Das Schild, das den Weg von der Hauptstraße zur Bbendele Primary School weist, scheint ins Nirgendwo zu führen. Eine gewundene, holprige Sandpiste verliert sich zwischen Baumgerippen. Im September tragen die Bäume in diesem Teil Sambias keine Blätter mehr. Weder Hütten noch Häuser sind in dieser Einöde zu sehen.
Schulleiterin Josephine Mweemba empfängt die Besucher auf dem staubigen Vorplatz ihrer neuen, blau gestrichenen Schule, die der staatliche Entwicklungsfonds für die Siedlung errichtet hat. Am Mast flattert die grüne sambische Flagge im heißen Wind. Grün steht für die Landwirtschaft, für Fruchtbarkeit. Nichts, absolut gar nichts ist davon rund um die Bbendele Primary School zu erkennen. Die Hitze des Spätsommers hat den Boden verbrannt, die Pflanzen absterben lassen. Wo kein Wasser ist, kann nichts wachsen.
Schwarz, orange und rot sind drei kürzere Streifen auf der Landesfahne: Sie stehen für das Volk, die Bodenschätze (vornehmlich Kupfer) und den Freiheitskampf, der zur Gründung des unabhängigen Sambias 1964 führte. Das Wappentier, der Schreiseeadler, erhebt sich über allem und soll die Kraft des Volkes repräsentieren, Probleme zu überwinden. Josephine Mweemba hat, seit sie vor anderthalb Jahren als Schulleiterin in die Provinz Siavonga entsendet wurde, viele Probleme überwunden. Als sie in der Gemeinde ankam, wartete kein Empfangskomitee auf sie, sie kannte niemanden in diesem Teil Sambias. Die Lehrerin stand vor leeren Klassenzimmern. Ihre Vorgängerin hatte es an dem trostlosen Ort nicht ausgehalten, sie war über Nacht verschwunden. Die Schüler hatten sich darauf ihren Reim gemacht und waren von da an ebenfalls zu Hause geblieben.

Mweemba musste also zunächst Vertrauen aufbauen, dass sie es mit dem Unterrichten der Kinder ernst nehmen wollte. Am zweiten Tag kamen drei Schüler, die von ihrer Ankunft gehört hatten. Die schickte sie nachmittags nach Hause und bat sie, Mundpropaganda zu machen: Jetzt solle es wieder richtig losgehen mit dem Lernen.
Die Kinder erzählten es weiter, die Dorfältesten wurden kontaktiert und Mweemba selbst ging von Haus zu Haus, um sich vorzustellen. Es sprach sich herum, dass das strahlend blaue Haus im Sand mit neuem Leben gefüllt werden soll. Fast jede Woche kamen neue Schüler hinzu, bis heute sind es 147, zählt die Schulleiterin zufrieden auf. Bald sollen zwei weitere Lehrer ihren Dienst antreten, zum Jahresende fängt noch eine Kollegin dort zu arbeiten an. Die zwei Klassenräume müssen nun im Schichtdienst genutzt werden: 7 bis 10 Uhr, 10 bis 13 Uhr, 13 bis 16 Uhr, dann ist Schluss.
Schüler müssen bis zu fünf Liter Wasser mit zur Schule schleppen
Dass Lehrer dorthin geschickt werden, wo sie gebraucht werden, ist in Sambia Alltag. Das konnte schon immer ein Posten in der Hauptstadt Lusaka sein oder eine eher unbeliebte Station auf dem Land, weit abgelegen von jeder städtischen Infrastruktur. Viele Lehrer haben kein Auto, müssen wie ihre Schüler weite Wege zu Fuß oder mit dem Bus zurücklegen. Sie sind dann in einfachen Häusern untergebracht, oft teilen sich die Lehrerinnen ein Quartier. Angesichts der Bedingungen ist es fast überraschend, dass so viele Lehrkräfte auch abgelegene Posten in der Provinz antreten. Aber in Sambia wurde – anders als in Deutschland – über den Bedarf ausgebildet: Es herrscht eine Lehrerschwemme, das macht wiederum die Arbeit auch an einer Landschule attraktiver. Hier wird sie besser bezahlt.
