
In seiner Doktorarbeit vergleicht er die Kulturpolitik der „Autostadt“ und die von Gelsenkirchen, der „Stadt der tausend Feuer“, in der Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders.
Beide Städte wollen sich emanzipieren: von ihrer Vergangenheit als Standorte der nationalsozialistischen Rüstungsindustrie, von den traditionsreichen Städten in ihrer Umgebung, letztlich auch vom Einfluss der Industrie. Mittel der Wahl sind kulturpolitische Leuchtturmprojekte. Während 1959 die documenta II „die abstrakte Gegenwartskunst als bundesdeutschen und internationalen Trend setzt“, so Köster, wird in Wolfsburg schon 1958 erstmals der Preis „Junge Stadt sieht junge Kunst“ verliehen.
Parallel öffnen in Gelsenkirchen die Städtischen Bühnen, das heutige Musiktheater im Revier. „An diesen Ort sollte vor allem der Arbeiter kommen, um mit der Theaterkunst kulturell erzogen zu werden“, sagt Köster.
VW-Chef Heinrich Nordhoff soll bei Entscheidungen über Kultur ein Veto-Recht gehabt haben
Solch „volkserzieherischen“ Charakter haben auch die Wolfsburger Bestrebungen. „Die arbeitende Bevölkerung war immer mitgedacht, sollte zur abstrakten Gegenwartskunst erzogen werden“, sagt Köster. Doch diese Top-down-Struktur habe nicht funktioniert. So habe Gelsenkirchen versucht, klassische Kunstsammlungen zu etablieren, „nur stellt man fest, dass nur die dünne Bildungsbürgerschicht der Stadt diese Kunst konsumiert“.
Wolfsburg will zu Beginn der 1960er für 60.000 D-Mark eine Plastik von Henry Moore ankaufen. „Es gab Protestwellen, es gab Leserbriefe in der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung, die gesagt haben, dieses Geld für ein Kunstwerk, das sie gar nicht verstehen, soll doch lieber anderweitig in kulturelle Bildung fließen.“
Köster spricht von „Emanzipationsbestrebungen, die nach innen und außen nicht funktioniert haben“. Volkswagen bleibt eine Macht in der Stadt. So veranstaltet VW-Patriarch Heinrich Nordhoff in den 1950ern und 60ern mehrere ganz nach seinem Geschmack kuratierte Ausstellungen. „Das, was er gut fand, hat er gezeigt“ – nämlich Klassiker.
Damit konterkariert er Bestrebungen, Wolfsburg als Stadt abstrakter Gegenwartskunst zu etablieren. Darüber hinaus habe er bei Kulturentscheidungen ein regelrechtes Veto-Recht gehabt. „Die kommunalen Entscheiderinnen und Entscheider sind – das ist in Privatnotizen vermerkt – teilweise wie Bittsteller hingegangen.“
Strukturwandel verändert Kulturlandschaft
Der sechs Millionen D-Mark teure Bau des Kulturzentrums, heute Alvar-Aalto-Kulturhaus, wäre ohne die von VW beigesteuerten zwei Millionen nicht möglich gewesen. Zur Eröffnung 1962 berichten Medien bundesweit. „Viele dieser Beiträge sind sehr wohlwollend, aber es wird trotzdem immer von der Volkswagen-Stadt gesprochen, nicht von Wolfsburg.“
In Gelsenkirchen regiert dagegen der Strukturwandel mit: Textilkrise, Bergbaukrise, Stahlkrise – weniger Arbeitsplätze, weniger Gewerbesteuereinnahmen, weniger Kultur. „Dieses Vakuum wird dann zum Beispiel durch bürgerliche Initiativen wie den Kunstverein gefüllt“, sagt Köster. „Auch bemerkenswert ist, dass interkommunale Zusammenarbeit viel mehr im Fokus steht.“
Bürgerliche Initiativen statt Konzernentscheidungen
Das moderne Stadttheater kooperiert mit Bochum und Dortmund. In Gelsenkirchen sei die Kulturlandschaft bis heute stark durch bürgerliche und private Initiativen geprägt, sagt der Historiker, „aber in Wolfsburg bleibt Volkswagen einfach eine Macht“.
Anfang der 1970er beschließt der Konzern massive Konsolidierungsmaßnahmen. „Das reduziert die Gewerbesteuereinnahmen von knapp 44 Millionen D-Mark 1970 auf 16,6 Millionen 1971.“ Aus dem Kunstpreis „Junge Stadt sieht junge Kunst“ wird 1973 das „Forum junger Kunst“ unter Mitwirkung der Städte Bochum, Recklinghausen, Baden-Baden, Mannheim und Stuttgart. 1994 wird das Kunstmuseum eröffnet, getragen von der Kunststiftung Volkswagen.
Sechs Jahre später geht der Freizeitpark Autostadt in Betrieb. Auf Initiative der Stadt Wolfsburg öffnet 2005 das Wissenschaftsmuseum phaeno, das später in eine Stiftung übertragen wird – finanziell unterstützt von VW. „Ich würde sagen, dass eine jetzige Krise sich nicht unbedingt sofort auf den Kulturbereich der Stadt auswirken würde“, sagt Köster. „Das Stiftungswesen ist ein eigener Kulturplayer geworden – in enger Kooperation mit Volkswagen – aber das ist viel diversifizierter aufgestellt und krisenfester.“