Auf der Insel Lolland wird die Absenkung der Bauteile in die Ostsee für die neue Verbindung von Dänemark und Deutschland vorbereitet – es ist ein Meilenstein für das Großprojekt. Die Wirtschaft hofft auf die geplante Fertigstellung bis 2029.
Mit dem Bau einer festen Fehmarnbeltquerung hat sich Gerhard Cordes schon vor mehr als 30 Jahren beschäftigt. In einer Projektgruppe seines damaligen Arbeitgebers analysierten der Bauingenieur und seine Kollegen, ob eine Brücke oder ein Tunnel zwischen der deutschen Insel Fehmarn und dem dänischen Lolland die bessere Lösung wäre. Schon damals, sagt Cordes, seien die Vorzüge eines Tunnels im Vergleich zu einer Brücke deutlich gewesen.
An etlichen Großprojekten der Infrastruktur hat Cordes mitgearbeitet, etwa am Bau der U-Bahn in Katars Hauptstadt Doha oder an der Hochgeschwindigkeitsstrecke der Deutschen Bahn zwischen Hannover und Berlin. Seit 2021 treibt der Norddeutsche den Bau des Fehmarnbelttunnels mit voran. Er soll über eine Distanz von 18 Kilometern der weltweit bislang längste Absenktunnel werden. Cordes verantwortet als Projektdirektor beim staatlichen dänischen Konzern Femern A/S den Bau und Betrieb der Tunnelelementfabrik und die Herstellung und Absenkung der insgesamt 89 Tunnelelemente in die Ostsee.
An diesem sonnigen Tag steht der 62-Jährige auf der Baustelle in Rødbyhavn, auf der inzwischen rund 2500 Menschen vieler Gewerke arbeiten. Neben ihm ragt eines der fertig betonierten Tunnelelemente in die Höhe. Es besteht aus neun Segmenten, ist insgesamt 217 Meter lang und wiegt etwa 73.000 Tonnen – mehr als ein unbeladenes Großcontainerschiff. Vor dem Tunnelelement liegt ein Schleusenbecken: „Nachdem die Betonage der Tunnelelemente in der Fabrik abgeschlossen ist, werden die Elemente mithilfe von Hydraulikpressen über Verschubbalken ins obere Becken geschoben“, sagt Cordes. „Wir nennen das ,Big Push’. Dort befindet sich zu dem Zeitpunkt noch kein Wasser. In diesem Bereich werden die Elemente noch weiter ausgestattet.“
Dichtungen, Brandschutzverkleidungen und eine Vielzahl an Zubehör werden in dieser Bauphase in die Elemente eingebaut: „Das spart viel Zeit und reduziert die logistischen Herausforderungen für die Arbeiten im abgesenkten Tunnel“, sagt Cordes. „Zum Schluss werden die Elemente vorn und hinten mit Stahlschotten verschlossen – zwei Reihen Stahlschotten hintereinander. Diese Redundanz ist uns sehr wichtig.“ Um die Elemente auf Meeresniveau abzusenken, wird das obere Becken mit einem Stahlschiebetor verschlossen. Vor das untere Becken wird ein schwimmfähiges Tor gelegt, das wie eine Schleuse mit Pumpen ausgestattet ist: „Im nächsten Schritt können das obere und das untere Becken komplett geflutet werden“, sagt Cordes. „Das Element schwimmt auf, wird mit großen Seilwinden zum tiefen unteren Ende des Beckens gezogen, und der Wasserstand wird wieder auf Meeresniveau gesenkt.“
Vor der Fabrik liegen bereits Schlepper und fünf Plattformen, um die Tunnelelemente in die Ostsee abzusenken und um die Tunnelrinne drumherum zu präparieren und zu verfüllen. Umfangreiche Tests mit diesen eigens für den Fehmarnbelttunnel gebauten Fahrzeugen haben begonnen. Der Beginn der Absenkungen ist ein weiterer Meilenstein für Nordeuropas aktuell größtes Verkehrswege-Projekt.
„Wir gehen derzeit davon aus, dass das Absenken des ersten Tunnelelements im Winter stattfinden wird, aber es ergibt keinen Sinn, jetzt einen festen Termin dafür zu nennen“, sagt Cordes. „Drei Parteien müssen einstimmig grünes Licht geben, damit abgesenkt werden kann: das Bauunternehmen, wir als Bauherr und die beteiligten Versicherungen. Die entscheidenden Parameter dafür sind die Wellenhöhe vor Ort, die Windgeschwindigkeit und die Strömung in der Ostsee.“ Stimmen die Versicherungen nicht zu, etwa wegen der Wetterlage, „kann das Element nicht abgesenkt werden. Stabile Wetterbedingungen müssen mindestens drei bis vier Tage um die Absenkung eines Elementes herum herrschen.“
Bislang allerdings gibt es keine Hinweise auf größere Verzögerungen. „Wir arbeiten darauf hin, mit dem Bau des Fehmarnbelttunnels Ende 2029 fertig zu sein, nach aktuellem Stand ist das weiterhin unser Ziel“, sagt Cordes. Das gilt auch für die Anbindung des Tunnels auf Fehmarn und für die deutsche Schienenanbindung ins Inland – verantwortlich dafür ist die Deutsche Bahn, die ihre Arbeiten ebenfalls bis Ende 2029 abschließen will. Es bleiben anspruchsvolle Jahre und komplexe Herausforderungen bis zur Fertigstellung.
