
Veranstaltungsorte können sich verwandeln. Das Ballhaus Ost etwa, seit knapp 20 Jahren ein Pfeiler der Berliner freien Szene, war ursprünglich der Festsaal einer freikirchlichen Gemeinde. Momentan findet hier eine neuerliche Transformation statt: Basketballkörbe hängen an den Wänden, Linien für Spielfelder diverser Mannschaftssportarten sind aufs Parkett gezogen, statt der klassischen Tribünenbestuhlung sind bunte Turnmatten verteilt, auf denen sich die einen dekorativ lagern und die anderen sich an diversen Leibesübungen versuchen können.
Die Bar wurde von einer Dartpfeile werfenden Jungsgruppe in Beschlag genommen. Und auf dem Hof strampelt ein einsamer Radler auf einem Hometrainer.
Im Ballhaus ist „Sportfest“ angesagt, ein Festival über fast den gesamten Monat Juni, das athletische mit künstlerischer Performance verknüpft. Ein zunächst ungewöhnlicher Zugriff – und zugleich einer, der sofort Resultate zeigt: Das Publikum mischt sich. Jurorinnen vom Theatertreffen sind zu sehen. Aber auch ein vollzähliges Volleyballteam kommt im lockeren Sportoutfit an, eine Volleyballerin sogar mit Krücken: klassischer Sportunfall, Bänderanriss durch Umknicken des Fußes.
Eine der Performances des Eröffnungswochenendes hat dann auch ganz passend das Leiden im Sport als Thema. Norwin Tharayil (aka elfrid the third), der in der Jugend davon träumte, Basketballprofi in der NBA zu werden, wirft in „Growing Pains“ künstlerisch bearbeitet anatomische Bilder von menschlichen Körpern an die Wände und singt und spricht sich dabei durch seine Sportlerbiografie. Von Schmerzen ist dabei die Rede, vom Überwinden von Grenzen. Auch davon, wie sich Leistungsdruck und Wettkampfmentalität in die Seele wie in die Eingeweide schreiben.
Manches Bein, mancher Arm zuckt in Andeutung der Nachahmung einer Wurfbewegung auf dem Feld
Zu den Schmerzen, die bei sportlicher Betätigung wachsen, gesellt sich bei „Growing Pains“ noch der wachsende Schmerz Tharayils, trotz gewisser Wachstumsanzeichen wie großer Füße doch nicht derart in die Höhe zu schießen, um es mit Recken wie Shaquille O’ Neal aufnehmen zu können. Außerdem spielt Tharayil weiterhin ziemlich gekonnt Basketball und lädt ein paar sehr unterschiedlich gewachsene Kids aus Berlins Amateursportvereinen dazu ein. Bei den fünfminütigen Spielsequenzen erwacht dann auch bei dem locker auf Matten lungernden Publikum so etwas wie Sportsgeist.
Adrenalin schießt durch den Körper, das Herz pumpt schneller, die Lungen weiten sich, um mehr Sauerstoff in die Blutbahn zu bringen. Manches Bein, mancher Arm zuckt in der Andeutung der Nachahmung einer Wurf- oder Meidbewegung auf dem Feld. Und Korberfolge dort werden auch auf den Matten lautstark gefeiert.
Weniger gut springt der Funke beim „Fat Camp“ über. Jil Dreyer und Joey Mehling lassen sich zwar ein paar Regeln aus herkömmlichen Drill Camps und Mentalcoach-Workshops einfallen, um Rekruten für eine antikapitalistische Revolution auszubilden, verharren dabei aber zu oft im karikaturenhaft überzeichneten Brüllmodus. Ausgesprochen hübsch ist jedoch das Bild, wenn die Poolnudeln ins Spiel kommen. Dann entsteht eine schön anzusehende kollektive Skulptur, der sogar eigenes Leben innezuwohnen scheint, als im Moment des kollektiven Loslassens der Nudelenden, die Biegekräfte der in rundliche Formen gepressten langen Schaumstoffstangen für immer neue Bewegungen sorgen.
In der Bar im ersten Stock erzählen unter dem Motto „Dartista, Dartista, Antifascista“ Spieler des antifaschistischen Dartvereins Zebras von ihrem Pfeilesport und auch von ihrem Kampf gegen rassistische und homophobe Stereotypen in den davon leider nicht selten heimgesuchten Eckkneipen, in denen sonst Pfeile auf Scheiben fliegen.
Sportfest, Ballhaus Ost, bis 21. Juni
Im Erdgeschoss füttert das Sportmuseum Berlin aus seinem reichen Bestand aus Pokalen, Wimpeln, Sportabzeichen und anderen Devotionalien eine kleine Ausstellung. Auch einen gemeinsam mit Schweizer Olympiaausbildern entwickelten Leistungstest kann man im Projekt „Das Laktat“ von Yves Regenass am eigenen Körper ausprobieren.
Anne Brammen, die vom Ballhaus Ost aus das Sportfest gemeinsam mit den Ideengebern Kristofer Gudmundsson und Hieu Hoang organisiert, freut sich noch besonders auf die Turniertanzperformance „Fake Diamonds“ von René*e Reith (20. und 21. 6.) sowie auf einen Frauenselbstverteidigungskurs von Natasha Borenko und Lidiia Golovanova („Self Defence – No Offence“, 19. und 21. 6.). Athletik und Dialektik dürften auch hier auf feine Art und Weise zusammenkommen.
Das Sportfest ist ein origineller Versuch, durchaus verwandte, meist aber doch sehr getrennt voneinander betrachtete menschliche Aktivitäten wieder näher zusammenzubringen.