

Die Luft auf 2240 Meter Höhe ist dünn, und sie wird auch im Titelrennen der Formel 1 dünner – zumindest für den seit April in der Gesamtwertung führenden Oscar Piastri. Der Australier ist der große Verlierer der Qualifikation zum Großen Preis von Mexiko, der an diesem Sonntag (21.00 Uhr MESZ im F.A.Z.-Liveticker zur Formel 1 und bei Sky) gefahren wird. Nur Platz acht, während sein Teamkollege und Rivale Lando Norris seine fünfte Poleposition des Jahres herausfahren konnte. Wenn Norris dem Druck standhält und es schafft, aus dieser Ausgangsposition etwas zu machen, könnte das Rennen einen neuen WM-Spitzenreiter hervorbringen.
Nach der spannenden Qualifying-Stunde im Autódromo Hermanos Rodríguez geht Titelverteidiger Max Verstappen nur als Fünfter in den 20. WM-Lauf. Das verwunderte mindestens so wie das Ferrari-Hoch – Charles Leclerc und Lewis Hamilton landeten direkt hinter Norris. In Mexiko-Stadt hatte die Scuderia vor Jahresfrist ihren bislang letzten Grand-Prix-Sieg bejubeln können.
Hamilton frohlockt, Verstappen rätselt
Auch George Russell schob seinen Silberpfeil noch vor Verstappens Red-Bull-Honda. Rekordchampion Hamilton, der immer noch auf seinen ersten Podiumsplatz wartet, reagierte nach der gelungenen Generalprobe überschwänglich: „Ich war ja schon seit längerer Zeit nicht mehr unter den ersten Dreien, das ist äußerst erfrischend. Es war mir eine Ehre!“ Und sein bestes Qualifikationsergebnis, seit er für Ferrari fährt.
Eine gewaltige Verschiebung der bisherigen Kräfteverhältnisse, nachdem vor Wochenfrist noch alles für eine fortgesetzte Aufholjagd von Verstappen gesprochen hatte. Es ist einiges im Wortsinn ins Rutschen geraten, der einzige Topfahrer mit richtig Grip auf der schmutzigen und schlüpfrigen Gelegenheitspiste durchs Baseballstadion war Norris, der 14 Punkte hinter Piastri WM-Zweiter ist. Seit Ende Juli hat der Brite nicht mehr auf der Poleposition gestanden. An einem Wochenende, an dem eine Vorentscheidung im Titelkampf fallen kann, ist er plötzlich wieder da – was das jüngste Auf und Ab in dem so eng zusammengerückten Feld bestätigt.
So richtig fassen konnte es Lando Norris zunächst selbst nicht: „Es war eine dieser Runden, bei denen man selbst nicht genau weiß, wie sie zustande gekommen ist. Aber natürlich eine äußerst angenehme Überraschung.“ Alles herausgeholt – aus sich selbst und aus der Maschine. Norris gab einen Einblick in sein Gefühlsleben: „Ich habe ein bisschen mehr aufs Gas gedrückt und auch ein bisschen später gebremst, aber ich war nicht sicher, ob das reichen würde. Irgendwie ist alles zusammengekommen. Es ist nicht oft passiert in diesem Jahr, dass ich diese Situation im Auto erleben durfte.“ Jetzt hat er es in der Hand, die Wende zu schaffen.
Weiter analysieren sollte der als Grübler bekannte Fünfundzwanzigjährige die Tagesbestleistung nicht, lieber die ungeahnte Leichtigkeit konservieren: „Ich habe in letzter Zeit schlecht geschlafen, vielleicht war das der Schlüssel.“ Dass der baugleiche zweite McLaren-Mercedes so dramatisch abfällt (über eine halbe Sekunde auf der schnellsten Runde), lässt auf die Kombination von technischen Problemen und in dieser Form ungekannter mentaler Schwäche schließen. Da kommt etwas zusammen, gerade jetzt.
Piastri ging es bei der Selbsteinschätzung aber ähnlich wie Norris, nur eben umgekehrt: „Alles schien in Ordnung zu sein, ich bin einfach nur nicht aufs richtige Tempo gekommen. Das ist schon sehr mysteriös.“ Durch die Rückstufung von Carlos Sainz jr. startet er als Siebter.
Auch Titelverteidiger Verstappen, 40 Zähler hinter Piastri liegend, klagt seit den ersten Trainingsrunden in Mexiko über ein Leistungsdefizit am Red-Bull-Auto. Seit Freitag ist die Garage der Nummer eins eine Bastelbude; Flügelkonfigurationen und Fahrwerkabstimmungen wurden munter hin und her getauscht. Nach dem für ihn enttäuschenden fünften Platz kam dann die Reporterfrage, woran es wohl gelegen habe, gerade recht. Der Niederländer parierte nicht mal genervt, nur ehrlich: „Wenn wir es wüssten, hätten wir es geändert. Aber alles, was wir probiert haben, hat nicht funktioniert. Ich habe gleich gemerkt, dass ich hier nicht richtig Druck ausüben kann.“
Ob ihn das auch im Rennen komplett aus dem Konzept bringen wird, bleibt abzuwarten. Diese Strecke mit ihren höchst unterschiedlichen Anforderungen über die 305-Kilometer-Distanz fehlerfrei zu meistern, ist für keinen eine leichte Aufgabe.
Die Konstellation ist dennoch nicht ganz aussichtslos für die Norris-Jäger, die Piste auf dem alten Olympiagelände weist zu Beginn der Runde eine besondere Charakteristik auf: erst eine 800 Meter lange Gerade, die zu Windschattenduellen einlädt, dann kommt ein rechter Winkel und sofort danach ein schnelle Rechts-links-Kombination mit erhöhter Crashgefahr. Auf dieser Passage wurde schon manche Hoffnung geknickt. Danach wird der Reifenverschleiß entscheidend werden. Norris war sich der Bedrohung bewusst: „Es ist ein langer Weg, und ich habe ein paar schnelle Jungs hinter mir. Aber ich schaue nur nach vorn.“ Das folgte der einzigen McLaren-Devise für dieses Rennwochenende: das Momentum von Verstappen zu stoppen.
Piastri jedoch scheint aus dem Rhythmus geraten zu sein, auch mental. Der Australier, der seit April die Weltmeisterschaft anführt, hat am meisten zu verlieren, auch im internen Vergleich mit Norris. Er klammerte sich an eine Weisheit, die weniger nach Champion-Mentalität, sondern mehr nach verzweifelter Hoffnung klang: „Leistung ist das, was Meisterschaften gewinnt – und nicht das bloße Zählen von Punkten.“ Leider hängt, insbesondere bei seiner anhaltenden Talfahrt, das eine mit dem anderen zusammen. Die Devise, die McLaren-Teamchef Andrea Stella für das Rennen ausgegeben hat, gilt universell: „Der Schlüssel wird sein, sich aus allem Ärger rauszuhalten.“
