FC Bayern Basketball: Kapitän Lucic, der Vorherseher – Sport

Am Tag, bevor die FC-Bayern-Basketballer Zalgiris Kaunas in der Euroleague in Litauen vor fast 15 000 Fans mit 97:82 (45:31) fast schon demontierten, eilt Vladimir Lucic durch die Eingangstür des Campus-Geländes seines Klubs. Schnell noch was essen in der Kantine vor der Abreise nach Osteuropa. Und ein paar Fragen beantworten. Der Campus liegt in der Ingolstädter Straße 272, die Fußball-Arena ist gerade mal drei Kilometer Luftlinie entfernt, nur die Südliche Fröttmaninger Heide, ein Naturschutzgebiet, trennt diese beiden Leuchttürme des Klubs. Und gleich am Eingang hängt da dieses übergroße Bild von Thomas Müller – samt einem Zitat des Vereinsidols: „Mia san Mia, das bedeutet, großes Selbstbewusstsein zu haben, den absoluten Glauben an Erfolg. Alles dafür zu tun und unbedingt gewinnen zu wollen. Es auch nach Rückschlägen oder in ungünstigen Spielsituationen immer weiter zu versuchen.“

Es sind Sätze, die hat auch Lucic, schwarze Jacke, schwarze Hose, schwarze Turnschuhe, weiße Socken, genauso verinnerlicht.

„Haben wir ein Interview?“, fragt der 36-Jährige, der immer noch wie 26 aussieht, also am Mittwoch verschmitzt auf Englisch, als er Richtung Essensausgabe läuft. Natürlich weiß der Bayern-Kapitän, dass er ein Interview hat.

Lucic spielt seit 2016 beim FC Bayern, mit Münchens Basketballern ist er dreimal deutscher Meister und viermal Pokalsieger geworden. 2021 wurde er in die Top 5 der Euroleague gewählt, nachdem seine Mannschaft dort zum ersten Mal die Playoffs erreicht hatten. Lucic hat andererseits auch keine einfachen Jahre hinter sich. Im Mai 2023 wurde er an der Hand operiert, fiel fast ein Dreivierteljahr aus, andere Blessuren kamen hinzu. Im Herbst 2024 erlitt er eine Muskelverletzung in der Wade. Nach drei Monaten Pause ist er nun erneut zurück auf dem Parkett.

Beim Sieg gegen Alba Berlin gab Lucic vor einer Woche sein Euroleague-Comeback, und nun, in Kaunas, gelangen ihm neun Punkte und sieben Rebounds. Er war damit keineswegs der auffälligste Bayernspieler, dieses Prädikat nahmen eher Andreas Obst (26 Punkte, acht Dreier verwandelt), Carsen Edwards (24 Punkte) und vor allem der großartige Nick Weiler-Babb (14 Punkte, 13 Assists, 7 Rebounds, 2 Steals) für sich in Anspruch. Aber Lucic zeigte sich so, wie er immer spielt: extrem mannschaftsdienlich.

„Sein Basketball-IQ ist überragend. Er hat eine Art sechsten Sinn, den man nicht lernen kann. Wie Wayne Gretzky im Eishockey“, sagt Trainer Gordon Herbert

Manchmal kam er noch zu spät, wie beim Dunking von Laurynas Birutis, oder im dritten Viertel, als er Lonnie Walker IV beim Wurf foulte und dieser einen zusätzlichen Freiwurf bekam. Lucic sagte am Mittwoch mit seiner sonoren Stimme, mit der er problemlos jede erdenkliche Stelle als Radiomoderator oder Synchronsprecher bekommen würde, eben auch: „Es war eine schwierige Verletzung, die es einem nicht erlaubt, in Form zu bleiben. Ich bin weit weg von der Form, die ich vorher hatte.“ Aber allein dass Lucic der Mannschaft wieder helfen kann mit seiner Übersicht, seiner Ausstrahlung, seiner Präsenz und Erfahrung, das ist Gold wert, auch für Trainer Gordon Herbert: „Sein Basketball-IQ ist überragend. Er sieht Dinge, bevor sie passieren, hat eine Art sechsten Sinn, den man nicht lernen kann. Wie Wayne Gretzky im Eishockey“, sagte Herbert noch vor der Abreise nach Kaunas über seinen Kapitän.

Nach der Partie, die die Bayern den 14. Sieg im 24. Euroleague-Saisonspiel bescherte, urteilte Herbert: „Ich denke, mit Lucic und (Niels) Giffey zurück im Team haben wir mehr Optionen und unser Angriff ist ausbalancierter. Beide Jungs helfen in vielerlei Hinsicht.“ Zumal Spielmacher Shabazz Napier nach seiner schweren Grippe und Hüftproblemen weiterhin fehlt.

In jedem Fall hat Lucic seinen Teil dazu beigetragen zum wohl überzeugendsten Euroleague-Auswärtserfolg der Bayern in dieser Saison. Und das in einer Phase, die Coach Herbert als „dog time“ bezeichnet, als Leidenszeit also, in der die Belastung extrem hoch ist, es im Umkehrschluss kaum Pausen gibt, dafür aber umso mehr Wehwehchen und Blessuren. „Es ist immer noch eine Pre-Season für mich“, sagt Lucic über seine geringe Spielzeit in dieser Saison, „aber ich werde körperlich überleben.“ Und dann möchte er noch einen, besser zwei Titel gewinnen sowie die Euroleague-Playoffs erreichen. „Die nächsten Wochen werden über unsere Zukunft entscheiden.“

Und seine eigene Zukunft? In diesem Sommer endet sein Vertrag, Lucic wird dann 36 Jahre alt sein. Falls der Kontrakt verlängert wird, ginge er in seine zehnte Saison in München. Längst hat er sich hier eingelebt, die Stadt ist für ihn, den Serben aus Belgrad, und seine Familie zur zweiten Heimat geworden. „Als Vater von drei Töchtern denke ich jeden Tag über meine Zukunft nach“ sagt Lucic, wieder mit diesem schelmischen Grinsen: „Sie hängt nicht nur von mir ab. Ich möchte meine Umgebung nicht verlassen, für mich wäre es eine einfache Entscheidung.“ Die Bayern müssen abwägen, ob er auch in Zukunft noch auf diesem Niveau ein Gewinn für sie ist, und neue mögliche Verletzungen dabei einkalkulieren.

Sie wissen, dass es nicht viele Spieler gibt, die einen sechsten Sinn haben, die Dinge sehen, bevor sie passieren. Von dieser Antizipationsfähigkeit, und nicht nur davon, haben auch immer die Jüngeren profitiert. „Sein biologischer Körper ist 26, 27 Jahre alt“, sagt Trainer Herbert über Lucic. Klingt so, als würde er ihn gerne behalten.