
Ach, wie schön. Es reift die Zeit für die Vergabe von Preisen. Endlich gibt’s was Gutes für die Seele. Vorbildliches, Herzergreifendes. Da soll kein Auge trocken bleiben. Vor allem, wenn es um Fair Play geht. Die Essenz des Wettkampfs. So sagt es das Gremium. Sunil Sabharwal spricht von der „lebendigen Kraft des Sports“. Er steht dem Internationalen Komitee für Fair Play (ICFP) vor.
Es läutete am vergangenen Wochenende quasi die Fair-Play-Preis-Saison ein mit der Verleihung seiner renommierten Auszeichnung in Lausanne, einer Art Goldmedaille für solche, die keine gewannen bei den Olympischen und Paralympischen Spielen in Paris 2024, aber eine verdienen. Wunderbar. Der Geist lebt.
Antonio Roja gewinnt mit John Lennon
Aber jetzt wollen wir auch wissen, wie geistreich die Wahl ist. Zu den Geehrten gehört Antonio Roja. Nein, kein Sportler. Der DJ legte auf beim Beachvolleyball vor dem Eiffelturm. Als es bedrohlich knisterte, beruhigte er die Gemüter von Spielern und Publikum mit den Klängen von John Lennons „Imagine“. Chapeau, diese Geistesgegenwart! Vermutlich kein Zufall. So ein DJ soll Stimmungen spüren. Aber wir wollen die Harmonie nicht stören, sondern seiner These zustimmen: Ja, Musik kann vereinen – was im Wettkampf verloren ging.
Ups. Sollte es hier nicht um den Segen des Sports gehen? Also zurück in die Spur und damit zur zweiten Auszeichnung: die für den Zehnkämpfer Sander Skotheim aus Norwegen, der nichts mehr gewinnen konnte, aber im Rennen blieb, um seinen Teamkollegen Markus Rooth im abschließenden Lauf über 1500 Meter zu Gold zu ziehen.
Aha. Da ist er wieder, der Geist, diesmal im Team unterwegs, als Zeuge für den Altruismus Skotheims. Wir wissen nicht, was die deutschen Zehnkämpfer sagen zum Tempomacher. Man könnte auch ohne Blick durch die nationale Brille auf den Gedanken kommen, der Einsatz als Hase für den Konkurrenten des Deutschen Leo Neugebauer sei clever gewesen, aber nicht im Sinne des Wettbewerbs.
Bevor der Geist erschlafft, sei auf die Deutschen unter den Preisträgern verwiesen. Sie liehen dem Belarussen Yauheni Zalaty doch glatt ein Ruderboot für den Einer-Wettbewerb, weil seines an der polnischen Grenze hängen blieb. Endlich, da steckt ein Risiko drin: Was, wenn der gewinnt?
Zalaty wurde Zweiter – hinter dem Deutschen Oliver Zeidler. Große Geste, großartiges Ergebnis, zweimal gewonnen. „Na ja“, sagt ein ehemaliger Ruderer und Top-Funktionär aus Deutschland am Telefon, „das ist doch nichts Sensationelles, machen wir doch immer.“ Denn was gewinnt man beim Fechten gegen einen Fechter ohne Degen, beim Kicken gegen einen barfüßigen Kicker, beim Rudern gegen einen Ruderer ohne Ruder? Alle sitzen in einem Boot. Trotzdem: schöne Gesten.
Was bedeutet es aber, wenn Selbstverständliches schon zu Preisen führt? Dass Fair Play im reinsten Sinne eine abstrakte Idee ist und die Würdigung von gebotener Hilfe ein netter Versuch bleibt, dem Sport mehr Humanität zu verleihen, als in ihm steckt.
Das zu widerlegen, wäre eine Freude. Vorschläge bitten wir an sport@faz.de zu schicken. Sie müssen nur ein Kriterium erfüllen: die Bereitschaft der Menschen, Opfer zu bringen, Niederlagen zu riskieren, weil sie an den Geist des Sports glauben.