Ferrari steckt in Krise vor Grand Prix in Las Vegas – Sport

Treue. Schwüre. Loyalität. Es gibt kaum einen anderen Ort in der Formel 1, an dem diese Begriffe so gut aufgehoben sind wie bei der Scuderia Ferrari. Bei keinem anderen Rennstall werden sie allerdings auch so strapaziert wie bei der ewigen Drama-Queen der Boxengasse. Das italienische Nationalteam steckt vor dem Großen Preis von Las Vegas mitten in einer Krise. Auf selbst für seine Verhältnisse hohem Niveau. Nach dem dritten Komplettausfall in dieser Saison, zuletzt in Interlagos, ist Ferrari nur noch Vierter der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft hinter Champion McLaren, Mercedes und dem Ein-Mann-Team Red Bull Racing. Das würde in der Endabrechnung schlanke 30 Millionen Euro an Preisgeldern kosten.

Alle rätseln, woher die Formschwankungen, die sich allmählich als Abwärtstrend stabilisiert haben, kommen. Ratlosigkeit ist in einem prinzipiell berechenbaren technischem Sport meist kein gutes Zeichen, die Diskussionen beschleunigen sich sofort in den emotionalen Bereich.

John Elkann, der oberste Chef von Ferrari, hatte sich zwei Tage nach dem Desaster von Brasilien, wo Charles Leclerc und Lewis Hamilton jeweils nach Unfällen das Rennen nicht beenden konnten, bei einer Veranstaltung zu Wort gemeldet, bei der es eigentlich um die anstehenden Winterspiele in Mailand und Cortina gehen sollte. Prinzipiell eine gute Gelegenheit, Gemeinsamkeiten zu betonen und den Siegeswillen zu beschwören. Der 49 Jahre alte Manager lobte die Mechaniker, er gestand den Ingenieuren gute Arbeit zu. Damit war sein olympischer Geist erschöpft. Denn über seine Chauffeure sagte er: „Unsere Fahrer täten gut daran, weniger zu reden und sich stattdessen mehr auf ihren Job zu konzentrieren.“ Die Botschaft kann auch so übersetzt werden: Sie sollen mehr an Ferrari und weniger an sich denken.

Die Ränkespiele bei Ferrari sind gefürchtet, sie haben den Rennstall in der Vergangenheit häufig gespalten und gelähmt.

In den Kontext gesetzt, dass Elkann eher selten und dann sehr besonnen öffentlich spricht, ist der interpretierbare Auftritt eine Warnung, Kategorie: die letzte. Oder vielleicht auch ein Ausdruck von Verzweiflung. Den Spekulationen, das zeigten die Reaktionen in Italien und in den sozialen Medien, hat er mit seiner kurzen Moralpredigt aber die Garagentore weit aufgemacht. In Maranello ist wieder Feuer unter dem Dach, und Elkanns Zitate wirken in der vorherrschenden allgemeinen Verunsicherung wie ein Brandbeschleuniger. Da kann der Vertrag mit Teamchef Fred Vasseur noch so vorzeitig verlängert worden sein, die Diskussion greift auch auf den Franzosen über. Die leidenschaftlichen Ränkespiele in der gestione sportiva sind gefürchtet, sie haben den Rennstall in der Vergangenheit häufig gespalten und gelähmt. Gegenseitige Schuldzuweisungen wären der Anfang davon.

Beim drittletzten Rennen der Saison an diesem Wochenende in Las Vegas wird deshalb der Schulterschluss geübt. Die Fahrer reagieren auf Nachfragen zu den Vorwürfen und zur Stimmung so, als ob sie von einem imaginären Teleprompter ablesen würden. Lewis Hamilton sprach ungewohnt leise, was ein alter Trick ist. Der Rekordweltmeister, der noch immer ohne Podiumsplatz in Rot ist, gab sich diplomatisch: „Ich habe eine gute Beziehung zu John. Wir sprechen regelmäßig miteinander.“ Das sollte gegenüber den Journalisten wohl heißen: Wir sprechen nicht übereinander, probiert es also gar nicht.

Kollege Leclerc bestätigt, dass er nach jedem Grand Prix mit Elkann telefoniere. Der Monegasse, der seit sieben Jahren sein Glück bei Ferrari sucht, will nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen: „John sagt, was er denkt. Er war immer offen zur mir, in guten wie in schlechten Zeiten. Wir lieben beide Ferrari. Sein Ziel ist es, das Beste aus jedem von uns herauszuholen. Ich bin da ganz mit ihm auf einer Linie.“ Da das dem seit über einem Jahr sieglosen WM-Fünften offenbar bisher nicht theatralisch genug erschien, fügte er musterschülerhaft an: „John hat es nur gut mit uns gemeint. Er wollte alle nur wachrütteln, damit wir besser werden.“ Wie nett.

Schon in den ersten Reaktionen auf ihren Instagram-Konten hatten die Kritisierten sich in Solidarität geübt. „Ich stehe hinter meinem Team, ich stehe hinter mir. Ich werde nicht aufgeben. Nicht jetzt, nicht später, nie“, schrieb Hamilton seinen 42 Millionen Followern. Live in Nevada wollte er zunächst nicht über die schwelenden Vorwürfe sprechen. Doch eine Anschuldigung konnte er auf keinen Fall auf sich sitzen lassen: „Sich noch mehr auf den Job zu konzentrieren, als ich es ohnehin schon tue, geht gar nicht. Ich denke an meine Arbeit, wenn ich einschlafe und wenn ich aufwache. Manchmal verfolgt sie mich bis in meine Träume.“ Der WM-Sechste und teuerste Zugang in der Ferrari-Historie beschwört die Einheit, auch wenn sich seine Diskussionen mit dem Kommandostand über Boxenfunk häufig anders anhören: „Wir alle ziehen an einem Strang, um das Schiff in eine bessere Richtung zu drehen. Aber es braucht seine Zeit, große Dampfer in eine andere Richtung zu stoßen.“

Es geht ums Durchhalten und die Hoffnung, dass gerade er mit der anstehenden Regelrevolution 2026 endlich das Trauma der sogenannten Groundeffect-Rennwagen los wird, das ihn schon bei Mercedes gehemmt hatte. Die aktuellen Boliden vertragen aufgrund ihrer Aerodynamik Hamiltons aggressive Fahrweise nicht so gut, mit spätem Bremsen und scharfem Einlenken. „Es ist ein ziemlich hartes Jahr, das schwierigste vermutlich, das ich je gehabt habe. Aber ich verliere das Ziel nicht aus den Augen.“ Die Aufmerksamkeit, die Ferrari genieße, mache alles nicht gerade einfacher, sei nicht immer positiv. Den Auftritt in Brasilien bezeichnete er als „Albtraum“, die zweithöchste Selbstkritik nach Ungarn, wo sich der 40-Jährige als „nutzlos“ empfunden hatte. Wie ein braver Angestellter sagt er jetzt: „Jedes Mal, wenn ich nach Maranello komme, ist das wie eine Inspiration für mich. Ich bekomme da fast romantische Gefühle.“ Auch eine Art, der Vertrauensfrage davonzufahren.