl Gerd Casper, bis 2000
erster deutscher Präsident der Stanford University, alle deutschen Hochschulen
in Stiftungsuniversitäten umzuwandeln, um Wettbewerbsfähigkeit und Autonomie zu
steigern. Obwohl
Aufsteiger wie die Technische Universität
München seit geraumer Zeit große Erfolge in internationalen Rankings erzielen und in Heilbronn
stiftungsfinanzierte Zweitstandorte aufbauten, ist das deutsche Hochschulsystem
weiterhin überwiegend egalitär geprägt – was sich als Innovationsbremse erweist.
Seit dem Zweiten Weltkrieg sicherte der
Transfer autonomer Forschung durch einen Mix aus öffentlichem, privatem und philanthropischem
Kapital die US-Technologieführerschaft in Bereichen wie Informations- und
Biotechnologien, Halbleitern, Raumfahrt und Militär. Die Erfolge sprechen für
sich: Bei einem Bevölkerungsanteil von nur zwei Prozent
entfielen 2015 allein auf die San Francisco Bay Area über 17 Prozent aller
US-Patente und mehr als die Hälfte der nationalen Risikoinvestitionen (PDF). Profitiert haben von solchen Ökosystemen vor allem Deep-Tech-Unternehmen,
die in Forschungslaboren gegründet wurden. Auch Deutschland kennt
derartige Erfolge mit dem Pharmakonzern BioNTech, dem Raumfahrtspezialisten
Isar Aerospace oder dem Baustoffspezialisten Ecopals. Doch neben Kapital fehlt
der regulatorische Freiraum, der es Hochschulen erlaubt, als Ankerakteur in
Innovationsökosystemen aufzutreten.
Mehr Autonomie für die Hochschulen
Dorothee
Bär, die neue Ministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt, muss dieses
Thema angehen. Drei Interventionen sind vorrangig: Erstens müssen gezielt
Anreize für internationale Spitzenforscher geschaffen werden – insbesondere
durch flexible Beschäftigungsverhältnisse jenseits der Professur.
Zweitens sollte die Kapitalertragssteuer für langfristige
Investitionen wie wissenschaftsbasierte Deep-Tech-Gründungen gesenkt werden.
Drittens brauchen
Hochschulleitungen deutlich mehr Autonomie für profilbildende
Maßnahmen – unabhängig vom Trägermodell. Eine wünschenswerte Verbesserung der transatlantischen Beziehungen darf dabei
nicht darüber hinwegtäuschen, dass Forschungspolitik längst ein geopolitisches
Handlungsfeld ist. Deutschland muss bereit sein, aus dieser Erkenntnis
Konsequenzen zu ziehen. Ansonsten laufen auch wir Gefahr, wie
der Präsident der Harvard University, Alan Garber, es ausdrückte, die wirtschaftliche Sicherheit und Vitalität langfristig zu gefährden.