
Das erste große Rennplakat am Circuit Park Zandvoort wirkt irritierend. In großen Buchstaben wird dort die „finale Runde“ angekündigt, dahinter ein in Oranje getauchtes überlebensgroßes Konterfei von Max Verstappen. Hatte der Niederländer, der in jedem Fall noch ein paar Monate als Formel-1-Weltmeister amtiert, nicht im letzten Moment vor der Sommerpause seinen Verbleib bei Red Bull Racing angekündigt? Hat er, und dazu steht er. Wer sich der riesigen Tafel nähert, erkennt dann im Kleingedruckten weiter unten den Hinweis, dass es sich um eine Ankündigung für den Großen Preis der Niederlande im August 2026 handelt. Nach diesem sind dann vorerst keine weiteren Grand-Prix-Rennen in den Nordseedünen geplant.
Dass Verstappen bleibt, beruhigt den Transfermarkt der Formel 1 vorübergehend. Die Privatfahnder, die ob vermeintlicher Wechselabsichten zu Mercedes die Yacht und das Privatflugzeug des Rennfahrers getrackt hatten und die passenden Gegenstücke von Mercedes-Teamchef Toto Wolff dazu, können vorübergehend in den Ruhemodus schalten. Stellvertretend muss deshalb das Fahrerduo des künftigen Cadillac-Rennstalls Unruhe auf dem Karussell hervorrufen, wobei beim Mexikaner Sergio Perez, 35, und beim Finnen Valtteri Bottas, 36, nur die Tatsache bemerkenswert erscheint, dass beide aus der Frührente zurückgeholt werden. Weiteres größeres Aufsehen braucht darum zunächst nicht weiter gemacht werden.

:Hamiltons Frust über Ferrari verschärft sich
Er fühle sich nutzlos, Ferrari solle ihn aus dem Cockpit nehmen: Beim für den italienischen Rennstall desaströsen Wochenende in Ungarn stellt Lewis Hamilton offen die Sinnfrage.
Perez immerhin konnte neben Sponsorenmillionen aus Mexiko auf eine Vita verweisen, aus der seine Zeit bei Red Bull Racing an der Seite von Max Verstappen herausragt. In drei von vier Jahren hatte er den auf den Champ zugeschnittenen Rennwagen ebenfalls gebändigt, ehe er übereilt entlassen wurde. Inzwischen ist der aktuelle Dienstwagen selbst für Verstappen zu kompliziert, der zum Teil aktiv gegen sein Auto kämpft, um es zu bändigen. Perez erinnert sich: „Es ist eine einzigartige Konstruktion, aber sie erfordert auch einen einzigartigen Fahrstil. Ich musste irgendwie überleben, und das ging nur, weil ich mental stark genug war.“ Perez‘ Nachfolger Liam Lawson wurde schnell wieder ausgetauscht, Yuki Tsunoda ist seitdem noch glückloser.
Mit Mekies hat Verstappen in ein paar Wochen mehr über die Technik gesprochen als in all den Jahren zuvor mit Horner
Deshalb hatte es für den Getränkerennstall höchste Priorität, dass Max Verstappen seinen bis Ende 2028 laufenden Kontrakt nicht mittels einer Ausstiegsklausel verlässt. Mercedes lockte mit einem starken Motor für das neue Reglement, Aston Martin mit Designgenie Adrian Newey, Verstappens altem Verbündeten. Red Bull opferte dafür jüngst Rennstallchef Christian Horner, der vor allem dem Vater des Weltmeisters ein Dorn im Auge war. Dessen eilig beförderter Nachfolger Laurent Mekies hat weniger Macht, aber schwierige Aufgaben. Max Verstappen begründet seine Vertragstreue nach monatelangem Schweigen und Vertragspoker unter anderem damit, dass er sich mit den Menschen bei Red Bull Racing wohlfühle: „Für mich war immer klar, dass ich sowieso bleiben würde.“ Aber es geht natürlich auch darum, dass der begehrteste Fahrer im Feld aus gesicherter Position in Ruhe abwarten kann, wie sich welcher Rennstall nach dem Regelschnitt im kommenden Jahr entwickelt und wem die Zukunft gehört. Das ist in der Theorie bislang nicht abzuschätzen. Je nach Lage kann er im nächsten Sommer immer noch gehen – oder bleiben.
Damit ist klar, dass Max Verstappen momentan nicht nur die „1“ auf dem Auto hat, sondern auch die Nummer eins im Team ist. Wenn der 27-Jährige von seinem Rennstall fordert, dass sich dieser „neu erfinden“ müsse, dann gilt das auch für ihn höchstpersönlich: Vom reinen Anführer auf der Rennstrecke muss er auch zum Leader des ganzen Teams werden, wie es zuvor schon den Ausnahmerennfahrern Michael Schumacher und Lewis Hamilton gelungen war. Es würde ihn jenseits aller sportlichen Leistungen auf die höchste Stufe der Anerkennung katapultieren, gerade in Krisenzeiten.
Mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass er für einen erfolgsverwöhnten Rennstall einen Weg aus der Malaise finden muss. Die Mannschaft ist völlig verunsichert, der Großteil des Spitzenpersonals innerhalb eines Jahres abgewandert. Technisch stimmt es nicht, auch das mentale Set-up lässt derzeit zu wünschen übrig. Den dramatischen Absturz kann er an seiner eigenen Statistik festmachen: Im Vorjahr hatte Verstappen vor seinem Heimspiel als Tabellenführer 78 Zähler Vorsprung, jetzt sind es 97 minus auf den WM-Spitzenreiter Oscar Piastri – zusammen ein Verlust von 175 Punkten.
Zehn Rennen noch hat Loyalist Verstappen Zeit, um die Abwärtsspirale aufzuhalten. Mit seinem neuen Chef Mekies hat er in ein paar Wochen mehr über die technischen Herausforderungen gesprochen als in all den Jahren zuvor mit Horner. Vertrauen ist gut, Performance ist besser: Es geht für den WM-Dritten um die Wiedergutmachung bei den Fans, aber auch darum, das eigene Ego zu streicheln. An seinem Mindset, sagt Verstappen vor seinem Heimspiel, habe sich nichts geändert: „Ich kämpfe nicht mehr wirklich um den Titel, es geht darum, das Beste daraus zu machen. Schauen, wo es noch Möglichkeiten für uns gibt. Versuchen, mehr über das Auto zu lernen, es besser zu verstehen und mehr Leistung rauszuholen, um uns künftig das Leben leichter zu machen.“
Für das aktuelle Wochenende muss er darauf hoffen, dass der angekündigte Regen für Chaos sorgt und so unerwartete Chancen schafft. Sich zu motivieren, darin sieht er hingegen keinerlei Problem: „Das wäre in dieser Situation nur schwer, wenn ich noch nicht gewonnen hätte. Aber wenn du so oft gesiegt hast, dann weißt du auch, dass es irgendwann aufhört. Sich dem Frust hinzugeben, das wäre reine Energieverschwendung.“