FC Bayern: Basketballer Wenyen Gabriel und seine aufregende Lebensgeschichte mit der Flucht aus dem Südsudan – Sport

Wenyen Gabriel schlendert an diesem kalten, nebligen Dienstag den Gang vor der Basketballhalle am FC-Bayern-Campus entlang, rotes Shirt, schwarze Jogginghose, die weißen Sportschuhe trägt er in der Hand. Der 28-Jährige ist ein wenig spät dran, er entschuldigt sich höflich, setzt sich auf einen Hocker. Es sind ja auch stressige, hektische Zeiten. Gleich ist Mannschaftsbesprechung, dann Individualtraining, Teamtraining, Mittagessen, um 16 Uhr geht schon der Flieger nach Frankreich zum Euroleague-Spiel gegen Lyon-Villeurbanne. Am Freitag dann Monaco, am Sonntag Bundesliga gegen Bonn, das Spiel gegen den Meister steigt in der knapp 19 000 Zuschauer fassenden Lanxess-Arena in Köln, und am Dienstag Heimspiel gegen Hapoel Tel Aviv. Nur Heiligabend ist dann frei, bevor sich der erbarmungslose Spielplan weiterdreht.

Gabriel, 2,10 Meter groß, 100 Kilogramm schwer, ist seit dieser Saison Center der Bayern-Basketballer. 164 NBA-Spiele hat er in seinem Lebenslauf stehen, er wurde wie so viele andere Profis im US-Zirkus herumgereicht: Sacramento Kings, Portland Trail Blazers, Brooklyn Nets, L.A. Clippers und L.A. Lakers. Über eine Nebenrolle kam er nie hinaus. Auch deshalb wagte Gabriel den Sprung nach Europa, über Maccabi Tel Aviv und Panathinaikos Athen kam er nun nach München.

Sein Status bisher: ungeschliffener Diamant, hervorragende Anlagen, aber so richtig glänzt er noch nicht auf dem Feld. 13 Punkte waren sein Höchstwert in der Euroleague, drei Rebounds im Schnitt sind für einen Center auch nicht überragend, dazu kommen die vielen Turnovers und eine geradezu unterirdische Freiwurfquote von 35,3 Prozent. „Es gibt viel zu verbessern. Die Rebounds, die Freiwürfe, ich muss mich an die Spielweise in Europa gewöhnen. Sie ist anders als in den USA“, sagt Gabriel selbstkritisch. Aber: Der schlaksige Center kann auch glänzen, keiner blockt derart spektakulär wie Gabriel.

Andererseits ist der Profi-Basketballer Gabriel froh um diese nächste Chance, sich wieder zu beweisen. Und ganz alleine ist er auch nicht in München. Sein jüngerer Bruder Gob Makuag spielt in der zweiten Mannschaft, ihre beiden Französischen Bulldoggen warten zu Hause auf die nächste Gassirunde mit ihren sportlichen Herrchen.

Sich ein neues Leben aufzubauen, das ist die Geschichte von Wenyen Gabriel. Und von diesem Leben wieder etwas zurückzugeben.

Wenyen Gabriel in Juba im Südsudan inmitten von Kindern bei einem Basketball-Camp.
Wenyen Gabriel in Juba im Südsudan inmitten von Kindern bei einem Basketball-Camp. (Foto: Instagram/wenyengabriel)

Denn er ist, qua Geburt, Flüchtling, ein Vertriebener aus seiner Heimat in Ostafrika. Seine Eltern lebten im Südsudan, genauer in Rumbek, einer Provinzhauptstadt, die von Savanne umgeben ist. Asphaltierte Straßen gibt es nicht, dafür ein staubiges Flugfeld und jede Menge Hilfsorganisationen. Und es gab und gibt dort Krieg und Konflikte, im Grunde seit Jahrzehnten. Sehr verkürzt dargestellt wollten die Rebellengruppen des Südsudan, dessen Bewohner sich unterdrückt fühlten, Unabhängigkeit vom Sudan. 2011 erreichten sie diese, doch 2013 bis 2018 brach ein blutiger Bürgerkrieg los. Die Flüchtlingsströme reißen nicht ab, bis heute brechen die Spannungen immer wieder auf. Katastrophale Überschwemmungen, wie vor einem Jahr, verschärfen die humanitäre Lage.

„Viele Verwandte leben noch dort, viele in meiner Familie sind umgekommen wegen des Krieges.“

In den Kriegswirren Ende der Neunzigerjahre flohen Gabriels Eltern aus Rumbek, wo Kämpfe tobten, in die sudanesische Hauptstadt Khartoum. Wenyen wurde dort geboren, und als er zwei Jahre alt war, floh die Familie mit drei Söhnen und einer Tochter für ein Jahr weiter nach Kairo. „Wir lebten in einem kleinen Appartement, meine Eltern hatten kleine Jobs, gleichzeitig versuchten wir, Möglichkeiten zu finden, wieder in unsere Heimat zurückzukehren“, sagt Gabriel. Doch die Gefahren waren zu groß, es gab kein Zurück.

Mithilfe des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR kam seine Familie in ein Integrationsprogramm in den USA, von Kairo aus zogen sie nach Manchester, New Hampshire, nördlich von Boston. Dort wuchs Gabriel als eines von sechs Kindern auf. Und begann, Basketball zu spielen. Seine Heimat hat er allerdings nicht vergessen. „Viele Verwandte leben noch dort, viele in meiner Familie sind umgekommen wegen des Krieges“, sagt Gabriel, „ich habe meine Großeltern nie kennengelernt“.

„Wir organisieren dort verschiedene Projekte, Sportcamps mit Fußball, Handball, Basketball, Volleyball“, erzählt Gabriel, gerade entsteht auf seine Initiative hin auch ein Basketball-Court. Gabriel investiert einen Teil seines Gehalts in diese Projekte, in Basketball-Camps, auch in den USA, wo viele Flüchtlinge aus dem Südsudan leben. ROSS Leaders nennt sich sein Hilfsnetzwerk, die Abkürzung steht für Republic of South Sudan. „Wegen des Krieges sind wir überall verstreut und in ganz unterschiedlichen Bildungssystemen groß geworden. Diese Ressourcen müssen wir nutzen“, sagt Gabriel. Warum er hilft? „Ich könnte ganz leicht einer dieser Menschen sein und hätte nie die Möglichkeit, jenes Leben zu leben, das ich heute habe. Es war einfach Glück, in den USA aufgenommen zu werden.“

Erst im Juli 2022, mit 25, kehrte er erstmals wieder in jenes Land zurück, das er verlassen musste, bevor er überhaupt geboren war. Dies früher zu tun, wäre zu gefährlich gewesen. Gabriel holte vieles nach, traf sich mit Familien, Erwachsenen, Kindern, die vor der Flut und den Konflikten geflohen waren, in Camps leben. Und er begann, ein Netzwerk zu bilden. Viermal war er inzwischen im Südsudan, gerade ist einer seiner Cousins dort.

Nicht nur das: Gabriel, der neben der Staatsbürgerschaft des Südsudan auch jene der USA hat, nahm mit dem Südsudan erstmals 2023 an einer Weltmeisterschaft teil. Bei den allerersten Olympischen Spielen für sein junges Land schwenkte er 2024 die Flagge im Athletenboot auf der Seine und sang die Hymne „mit einem Gefühl des Stolzes, das ich noch nie zuvor empfunden hatte“.

Er ist somit ein Vertriebener, der zurück in seine Heimat gefunden hat, auf verschiedenen Pfaden. Und das ist das, was für Wenyen Gabriel wirklich zählt. Schlechte Freiwurfquote hin oder her.