
Vermutlich wird Elon Musk an diesem Wochenende keinen Gedanken an den Fußballer Felix Nmecha verschwenden, der an diesem Montag (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur WM-Qualifikation und bei RTL) mit der deutschen Nationalmannschaft in Nordirland in der Qualifikation für die bevorstehende Weltmeisterschaft spielt.
Es sei denn, der Deutsche Fußball-Bund (DFB) käme auf die Idee, sich zu den Ansichten des Mittelfeldprofis von Borussia Dortmund zu äußern, die im September tatsächlich bis zum reichsten Mann der Welt vorgedrungen waren. „Wow“, hatte Musk auf der Plattform X zu der auf seiner Plattform geposteten Behauptung geschrieben, Borussia Dortmund habe ein Untersuchungsverfahren gegen Nmecha eingeleitet, weil dieser der Familie des erschossenen amerikanischen Aktivisten Charlie Kirk kondoliert hatte.
„Ruhe in Frieden und bei Gott. So ein trauriger Tag“, hatte der Fußballer zur Ermordung des Mannes erklärt, der von seinen Kritikern als „Faschist“ und „Rassist“ beschrieben und von seinen Freunden als konservative Stimme eines gläubigen Amerikas geschätzt wurde. Damit hat sich Nmecha entweder versehentlich oder aus unbekannten Motiven auf ein Terrain begeben, auf dem gerade einige große Fragen des Weltgeschehens diskutiert werden. Und den BVB hat er gleich mitgenommen.
Ein Klubsprecher versichert im Gespräch mit der F.A.S., dass keinesfalls eine Untersuchung gegen Nmecha eingeleitet worden sei, und bei der Behauptung, der Spieler müsse seine Posts künftig von BVB-Kontrolleuren absegnen lassen, handle es sich ebenfalls um Fake News. Aber solche Richtigstellungen werden immer wirkungsloser in der hysterischen Öffentlichkeit der Gegenwart. Wer die Namen „Felix Nmecha“ und „Charlie Kirk“ zusammen googelt, stößt auf eine Ergebnisliste, die fast ausschließlich den angeblichen Eingriff des BVB in die Meinungsfreiheit zum Thema hat. Selbst Qualitätsmedien übernehmen die Erzählung ungeprüft, Musk schreibt: „Schande über diesen Fußballklub.“
Nmecha teilt homophobe Ansichten
Dennoch wollen Mitarbeiter des BVB und des DFB lediglich im Hintergrund über ihren Umgang mit Nmechas Kommunikation sprechen. Die Sorge ist groß, dass neuer Stoff für die Aufregungsmaschine entsteht, die eine fundierte Debatte über den Umgang mit streitbaren Meinungen so schwierig macht. Dabei lohnt es sich, Nmecha und seine Haltungen genauer anzusehen. Nicht nur, weil er gerade mehr und mehr zu einem wichtigen Faktor beim BVB und in der Nationalmannschaft wird.

Der Post Nmechas über Kirk gehört in einen Kontext, nachdem der 24 Jahre alte Fußballer 2023 transphobe und homophobe Ansichten in den sozialen Medien gelikt und geteilt hatte. Genau wie im aktuellen Fall um Charlie Kirk versicherte er damals schnell, dass er die extremen Ansichten der amerikanischen Aktivisten nicht teile: „Ein paar Sachen waren out of context. Ich liebe alle Leute und ich diskriminiere niemanden. Ich hoffe, die Fans und alle werden mir die Chance geben, mich kennenzulernen.“ Beim BVB sehen sie keinen Grund, solche Richtigstellungen anzuzweifeln.
„Techniken, die man von der AfD kennt“
Der Wissenschaftler Jobst Paul fühlt sich allerdings an einen vertrauten Mechanismus erinnert: „Es sind diese klassischen Techniken, die man auch von der AfD kennt: Zuerst eine Aussage zu machen und dann zu sagen: Das habe ich ganz anders gemeint“, sagt der Kulturwissenschaftler, der sich am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung unter anderem mit dem extremistischen Potential des christlichen Fundamentalismus befasst.
