
Wer sich heute an Franz Kafka wagt, steht vor einem Paradox: Alles scheint über ihn gesagt – und doch versucht man immer noch, das Unsagbare zu bebildern. Da bleibt nur noch die Möglichkeit, sich seinem Tun, Denken und Sein aus einem radikal von der gängigen Lesart abweichenden Blickwinkel zu nähern.
Doch im Falle von Franz Kafka scheint selbst das eine Schwierigkeit zu sein. Das Brennglas wurde bereits aus so vielen Winkeln auf diese Biografie gerichtet, dass sich kaum noch eine Neigung finden lassen dürfte, aus der sie sich neu entflammen lässt, anstatt sie nur weiter zu versengen. Selbiges gilt für das reiche, aber schmale Werk des Schriftstellers aus Prag.
Das Verhältnis zwischen dem, was der Fachmann für das Fragmentarische selbst geschrieben hat, und dem, was über ihn verfasst wurde, liege bei eins zu zehn Millionen, heißt es in „Franz K.“, dem neuen Film von Agnieszka Holland. Aus dem Mann, der an seinen Freund die letzte Bitte richtete, alles Ungedruckte „restlos und ungelesen zu verbrennen“, wurde nicht nur einer der meistgelesenen, sondern auch einer der meistinterpretierten Autoren der Moderne.
Dass Agnieszka Holland („Green Border“) eigentlich mit dieser regelrechten Deutungsindustrie brechen möchte, lässt sich schon am Titel erkennen. Zum bewussten Verzicht auf den zum suggestiven Schlagwort geratenen Nachnamen gesellen sich im biografischen Drama mehrere Szenen, die direkten Bezug auf die unschönen Seiten des Status des Schriftstellers als „objet du désir“ nehmen.
„Franz K.“. Regie: Agnieszka Holland. Mit Idan Weiss, Peter Kurth u. a. Tschechien 2025, 127 Min.
Schale Polemik
Was vermutlich als sarkastische Spitze intendiert ist, gerät allerdings allzu oft zur schalen Polemik: Einmal etwa erscheint, nachdem der junge Franz (Daniel Dongres) von seinem Vater (Peter Kurth) trotz mangelnder Schwimmerfahrung in den See gestoßen wurde, plötzlich eine chinesische Touristengruppe am selben Badesteg von Černošice – selbstverständlich mit Selfie-Sticks ausgestattet.
An anderer Stelle steht neben der Kafka-Büste in Prag auf einmal ein Fastfood-Restaurant namens „Kafka-Burger“, vor dem – natürlich – ein US-amerikanischer Tourguide erklärt, der Schriftsteller habe hier ein halbes Jahr lang Essen geordert, als er an seinem Roman „Amerika“ schrieb.
Der plump vorgebrachte Vorwurf, Kafka werde ausgerechnet für touristische Zwecke vereinnahmt, verfehlt außerdem sein Ziel: Zwar wird die tschechische Hauptstadt von Besuchern aus aller Welt überlaufen, doch gerade in das sehr charmante, aber erstaunlich kleine und abseits der Altstadt gelegene Kafka-Museum verirren sich die wenigsten von ihnen.
Vielmehr zur Trivialisierung seines Werkes wie seiner Person trägt eine Popkultur bei, die den Schriftsteller leichtfüßig zum leeren Symbol für den schrägen Außenseiter und ein vages Lebensgefühl der Entfremdung macht. Ironischerweise bildet „Franz K.“ da selbst keine Ausnahme: Abseits vereinzelter Meta-Einschübe begnügt sich der Plot mit einer erstaunlich routinierten Reproduktion seines Mythos.
Verstaubtes Kostümstück
Vom tyrannischen Vater, der das nächtliche „Geschreibsel“ seines Sohnes verhöhnt, über den bleiernen Büroalltag in der Versicherung und die endlosen Briefwechsel mit Felice Bauer (Carol Schuler) bis hin zur kurzen glücklichen Episode mit der Übersetzerin Milena Jesenská (Jenovéfa Boková), seiner Tuberkuloseerkrankung und dem frühen Tod: Drehbuchautor Marek Epstein reiht all die bekannten Stationen so brav aneinander, dass „Franz K.“ streckenweise kaum mehr Spannung entfaltet als ein Lehrfilm für den Schulunterricht.
Die beige-braune Kulisse lässt das Ganze zusätzlich wie ein verstaubtes Kostümstück erscheinen. Vereinzelte Brüche – etwa wenn Kafka tiergesichtigen Saunagästen gegenübersitzt oder erschrocken seine von einer feinen Membran überzogenen Hände betrachtet – fügen sich kaum in den Erzählfluss und wirken wie forcierte Einsprengsel, die pflichtschuldig das Klischee des sonderbaren Schriftstellers untermauern sollen.
Der fragwürdigste Einfall in „Franz K.“ ist jedoch der Bruch mit der vierten Wand: Der Vater, die Verlobte und andere Wegbegleiter wenden sich unvermittelt direkt an die Kamera und liefern ihre ganz persönliche Sicht auf Kafka. Das wirkt nicht nur wie aus einer Mockumentary entlehnt – und damit unfreiwillig komisch –, sondern wiederholt weiter altbekannte Zuschreibungen, anstatt neue Perspektiven zu öffnen.
Damit ist die drängendste Frage, die „Franz K.“ aufwirft, zugleich die bitterste: Wie konnte ein derart uninspirierter und ungelenker Film ausgerechnet unter der Regie von Agnieszka Holland entstehen? Seit Jahrzehnten zählt die polnische Filmemacherin ganz zu Recht zu den markantesten Stimmen des europäischen Autorenkinos, befeuert von politischer Schärfe und einem feinen Gespür für historische Härten.
In Filmen wie „Red Secrets“ oder „Charlatan“ hat Agnieszka Holland zuletzt eindrucksvoll Persönlichkeiten porträtiert, die zuerst in die Mühlen der Geschichte und dann in Vergessenheit geraten sind. Man möchte also hoffen, dass sie ihren Blick künftig wieder dorthin wendet, wo ihr Werk stets am stärksten war: zu diesen oft unbesungenen, mit Osteuropa verwobenen Figuren, die ein Mehr an Aufmerksamkeit aber weit besser gebrauchen können als ein längst zerredeter Kafka.