Wem eine Versetzung in entlegene Winkel nicht behagte, der tauchte dort oft gar nicht erst auf. Diese Praxis ist in der zentralistischen Bürokratie lange verborgen geblieben. Die hatte bis dato meist einfach eine besetzte Planstelle in der Provinz erfasst und war zufrieden. Präsident Hichilema räumt auch mit diesem deutlichen Unterschied zwischen Lehrer-Soll und Lehrer-Haben auf und führt Kontrollen ein. Außerdem wird nun bei Versetzungen darauf geachtet, dass Eheleute im Staatsdienst nicht mehr örtlich getrennt werden – auch das war eine der Ursachen für die „Landflucht“ mancher Lehrer.
So einladend die Bbendele Schule von außen aussieht, es gibt hier kein Wasser, keinen Brunnen. Deshalb müssen die Mädchen und Jungen jeden Morgen mehrere Liter Wasser mitbringen: Damit sie selbst genug trinken, aber auch damit mittags für sie gekocht und abgewaschen werden kann, damit die zwei Latrinen gereinigt werden können und sich die Kinder nach dem Weg zum Plumpsklo die Hände waschen können. Die jüngsten Schüler tragen zweieinhalb Liter heran, die älteren fünf Liter. Jedes Kind erreicht den Unterricht mit einem Kanister oder Eimer aus Plastik, für manche dient der Deckel dann auch als Teller für die Mittagsmahlzeit.

Der Präsident Sambias, Hakainde Hichilema, hält Bildung für das beste Mittel gegen Armut. Er hat die Schulgebühren zusammengestrichen und den Kindern in den Grund- und Vorschulklassen eine Mittagsmahlzeit versprochen, ein weiterer Anreiz für ärmere Familien, ihre Kinder zur Schule zu schicken.
Und sie kommen jetzt zahlreich. Josephine Mweemba bekommt zwar Geld für Maismehl und Bohnen, hat aber keine Köche. Das übernehmen im Wechsel die Mütter der Kinder. „Manchmal kommen sie aber nicht, weil sie auch andere Aufgaben haben“, sagt Mweemba ohne Vorwurf. Dann müssen sie und die anderen Lehrer selbst den „Mthiko“ in die Hand nehmen, den großen Kochlöffel, mit dem das Maismehl mit Wasser über dem offenen Feuer zusammengerührt wird, bis daraus Nshima wird, ein farb- und geschmackloser Brei, der in Sambia zu fast jeder Mahlzeit gegessen wird. Daraus wird bei Tisch mit den Händen ein kleiner Kloß geformt, der entweder in Saucen getunkt oder in Bohnen oder anderes Gemüse gedrückt wird, um es auch ohne Besteck essen zu können. Weil der Brei in riesigen Töpfen für Dutzende Kinder gekocht wird, ist das Rühren Knochenarbeit. Statt Mittagspause haben dann Mweemba und ihre Kollegin Ruth Kamboni Küchendienst.
Schulen wie die Bbendele School würden von einem Brunnen profitieren, der lange Wege spart und vor allem die hygienischen Bedingungen verbessert. In diesem Jahr sammelt die F.A.Z. Spenden für die Stiftung Kinderzukunft aus Gründau im Main-Kinzig-Kreis, um mehrere Schulen und die angrenzenden Gemeinden im Süden Sambias mit Wasser zu versorgen. Mit ihrem lokalen Partner ADRA hat die Stiftung schon einige Brunnen gebohrt, sanitäre Anlagen gebaut und Schulgärten und Nähschulen angelegt. Damit soll nicht nur der Wasserdurst der Menschen, Tiere und Pflanzen gestillt werden. So können auch Fähigkeiten vermittelt werden, die den Jugendlichen später ein Auskommen sichern sollen.
Gegen 16 Uhr verlassen die letzten Schüler die Klassenzimmer der Bbendele Schule. Das Thermometer zeigt immer noch weit über 30 Grad an. Der Lehrer Chizere Masaba verteilt den Rest des Wassers, das alle vorher zusammen herbeigeschleppt haben: Jeder soll noch einen Schluck bekommen, bevor er den manchmal sehr langen Heimweg antritt. Masaba achtet darauf, dass die Kleinsten nicht zu kurz kommen, aber er kann nicht verhindern, dass am Ende zu wenig für die Letzten da ist. Denn Wasser ist hier immer zu knapp.
