Filmklassiker „Tron: Legacy“: Sie ist der Beweis

Der Vater Kevin Flynn hat die Rasterstadt im Computer entdeckt und zu einem tiefen Kosmos erweitert. Dann kehrte er zurück in unsere Alltagswelt und übernahm dort die Firma, der die Rechner gehören, in denen die Rasterstadt leuchtet. So erzählt’s Steven Lisbergers Film „Tron“ (1992). In Joseph Kosinskis Fortsetzung „Tron: Legacy“ (2010) geht’s weiter: Kevin zeugt Sam, dann stirbt dessen Mutter, aber der Witwer kümmert sich zu wenig um den Sohn, wegen Schwierigkeiten im Raster (ein übergeschnapptes Programm namens Clu drängt zur Macht) und nie zuvor gesehener Wesen („isomorphe Algorithmen“) ebendort.

So verschwindet der Vater im Raster und bleibt verschollen, bis der Sohn ihm folgt. Anstelle einer reinen Vater-Sohn-Geschichte aber geht es bald um viel Interessanteres: um eine Tochter beziehungsweise Halbschwester, ein Wunder. Das zeigt sich während zirkusartiger Actionspiele mit Motorfahrzeugen, entworfen vom Filmdesigner Daniel Simon und sogar real verkehrstüchtig.

Als hätten Maschinen magische Muskeln

Simon hat sich beim Design als Jünger des großen Syd Mead zu erkennen gegeben, von dem der Fahrzeugpark für den Urfilm der „Tron“-Reihe stammt – und viel Filmphantastik sonst, von „Blade Runner“ (1982) über „Mission: Impossi­ble III“ (2006) bis „Elysium“ (2013). Das mobile Tron-Inventar sieht aus, als hätte jede dieser Maschinen magische Muskeln, eine Seele und immer Durst nach Selbsterprobung, genau wie die Frau, die den gefährdeten Sam Flynn aus der Arena rettet, wo er von Hochgeschwindigkeitsverkehrsmitteln geschlachtet werden soll.

Sie erscheint im schwarzen Auto mit weiß-blauen Verzierungen und streckt dem soeben geretteten neuen Beifahrer die Hand entgegen, um sich vorzustellen: „I’m Quorra.“ Auf besorgte Fragen lacht sie wie Janet Jackson im Song „Runaway“, nein, besser: wie eine Blume mit außen schwarzen und innen feuerroten Blütenblättern. Der Gerettete (und Entführte) will wissen: „Where are you taking me?“ Sie beruhigt ihn belustigt: „Patience, Sam Flynn. All your questions will be answered soon.“

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Die Antwort auf seine Fragen kommt dann tatsächlich schnell: Die Retterin wohnt beim Erbauer des inzwischen aus eigener Kraft wachsenden Rasters. Der alte Weise versteckt sie in seiner Festung vor dem Diktator Clu; Quorra ist der letzte lebende isomorphe Algorithmus. Clu hat ihresgleichen also fast ausgerottet; er will Ordnung ohne Überraschungen, und als die erste Isomorphe aus dem Meer der Simulationen stieg (sie hieß Ophelia), erwies sie sich als größte Überraschung, die im Raster je vorgekommen war.

Quorra befindet sich bei Flynn senior in einer Art Ausbildung des Geistes wie des Herzens; er teilt seine Bücher mit ihr, am meisten liebt sie ­Jules Verne. Die Isomorphen halten viel von Informationen, in denen Wissen und Spekulation zueinanderfinden; ihr eigener Name spricht schließlich von einer solchen Begegnung: Ein Morphismus ist in der Mathematik eine Funktion, die ein beliebiges Dingsbums A auf ein anderes Dingsbums B abbildet, und bei einem Isomorphismus werden alle Elemente von A auf alle Elemente von B bezogen, je eins auf je eins.

Eine Perspektive aus großer Begriffshöhe

Der faszinierendste Isomorphismus in der Geistesgegend, in der Kevin Flynn sich auskennt, ist der nach drei Großen der Forschung benannte Curry-Howard-Isomorphismus. Er handelt von der wechselseitigen Übertragbarkeit von Computerprogrammen in formallogische Beweise und umgekehrt. Die Tauglichkeit von Computerprogrammen wird traditionell oft in Testläufen ermittelt; aber diese Tests können nur die Anwesenheit von Fehlern aufzeigen, niemals deren absolut gewisse Abwesenheit (es könnte immer sein, dass der Test einen Fehler nicht erwischt), während ein mathematischer Beweis nicht nur sagen kann, was ist, sondern sogar, warum es so sein muss. „Willst du etwas sicher wissen, dann probier’s nicht aus, sondern beweise es“ (Samuel Mimram): Der Curry-Howard-Isomorphismus erlaubt uns, aus unerschütterlichen Beweisgängen rechnerischen Inhalt zu ziehen, womit eine Art Wahrheitsquelle gefunden wurde, die für eine Datenwelt wie die in „Tron“ mindestens so wichtig ist wie eine Energiequelle.

Beweise sind nach Curry und Howard Programme, wie Ideen eine Art Lebewesen sind oder wie Personen sowohl Fragen wie Antworten verkörpern – eine Perspektive aus großer Begriffshöhe, die aber in „Tron: Legacy“ miterlebt werden kann als Abenteuer, das wir glauben, weil Jeff Bridges als Flynn senior, Garrett Hedlund als Flynn junior und Olivia Wilde als Quorra die ganze abstrakte Innenhandlung mit allen Registern der Leiblichkeit, vom verstohlensten Blick bis zum riskanten großen Wurf, vorbehaltlos in Action übersetzen.

Und so springt die Heldin aus dem Kopf ihres Vaters, ohne dass er sie sich hätte konkret ausdenken müssen. Denn es reicht, dass er eine Welt schuf, die genau so eine Heldin, genau so ein Programm dringend braucht – und daher auch hervorbringt. Was zu beweisen war.