Die regionale Wirtschaft setzt darauf, dass der Tunnel zum Ende des Jahrzehnts in Betrieb gehen kann. „Durch den Bau des Fehmarnbelttunnels und die damit einhergehende Fahrzeitverkürzung wird ein neuer Wirtschaftsraum zwischen den Metropolregionen Kopenhagen/Malmö und Hamburg entstehen“, sagt Malte Heyne, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg. Manfred Braatz, Referent Regionalentwicklung und Wirtschaftspolitik bei der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck, sagt zur Inlandsanbindung in Deutschland: „Zurzeit gehen wir davon aus, dass die Bahn ihre Zusagen erfüllen wird.“ Eine – bisher nicht veröffentlichte – Studie im Auftrag des regionalen Netzwerks Fehmarnbelt Business Council (FBBC) kommt zu dem Schluss, dass durch eine spätere Inbetriebnahme der festen Fehmarnbeltquerung ein zusätzliches Handelsvolumen von jährlich zunächst rund 33 Millionen Euro verloren ginge.
Nachdem ein Tunnelelement auf das Niveau der Ostsee geschleust worden ist, kommen die beiden Pontons für die Absenkung ins Spiel. Sie werden an Halterungen befestigt, die seitlich an die Elemente betoniert sind. Wenn das geschehen ist, wird weiterer Beton in die Elemente eingebracht, damit sie absinken können. Je fünf Schlepper bringen die Pontons und die Elemente auf ihre Position über der Tunnelrinne, die zuvor mit einem Kiesbett ausgelegt wurde. An Seilwinden werden die Tunnelelemente auf den Meeresboden abgesenkt und durch den Wasserdruck aneinander gepresst. Von den Tunneleingängen in Rødbyhavn und Puttgarden aus werden dann die Stahlschotts herausgenommen und für die nächsten Elemente vorbereitet.
Bei den 79 Standardelementen werden die Pontons jeweils am zweiten und am achten Segment befestigt. Die zehn Sonderelemente, in denen die Tunneltechnik untergebracht wird, sind kürzer und kompakter, für ihre Absenkung werden die Pontons zusammengeschoben. Wenn die Elemente am Meeresgrund liegen, werden von außen ihre Seiten vollständig verfüllt und die Decken mit einer Steinschutzschicht gegen Ankerwurf bedeckt. Mit der Ablagerung von Sediment bildet sich über der Rinne später wieder Meeresboden. Im Inneren werden die Elemente nach der Verlegung fertig ausgestattet, mit Bahnschienen, Oberleitungen, Fahrbahndecken und mit der Betriebstechnik.
Aus den Wetterstatistiken der vergangenen 20 Jahre leite man „grobe Zeitfenster“ ab, sagt Cordes, in denen Elemente abgesenkt werden könnten: „Diese Zeiträume wurden in unserer Terminplanung berücksichtigt. Wir schauen aber natürlich nicht auf die Statistik, um den Absenkvorgang zu starten, sondern nur auf das konkrete Wetter und die aktuelle Vorhersage. Erst dann fällt eine Entscheidung.“
In der riesigen Fabrik für die Produktion der Segmente und der Tunnelelemente wird die Fertigung unterdessen weiter hochgefahren – mit der Erfahrung wächst die Geschwindigkeit. Bislang seien fünf Standard-Tunnelelemente und ein Spezialelement fertig betoniert worden, sagt Cordes: „In der Fabrik läuft bereits die Produktion der nächsten Elemente. Unser Ziel ist es, jede Woche ein Tunnelsegment zu produzieren, also ein ganzes Standardelement in etwas mehr als neun Wochen. So schnell sind wir aber derzeit noch nicht.“
Klar ist, nach einem Beschluss des dänischen Parlaments von Ende 2023, dass die Fabrik in Rødbyhavn auch künftig weiter genutzt werden und wirtschaftliche Wertschöpfung auf die Insel Lolland holen soll. „Bis wir mit dem Bau des Fehmarnbelt-Tunnels fertig sind, werden wir die Tunnelelementfabrik benötigen“, sagt Cordes. „Darüber hinaus wird sie künftig für andere Infrastrukturprojekte zum Beispiel in Dänemark genutzt werden können.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit vielen Jahren über das Projekt des Fehmarnbelttunnels und der deutschen Inlandsanbindung und über deren Realisierung.