
Es ist kein gutes Zeichen, dass Joshua Kimmich geradezu dankbar war für den Widerstand, den Borussia Dortmund dann noch geleistet hatte während dieses Gastspiels in München, das der FC Bayern am Ende relativ knapp mit 2:1 gewonnen hatte. „Man hat gemerkt, dass da eine Truppe auf dem Platz steht, als wir nicht mehr so dominant waren“, diese Erfahrung sei „wichtig“, sagte Kimmich am Ende eines recht seltsamen Fußballspiels. Eine Halbzeit lang war der BVB mut- und chancenlos wie ein Abstiegskandidat, bevor die Mannschaft von Trainer Niko Kovac nach der Pause „sogar besser“ war, wie Dortmunds Verteidiger Nico Schlotterbeck sagte.
Um sich zu entwickeln, können die Münchner solche Erfahrungen sehr gut gebrauchen, „man hat gemerkt: Wir hauen uns da rein, wir halten dagegen“. Das ist wahrlich keine Selbstverständlichkeit für einen derart souveränen Tabellenführer. Und dann haben die Bayern eben diesen Woche für Woche faszinierenderen Harry Kane.
Der Engländer köpfte in der ersten Hälfte das 1:0 und bereitete Michael Olises 2:0 mit einem brillanten Diagonalball aus der eigenen Hälfte vor. Kane grätschte am eigenen Strafraum, leitete Angriffe ein, war überall. „Wir mögen, dass das nicht deutlich ist“, erwiderte der Münchner Trainer Vincent Kompany auf die Frage nach der Position seines Superstürmers, der die Dortmunder mit seinem erstaunlichen Bewegungsradius überfordert hatte. „Was uns Probleme bereitet hat, war Harry Kane, der immer wieder als defensiver Mittelfeldspieler aufgetreten ist“, sagte Kovac, der zunächst eine Strategie gewählt hatte, die nicht zu den Geschichten passte, die vor dieser Partie erzählt wurden.

In der ersten Halbzeit sah das Spiel nicht aus wie das Duell der beiden stärksten Teams der Liga, eher ergab sich die klassische Konstellation des Allianz-Arena-Alltags: Der Gast stellte sich am eigenen Strafraum auf, rannte ständig hinterher und besonders deprimierend für alle BVB-Anhänger: Eine Idee mit Ball war nicht erkennbar. „Um in München zu bestehen, musst du mit Mut spielen, musst du mit Eiern spielen“, sagte Schlotterbeck. „Und das haben wir in der ersten Halbzeit komplett vermissen lassen.
10:0 Torschüsse in der ersten Halbzeit
Vor einer klar defensiv zusammengesetzten Fünferkette spielten drei defensive Mittelfeldspieler, die Offensive war mit Karim Adeyemi und Serhou Guirassy kaum sichtbar. Und so brummte der Münchner Passmotor, während sich im Dortmunder Kollektiv nicht einmal starke Individualisten hervortaten. Torhüter Gregor Kobel agierte unsicher und ungenau, die Innenverteidiger eröffneten das Spiel ohne erkennbare Idee, und im Mittelfeld wollte niemand den Ball haben.

In der ersten Hälfte hatten die Dortmunder kein einziges Mal aufs Tor geschossen, während die Bayern zehn Torabschlüsse hinbekommen hatten. Das einzige Defizit: Aus dem Spiel heraus hatte auch der Tabellenführer nicht getroffen. „Aber weil es nur 1:0 stand, waren wir noch im Spiel“, sagte Dortmunds Pascal Groß. Das einzige Tor der ersten Halbzeit köpfte Kane nach einem Eckball von Joshua Kimmich (22.).
Der Engländer hatte sich durch einen kleinen Schubser den entscheidenden Raumvorteil gegen Guirassy verschafft, was später zu Diskussionen führte. Erfreulich aus Sicht des BVB war nur, dass die allenfalls mäßige Leistung und die destruktive Herangehensweise nicht härter bestraft worden waren. Vor allen Dingen Michael Olise und Luis Diaz hatten Pech mit ihren Abschlüssen, wenn sie ihre typischen Wege von der Außenbahn ins Zentrum fanden, Olise traf sogar einmal den Außenpfosten (36.).
Grundlegende Verwandlung in der zweiten Halbzeit
Gut sichtbar war der Ausfall des zuletzt so formstarken Serge Gnabry, der aufgrund einer Adduktorenblessur pausieren musste und von dem harmlosen Nicolas Jackson vertreten wurde. Die beeindruckende Stärke der Münchner beruht ja nicht zuletzt darauf, dass das Team einerseits viel mehr Ballbesitz hat als die hinterherhechelnden Gegner und trotzdem am Ende mehr gelaufen sind. Und dennoch verwandelte sich die Partie nach der Halbzeit grundlegend. Die Dortmunder fassten Mut, trauten sich Ballbesitzphasen zu und entwickelten tatsächlich so etwas wie einen Zustand eigener Dominanz.
Felix Nmecha kam nach einem Freistoß zu einer ersten guten Gelegenheit, köpfte aber aus fünf Metern neben das Tor (49.). Nach einer Stunde kam Guirassy aus zehn Metern frei zum Abschluss, verfehlte das Tor aber. In der 65. Minute rutschte Adeyemi bei einem Schuss aus guter Position aus, und nachdem der eingewechselte Julian Brandt zum 2:1 getroffen hatte, mussten die Münchner sich mit aller Macht wehren. Aber sie retteten den Vorsprung ins Ziel, was Kimmich als wertvolle Erfahrung mitnahm.
Der BVB hat damit erstmals seit März wieder ein Bundesligaspiel verloren, während die Bayern alle Partien der laufenden Saison gewonnen haben und immer einsamere Kreise an der Tabellenspitze ziehen.