Filme mit Jessica Chastain und Marion Cotillard

Ein Mann steigt aus dem Laderaum eines Lastwagens, in dem er mit fünfzig anderen Flüchtlingen aus Mexiko eingesperrt war, und läuft hinaus in die Nacht. Er irrt durch die Wüstenlandschaft von Texas, erschöpft und nah am Verdursten, bis es hell wird. Eine mitleidige Autofahrerin nimmt ihn mit und gibt ihm Wasser, Essen und einen Schlafplatz. Per Anhalter fährt der Mann weiter, bis er in San Francisco ankommt. Dort läuft er eine Straße in einer schicken Wohngegend entlang, klettert über einen Zaun, findet einen Schlüssel zu einem Apartment und öffnet die Tür. Am Abend hält draußen ein großer Wagen, eine elegant gekleidete Frau steigt aus und läuft ins Schlafzimmer. Der Mann liegt in ihrem Bett, und sie fragt: „Wie bist Du hergekommen?“ Dann schläft sie mit ihm.

So beginnt einer der bislang interessanteren Beiträge im Wettbewerb der Berlinale, Michel Francos „Dreams“. Der mexikanische Regisseur hat eine globalisierte Version der Geschichte gedreht, die Halina Rejin in „Babygirl“ erzählt, und dabei die Machtbalance des Liebespaares politisch scharf gestellt.

Die Balance von Liebe, Alter und Schönheit

Die Rolle von Nicole Kidman spielt hier Jessica Chastain, deren Figur aus einer kalifornischen Industriellendynastie stammt, und ihr junger Liebhaber ist Isaac Hernández, ein Gasttänzer am American Ballet Theatre. Die Romanze zwischen der reichen Erbin und dem illegalen Immigranten aus Mexiko kann nicht lange halten, das folgt unmittelbar aus ihrer sozialen Statik, aber die Art, wie Franco das Scheitern dieser Liebe in Szene setzt, verrät einiges mehr über die Verhältnisse von Geld und Sex, Alter und Schönheit, als es „Babygirl“ vermag.

74. Filmfestspiele in Berlin
74. Filmfestspiele in BerlinF.A.Z.

Jennifer schämt sich vor ihrer Familie für den Geliebten, obwohl er das Ziel aller ihrer Wünsche ist, und Fernando muss erkennen, dass er das selbstbestimmte Leben, das er führen möchte, mit ihr nicht erreicht. Als er beim San Francisco Ballet eine Stelle bekommt, verrät sie ihn an die Immigrationspolizei; als er es nach seiner Ausweisung erfährt, sperrt er sie in ihrem Haus in Mexiko City in einem Zimmer ein und nimmt ihr so die Bewegungsfreiheit, die für sie selbstverständlich ist. Am Ende siegt der soziale Unterschied über die Passion, die ihn einebnen wollte.

Die Achillesferse von „Dreams“ ist seine Besetzung. Hernández ist ein erstklassiger Tänzer, aber kein Schauspieler, so dass Jessica Chastain den Film fast allein tragen muss. Das gelingt ihr eindrucksvoll, aber „Dreams“ hinkt dennoch auf einem Bein ins Ziel. Insofern ist Francos Film ein gutes Beispiel für das Dilemma des politischen Kinos, mit dem sich die Berlinale gern schmückt: Entweder wird es von Profis gespielt, die himmelweit über dem Elend schweben, das sie darstellen, oder es macht mit der Authentizität ernst und landet beim Amateurtheater. Vielleicht hatte Jean-Luc Godard doch nicht so unrecht mit seinem Satz, man solle aufhören, politische Filme zu drehen, und lieber alle Filme politisch machen.

Spagat zwischen Geld und Liebe: Jessica Chastain in Michel Francos „Dreams“
Spagat zwischen Geld und Liebe: Jessica Chastain in Michel Francos „Dreams“dpa

Die Wettbewerbsbeiträge aus England und Frankreich suchen das Politische im Privaten. In „Hot Milk“ liefern sich Fiona Shaw und die durch „Sex Education“ bekannt gewordene Emma Mackey als Mutter und Tochter in einem südspanischen Ferienparadies ein Generationenduell. Die Mutter sitzt seit zwanzig Jahren ohne messbare körperliche Symptome im Rollstuhl, die Tochter betreut sie und hat davon die Nase voll. Das klingt nach bestem britischen Kino, aber der Zweikampf findet nicht statt, weil der Film ihn ständig auf Nebenfiguren ablenkt: eine deutsche Künstlerin (Vicky Krieps), die sich in die junge Engländerin verliebt, einen Klinikchef, der die ältere Engländern heilen will, und andere mehr.

