
Von wegen schön gleiten. Irgendwann tut es nur noch weh. Die Oberschenkel brennen, die Luft ist knapp, jeder Armschwung wird zum Willensakt. Trotzdem behauptet Finn Sonnekalb, sobald er wieder bei Atem ist, dass ihm Eisschnelllaufen Spaß macht. Und genießt das Staunen, das er mit solchen Sätzen auslöst.
„Ich kann auf die eine schnelle Runde noch eine zweite und auch noch ’ne
dritte laufen“, sagt er. „Das schaffen die wenigsten.“ Im
Leistungszentrum am Erfurter Petersberg gleich neben dem Thüringer
Landtag zieht der 17-Jährige mit den längeren, hinter die Ohren
gestrichenen Haaren seine Bahnen. Darüber trägt er eine dunkle Pudelmütze, es
ist immer kalt in der Eislaufhalle. Später winkt er lässig herüber, wie ein Surfer, der sich in den Leistungssport verlaufen hat. Als würde
er hier nur mitmachen, weil es ihm gerade so gefällt.
Warum Eisschnelllaufen? Warum möchte ein 17-Jähriger nicht
Fußballer werden, Basketballer oder Tennisspieler? Sonnekalb schwärmt
von dem gewissen Drive, den Geschwindigkeiten von weit über 50
Stundenkilometern und damit verbundene Fliehkräfte erzeugen. Und dem Erlebnis, seine Konkurrenten „im Wettkampf
plattmachen“ zu können. Das fühle sich ziemlich gut an.
Tatsächlich ragt Sonnekalb sowohl in der Trainingsgruppe als auch in seiner Altersklasse heraus, und das hat nicht nur mit den 193 Zentimetern Körpergröße zu tun. Der junge Thüringer hat die Ausnahmebegabung, die man in dieser einst so erfolgreichen Sportart bei den Herren hierzulande seit Jahrzehnten vermisst hat.
Von Freitag bis Sonntag startet Sonnekalb bei der Juniorenweltmeisterschaft in Südtirol. Es geht um vier Einzelstrecken, von 500 bis 3.000 Meter, sowie die Gesamtwertung. Er gilt als Mitfavorit. Im Dezember stellte er neue deutsche Juniorenrekorde auf, mit Zeiten, die ihn auch bei den Senioren konkurrenzfähig machen. Die letzte Weltcup-Saison der Junioren schloss er mit dem ersten Platz in der Gesamtwertung über 1.500 Meter ab. Bei den Olympischen Jugend-Winterspielen 2024 im südkoreanischen Gangwon gelang Sonnekalb mit Siegen über 500 und 1.500 Meter sowie im Massenstart ein Gold-Triple. Und bei der vergangenen Junioren-WM im japanischen Hachinohe holte er, leicht geplättet von der langen Saison, Silber im Sprintmehrkampf und über 1.500 Meter sowie Bronze im Sprintmehrkampf. Zum Teil Erfolge, die er noch vor dem 17. Geburtstag abgeliefert hat – auch gegen ältere Gegner.
Sonnekalb bringt neben viel Power auch ein begnadetes Körpergefühl
mit, das man kaum erwerben
kann, sagt sein Trainer Harald Harnisch. Außerdem verliert er in jener Zone, wo andere zu knautschen haben,
kaum Tempo. Oder gar die Nerven. „Er ist schon etwas aufgeregt, wenn es
losgeht“, sagt Harnisch, der Sonnekalb seit drei Jahren trainiert.
„Aber zum Wettkampf hin ist er eben auch wieder ’ne coole Socke. Das
macht ja die besten Sportler aus.“
Der gut 90 Kilogramm schwere Athlet und sein Trainer haben sich auf einen ehrgeizigen Fahrplan geeignet. Bis zum März möchte er an den letzten Weltcups der Senioren teilnehmen. Dabei soll sich zeigen, „ob wir die ein bisschen kitzeln können“, sagt Harnisch. Sie denken aber auch an die kommende Saison, als Höhepunkt finden da im Milano Ice Park die olympischen Wettbewerbe im Eisschnelllauf statt. Dort könnte Sonnekalb auf den längeren Sprintstrecken „ganz weit vorne“ landen, sagt Harnisch, wenn er sich weiter so entwickelt.
Es wäre mal wieder Zeit. Seit dem dritten Platz von Jens Boden in Salt Lake City (2002) wurde kein deutscher Eisschnellläufer mehr auf einem Podest mit den fünf Ringen gesehen – einzig Athletinnen wie Anni Friesinger oder Claudia Pechstein sahen bei Siegerehrungen die deutsche Fahne wehen.
Die Entscheidung darüber, ob Sonnekalb so jung zu den Spielen soll, bleibt jedoch weiter offen, sagt Nadine Seidenglanz. „Finn hat alle Voraussetzungen, um mal ein ganz Großer zu werden. Trotzdem muss man da behutsam rangehen“, sagt die frühere Topläuferin und heutige Sportdirektorin der Deutschen Eisschnelllauf- und Shorttrack-Gemeinschaft (DESG). Es gibt nämlich eine Lachsschwelle zwischen den besten Junioren und den besten Senioren, und an der möchte der Verband seinen Hoffnungsträger nicht verlieren. Zu hohe Erwartungen können im Sport schnell zum Ballast werden.