
In der Bundesliga haben die Spieler des FC Bayern München unter dem Trainer Vincent Kompany in dieser Saison alle fünf Spiele gewonnen und 22 Tore geschossen. Das ist mehr, als jede andere Spieler-Trainer-Gemeinschaft in der höchsten deutschen Fußballliga zu dem Zeitpunkt geschafft hat.
Mehr als der Klopp-BVB. Mehr als die Heynckes-Bayern. Mehr als die Guardiola-Bayern. Mehr als die Flick-Bayern. Und auch mehr als Leverkusen unter Xabi Alonso. Die furchteinflößende Frage, die sich die Konkurrenten in Dortmund und in – äh, ach, auch egal – daher gerade stellen könnten, ist diese: Wie viele Bayern-Tore mehr wären es dann wohl erst mit dem Bayern-Spielmacher Jamal Musiala gewesen?
Auf diese Frage wird es nie eine Antwort geben, aber es gibt auch nach dem neuesten 4:0-Sieg über Werder Bremen ein Argument, warum es mit Musiala eben doch nicht mehr gewesen wären.
In München ist in diesem Sommer spätestens seit dem Viertelfinale der Klub-WM, als Musiala einen Wadenbeinbruch erlitten hat, fast Tag für Tag darüber diskutiert worden, ob der Kader für die Ansprüche des Vereins zu klein sei. Auf der Website des FC Bayern findet man – wenn man die vier Torhüter nicht mitzählt – 20 Spieler. Und von diesen 20 fallen momentan vier wegen Verletzungen aus, darunter Musiala, aber auch der Außenverteidiger Alphonso Davies.
Doch wer die ersten fünf Spiele in der Bundesliga und auch das erste Spiel in der Champions League (3:1 gegen den Klub-WM-Sieger FC Chelsea) gesehen hat, der kann auch zu einem anderen Zwischenfazit kommen: dass der kleine Kader ein Grund ist, warum der FC Bayern in dieser Saison bisher alle Spiele gewonnen hat.
Als Beleg für diese Behauptung kann man Serge Gnabry anführen, der Musiala als Spielmacher ersetzt. In der neuen Rolle hat er in dieser Saison schon drei Tore und drei Torvorlagen gesammelt und spielt auch sonst so gut wie lange nicht mehr. Man muss in seinem Fall anmerken, dass er das erste Mal seit mehreren Monaten verletzungs- und damit vermutlich auch schmerzfrei spielt. Doch dass Gnabry in seiner Rolle aufgeht, ist auch das Resultat davon, dass die klare Rollenverteilung von Vincent Kompany erst einmal aufgegangen ist.
Der Trainer und sein Team scheinen in dieser Saison bisher ein bisschen in einem Turniermodus zu sein. In den ersten acht Spielen hat Kompany acht seiner Spieler mindestens sechs Mal in die Startelf gestellt: den Torhüter Manuel Neuer (7), die Abwehrspieler Jonathan Tah (8), Konrad Laimer (7) und Dayot Upamecano (6), den Mittelfeldspieler Joshua Kimmich (6) und die Stürmer Harry Kane (8), Luis Díaz (8) und Serge Gnabry (6).
So ist in der Mannschaft eine Struktur entstanden. Und wenn in dieser Struktur ein Spieler ersetzt werden muss, wie zuletzt der Außenverteidiger Josip Stanišić (Innenbandverletzung), dann ist wegen des kleinen Kaders eigentlich auch klar, wer dessen Rolle übernehmen soll. Für Stanišić spielt seitdem Sacha Boey, der beim FC Bayern bisher keine Rolle gespielt, auch wenn der Klub für ihn in der vorletzten Saison 30 Millionen Euro Ablösesumme ausgegeben hat. Doch auf einmal spielt sogar Boey so gut wie noch nie seit seinem Wechsel.
Fragt man Vincent Kompany im Anschluss an den Sieg gegen Bremen, ob die Rollenverteilung wegen des kleinen Kaders einfacher sei, antwortet er: „Für mich ist es die zweite Saison.“ Und weil es eben die zweite Saison sei, müsse er mit seiner Mannschaft nicht mehr an der Basis, sondern könne an den Details arbeiten. „Es ist natürlich, dass der eine oder andere Spieler in einer anderen Position spielen muss und dass sie die Rolle sofort verstehen, weil sie haben es schon sechzehn Monate miterlebt.“ So wie Serge Gnabry.
Als Kompany am Freitagabend auf die Frage antwortet, weiß er aber auch, dass man eine Saison nicht wie ein Turnier coachen kann. Er sagt: „Wenn wir in dieser Saison erfolgreich sein wollen, müssen wir auf alle setzen.“ Und er wird auch wissen, dass er mit seiner Mannschaft an den ersten fünf Spieltagen der Bundesliga gegen Gegner gespielt hat, die nicht der Maßstab für den FC Bayern waren.
Am sechsten und siebten Spieltag spielt er mit ihr, nach dem Champions-League-Spiel an diesem Dienstag (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Champions League und bei Prime Video) beim Paphos FC aus Zypern, in Frankfurt und gegen Dortmund. Und unter Umständen wird man dann schon klarer sehen können, ob man ernsthaft darüber diskutieren muss, ob seine Mannschaft ohne Jamal Musiala nicht nur etwas verliert, sondern vielleicht sogar auch etwas gewinnt.