In einer Ausgabe des Podcasts „Ballers in God“, die kurz nach seinem Wechsel zum BVB erschienen ist, spricht Nmecha zwar nicht offen über die Debatte, die seine Likes auslösten. Aber als der Mittelfeldspieler gefragt wird, in was für einer Lebensphase er gerade stecke, erwidert er auf Englisch: „Ich glaube, ich befinde mich in einer Phase, in der Gott wirklich möchte, dass ich Weisheit und Wahrheitsaustausch in Einklang bringe. (…) Gerade bei bestimmten, etwas heikleren Themen glaube ich, dass Gott mich dazu führt, weise zu sein und gleichzeitig einfühlsam auf ihn zu reagieren, sodass ich sage: Okay, ich werde diese Wahrheit teilen.“
Will Nmecha den Hörern dieses von evangelikalen Aktivisten betriebenen Podcasts damit sagen, dass er an eine Wahrheit glaubt, die er nicht immer frei artikulieren kann?

Für Borussia Dortmund und den Deutschen Fußball-Bund ist es zu einer Herausforderung geworden, einen angemessenen Umgang mit solchen Vorgängen zu finden. Denn jedes Einschreiten, jeder Korrekturversuch füttert die Erzählung von einer angeblichen Einschränkung der Meinungsfreiheit durch Organisationen wie den BVB, die dann als „woke“ und „linksgrün“ eingeordnet werden. Dieser in vielen Debatten sichtbare Mechanismus dränge dann „Leute, die vielleicht eigentlich gar nicht so konservativ sind, doch zu einem Wechsel ganz ins konservative Lager“, sagt Stefanie Coché, die an der Universität Gießen zu den Themen Religion und Demokratie in den USA forscht.
Sowohl in seinem Klub, mit dem er am kommenden Samstag (18.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Bundesliga und bei Sky) im Bundesliga-Spitzenspiel auf den FC Bayern trifft, als auch bei der Nationalmannschaft wurden Gespräche mit Nmecha über seine Ansichten und Haltungen geführt. Es handle sich eben um einen sehr gläubigen Menschen, ist zu erfahren. Um einen Fußballer, dessen Ansichten als „konservativ“ beschrieben werden, und die wohl vom Mainstream abweichen. Allerdings hat er öffentlich bislang nur gelikt, geteilt und kondoliert. Eigenständige homophobe, transphobe oder extremistische Äußerungen Nmechas sind nicht bekannt. Und gegen Gesetze verstoßen hat er schon gar nicht.
Zum Kontext gehört vielmehr, dass der in Hamburg geborene Profi einer wachsenden Gruppe von Fußballern mit Verbindungen in ein spezielles Milieu sehr gläubiger Sportler angehört: Davie Selke, Felix Uduokhai, Maxence Lacroix, Eduard Löwen, auch die Nationalspielerin Giovanna Hoffmann oder Yemisi Ogunleye, die deutsche Olympiasiegerin im Kugelstoßen, sind Teil dieser Community. Eigentlich handelt es sich dabei nicht einmal um ein neues Phänomen. Früher gab es schließlich die Fußballer Jorginho, Kaká, Lucio oder Marcelo Bordon, die beim Torjubel ihre Jesus-T-Shirts entblößten und Bibelkreise besuchten.
Doch anders als damals schrillt in Teilen der Öffentlichkeit der Alarm, wenn Sportler als sehr gläubig oder gar als Teil der evangelikalen Bewegung erkennbar werden. „Man guckt dort ganz anders drauf, weil die politische Situation in den USA jetzt so bedrohlich ist“, sagt Stefanie Coché. Weil „in der deutschen Berichterstattung Evangelikale immer gleich Trump-Wähler und Unterstützer sind, ist es kaum noch möglich, zu differenzieren“.
Das fällt auch Menschen schwer, die Nmecha besser kennen. Handelt es sich schlicht um einen Sportler, der Kraft aus seinem Glauben zieht? Schließlich ist kaum vorstellbar, dass hier eine ganze Reihe bekannter Sportler wissentlich einer in den USA verwurzelten antidemokratischen Bewegung folgt. Spielt hier also ein junger Mann für Dortmund und Deutschland, dessen Ansichten einfach nicht immer vollständig kompatibel sind mit dem relativ eng bemessenen Wertekanon, den die meisten Bundesligavereine und der Deutsche Fußball-Bund propagieren?
