Florian Wirtz: Endlich angekommen – WELT

Der Druck nahm zu, die Kritik wurde laut – im 16. Anlauf aber glückt Florian Wirtz das Premieren-Tor in der Premier League. Es gibt viel Lob. Gut möglich, dass ihm der Befreiungsschlag auch deshalb gelingt, weil ein Mitspieler fehlt.

Er freute sich, jedoch nicht überschwänglich. Denn letztlich war es nur ein Tor. Nur eben eines, auf das er lange hatte warten müssen, weshalb Florian Wirtz die Erleichterung doch anzusehen war. Und so lächelte der deutsche Nationalspieler vom FC Liverpool, als er über seinen Premieren-Treffer in der Premier League sprach. „Ich war sehr glücklich und bin es immer noch“, sagte der 22-Jährige nach seinem ersten Pflichtspieltreffer für den englischen Meister beim 2:1 (2:0) gegen die Wolverhampton Wanderers: „Natürlich wollte ich früher anfangen, Tore zu schießen und Vorlagen zu geben.“

Im vergangenen Sommer für 125 Millionen Euro von Bayer Leverkusen verpflichtet – die Ablöse kann aufgrund von Bonuszahlungen auf bis zu 150 Millionen steigen –, war er zuvor in 15 Premier-League-Einsätzen ohne Assist geblieben. Lediglich in der Champions League und im englischen Supercup hatte Wirtz zuvor insgesamt vier Tore aufgelegt. Im Tagesgeschäft stand lange die Null.

„Es war sehr schön. Das Gefühl auf dem Platz mit den Fans um mich herum. Ich wusste einfach, dass dieser Tag kommen würde“, sagte der 37-malige Nationalspieler. Die Premier League sei die härteste Liga der Welt: „Ich muss mich einfach an die körperliche Härte und meine Mitspieler im Mittelfeld gewöhnen. Jedes Spiel fühle ich mich ein bisschen besser, so soll es weitergehen.“

Wirtz war der zweitteuerste Transfer

Hinter Wirtz liegen harte Wochen der Eingewöhnung, in denen er bei jedem Einsatz darauf überprüft wurde, ob er denn wirklich den Ansprüchen genüge, im Star-Ensemble der Reds eine unangefochtene Rolle einnehmen zu können. Die hohe Ablöse sorgte für Druck, auch wenn Liverpool im Sommer für Alexander Isak sogar noch mehr Geld gezahlt hatte – 145 Millionen Euro. Dass Wirtz das Zeug dazu hat, sich in Liverpool zu behaupten, darüber waren sich alle Experten einig, als er sich im Sommer gegen den FC Bayern und für den FC Liverpool entschied. Doch mit jedem Spiel, in dem er nicht traf, nahm die Kritik zu.

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Thomas Müller, Weltmeister von 2014, sagte jüngst in einem „SZ“-Interview, dass ein Wechsel zum FC Bayern für Wirtz womöglich der einfachere Schritt gewesen wäre: „Bei den Bayern hätte er es von der fußballerischen Anpassung garantiert einfacher gehabt, er wäre ja in derselben Liga geblieben.“ Andererseits, so fügte Müller an, gebe es aber auch die mediale Aufmerksamkeit in München, „die man als Spieler hat, wenn es beim FC Bayern nicht läuft“. Das sei man „täglich in der Schmelze“.

Rudi Völler, Sportdirektor beim DFB, hatte gegenüber WELT AM SONNTAG gesagt, dass die hohe Ablöse nicht das Problem sei. „Die stört Florian nicht“, betonte Völler, aber: „Er hat sicherlich gedacht, dass es etwas einfacher wird, seinen Platz in der Mannschaft zu finden. Die Mannschaft hat in der vergangenen Saison perfekt funktioniert, dann wurde sie etwas verändert. Es dauert, bis sich alles fügt. Da muss Florian durch.“

Mit der Empfehlung von zehn Toren und 13 Vorlagen in der Bundesliga-Saison 2024/25 war er nach Liverpool gewechselt. In der Spielzeit davor, in der Bayer das Double gewann, hatte Wirtz in der Liga elf Tore erzielt und zwölf vorbereitet.

In Liverpool sind sie froh über das Premieren-Tor. Trainer Arne Slot hatte seinem prominenten Zugang immer wieder gut zugesprochen und immer wieder aufgestellt. „Er wird viele Tore mehr wie dieses schießen“, sagte Slot nun.

Hamanns Prophezeiung geht auf

Auch Nationalmannschafts-Kollege Nick Woltemade feierte den Offensivstar. „King“, schrieb Woltemade unter einen Beitrag von Wirtz, den der 22-Jährige nach dem Spiel gepostet hatte. Ex-Teamkollege Victor Boniface, mit dem Wirtz bei Bayer Leverkusen gemeinsam Double-Sieger wurde, gratulierte: „Ich habe dir gesagt, dass es kommen wird, mein Freund.“

Vielleicht glückte die Tor-Befreiung auch aufgrund der Abwesenheit eines Mitspielers. Stürmer Mo Salah, derzeit mit Ägypten beim Afrika-Cup, wurde zuletzt immer mal wieder vorgeworfen, Wirtz im Spiel zu schneiden. Als die Reds in der Champions League bei Eintracht Frankfurt gastierten, versuchte Salah kurz vor Schluss selbst ein Tor zu erzielen, statt den Ball quer auf den besser postierten Deutschen abzulegen. Von Egoismus war danach die Rede.

Dietmar Hamann, der von 1999 bis 2006 für Liverpool spielte und 2005 mit den Reds Champions-League-Sieger wurde, hatte zuletzt Zweifel an Wirtz geäußert. „Im Moment kann er’s nicht“, hatte der frühere Mittelfeldspieler bei Sky gesagt. Hoffnung aber hatte ihm die Abwesenheit von Salah gemacht: „Vielleicht hilft ihm, dass Salah jetzt drei Wochen weg ist.“

Was zu beweisen war.