So flüchtet sich Rebecca Lenkiewicz, die Regisseurin, ins Poetische, das des Dramatischen schlimmster Feind ist, sie filmt die schöne Landschaft und die schönen Körper und lässt ihre Schauspieler schöne Drehbuchsätze aufsagen. Lenkiewicz hat als Autorin einen Ruf, zuletzt schrieb sie das Skript zu Maria Schraders MeToo-Drama „She Said“, aber ein Regietalent ist sie womöglich nicht.

Jede Zeit braucht ihr eigenes Irrlicht

Auch die Französin Léonor Serraille kommt mit guten Empfehlungen nach Berlin, ihr letzter Film lief im Wettbewerb von Cannes. „Ari“, ihr neuestes Werk, handelt von einem Grundschullehrer, der nach einem Zusammenbruch im Un­ter­richt seine Jugendfreunde besucht, um zu begreifen, was mit ihm und ihnen auf ihrem Weg ins Leben passiert ist. Auch in diesem Stoff steckt ein Generationenporträt, aber es kommt nicht richtig heraus, weil Léonor Serraille die kleinbürgerlichen, zwischen Familienleben und Prekariat vagabundierenden Charaktere, die sie zeigt, nur wie Bilder einer Ausstellung vorüberziehen lässt.

Der leere und erwartungslose Blick, mit dem ihr Hauptdarsteller Andranic Manet auf die Welt der Pariser Vororte schaut, entspricht genau dem Kamerablick von „Ari“, und es hilft nichts, sich zu sagen, dass Louis Malle dies alles vor sechzig Jahren in „Das Irrlicht“ schon besser und dringlicher erzählt hat. Jede Zeit braucht ein neues „Irrlicht“, aber Léonor Serraille hat es nicht gedreht.

Umarmung am Strand: Emma Mackey und Vicky Krieps in „Hot Milk“
Umarmung am Strand: Emma Mackey und Vicky Krieps in „Hot Milk“dpa

Wie man die alten Kinoformeln überzeugend aktualisiert, zeigt der zweite französische Beitrag im Wettbewerb. In „La tour de glace“ („Der Eisturm“) von Lucile Hadžihalilović flüchtet ein Mädchen aus einem Waisenhaus in den Alpen in die Großstadt. Dort angekommen, sucht sich Jeanne einen Unterschlupf in einem Keller. Als sie am nächsten Morgen in dem Gebäude erwacht, rieselt Schnee von der Decke. Durch einen Türspalt blickt sie in eine Winterlandschaft, durch die eine Frau mit weißen Haaren, Glitzerkleid und Krone auf sie zuschreitet. Jeanne ist in einem Filmstudio gelandet, und die Saga von der Schneekönigin, die dort gerade gedreht wird, ist ihr Lieblingsmärchen.

Von da an ist „Der Eisturm“ immer beides gleichzeitig: ein Fiebertraum von der schöneren, wahreren und auch schrecklicheren Welt des Kinos und die Geschichte eines Kindes, das verloren ist in der wirklichen Welt. Auf dem Set wird Jeanne zum Liebling der Hauptdarstellerin (Marion Cotillard) und zweiten Star des Films, aber in der Realität kriegt sie kein Bein auf den Boden. Dennoch schreibt sich ihre Sehnsucht in die Bilder ein, bis die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit zu groß wird ist und Blut in den Studio-Schnee tropft.

So geht das mit den Träumen, die nur die Kamera sieht: Sie alle fallen, wie das Kino selbst, der Zeit zum Opfer. In fünf Tagen wird in Berlin eine Filmkrone vergeben. Bis dahin ruht das Festival unter der Schicht aus gefrorenem Schnee, der die Hauptstadt rechtzeitig zum Berlinale-Beginn überzogen hat.