Oder ist Nmecha ein prominenter Fußballer mit großer Reichweite, der bewusst dabei hilft, Kräfte wachsen zu lassen, mit denen Teile der demokratischen Freiheit infrage gestellt werden sollen? Und hätten ein Verband oder ein Arbeitgeber das Recht, sich in solche Angelegenheiten einzumischen?
Klar ist, dass Nmecha Kontakt zu wichtigen Leuten hat, die die evangelikale Bewegung aus den USA nach Europa transportieren wollen und dazu die sogenannte Awakening Church gegründet haben. Nach dem Champions-League-Finale 2024, das Nmecha mit dem BVB gegen Real Madrid bestritt, postete der ehemalige Fußballprofi und heutige Aktivist John Bostock auf Instagram ein Bild des Dortmunder Mittelfeldspielers im Stadion, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „I belong to Jesus“ trägt.
Weitere Fotos zeigen, dass Bostock von Ben Fitzgerald zu dem Spiel begleitet wurde, der nach eigener Aussage von Gott damit beauftragt wurde, den evangelikalen Glauben mit Hilfe der Awakening Church in Europa größer zu machen. „Es ist schwer vorstellbar, dass Felix Nmecha nichts mit der Spitze der Filiale zu tun hat“, sagt Jobst Paul vor dem Hintergrund dieser Verbindungen.
Bostock betreibt den Podcast „Ballers in God“ und bezeichnet den deutschen Nationalspieler in einem Interview mit der englischen „Sun“ als „einen von unseren Ballers in God“. Nmecha selbst wirbt zwar nicht explizit für die Awakening Church, als Testimonial für den Glauben ist er aber schon unterwegs: In einem Youtube-Kanal des gemeinnützigen und überkonfessionellen Vereins „Fußball mit Vision“ sagt er, untermalt von sphärischen Klängen: „Dort ist so viel Frieden, Freude und Wahrheit in Jesus. Ich ermutige die Menschen einfach, einen Schritt zu wagen, denn wenn Sie das einmal erlebt haben, wird Ihr Leben nie wieder dasselbe sein. So bin ich zu Christus gekommen.“
„Homosexualität und Transsexualität stellen ein Problem dar“
„Fußball mit Vision“ wirbt an Schulen für die christliche Sache, was redlich ist, sofern es sich um einfache Missionsarbeit handelt, die Menschen ohne Zwang für einen Glauben begeistern soll. Die Verbindungen zur Bewegung von Bostock und Fitzgerald halten die Wissenschaftler Coché und Paul aber für kritisch: „Ein Merkmal ist für die allermeisten Evangelikalen typisch“, sagt Coché, „es gibt ein ganz klares binäres Geschlechtermodell. Außerdem stellen Homosexualität und Transsexualität ein Problem dar.“
Sie hält die Haltungen und Meinungen, die von den Churches verbreitet werden, vor allen Dingen „aus feministischer Sicht für wirklich schwierig“, während Paul sagt: „Die Awakening Church vermeidet zwar noch sämtliche Hinweise auf den Teufel und andere Hintergründe, hat sich mittlerweile aber als Filiale der einflussreichen amerikanischen Bethel Church etabliert.“ Und dort gehe es „richtig reaktionär“ zu.
Nach Ansicht Pauls besteht auch in Europa die Gefahr der Verschränkung eines christlich-konservativen Weltbildes mit rechten Bewegungen. Durch den Arbeitskreis „Christen in der AfD“ versucht die Partei schon länger, Schnittmengen zwischen ihrer Ideologie und den evangelikalen Bewegungen sichtbar zu machen.
Es wäre spannend, all dies mit Nmecha zu diskutieren, bisher tritt er aber ausschließlich im Klub-TV und in den religiösen Podcasts auf, die tausendfach angehört werden.