
Ein Laborversuch, der auf ein neues Medikament hoffen lässt, ein Gift, das man nicht vermutete, wo man es gefunden hat – beinahe täglich vermelden Forscher Erkenntnisse, die Hoffnungen oder Befürchtungen wecken. Wir fragen nach, was aus solchen Entdeckungen geworden ist.
Obstbauern kennen das: Eine Fruchtfliege setzt sich auf gesunde Kirschen, Himbeeren oder Pfirsiche, bohrt sie an und legt ihre Eier darin ab. Nur eine kleine Einstichstelle kündet zunächst von ihrem Besuch. An den folgenden Tagen aber nimmt das Unheil seinen Lauf. Die sich aus den Eiern bildenden Larven fressen die Frucht von innen auf.
Obstbauern fürchten das. Denn sollten sich massenhaft Fruchtfliegen besonders der Gattung Bactrocera über ihre Plantagen hermachen, hat das weitreichende Folgen. „Sie zählen zu den bedeutendsten schädlichen Fruchtfliegenarten weltweit und können die Obst- und Gemüseernte in betroffenen Ländern massiv gefährden“, sagt Marc Schetelig, Insektenbiotechnologe an der Universität Gießen. So etwas bedeutet für die Erzeuger ein wirtschaftliches Desaster – und für Verbraucher im Zweifel steigende Preise. Schetelig arbeitet mit Forschern aus anderen Ländern in einem von der Europäischen Union finanzierten Projekt an Gegenmitteln, um dem Befall von Obsthainen und Gemüseplantagen vorzubeugen. Die F.A.Z. berichtete erstmals 2022 darüber. Nun stehen die Wissenschaftler vor einem ersten Erfolg.
Schetelig und seine Kollegen planen, von Ende Juni an über zwölf Wochen sterile Männchen in Griechenland in die Freiheit zu entlassen. Die Forscher haben diese Fruchtfliegen selbst unfruchtbar gemacht, mithilfe von Gammastrahlen. Das nennt sich Sterile-Insekten-Technik. Die Idee dahinter: Paaren sich solche Männchen mit normalen Weibchen, zeugen sie keine Nachkommen. In der Folge verkleinert sich die Population der jeweiligen Fruchtfliegenart. Um genügend sterile Männchen zur Hand zu haben, müssen die Forscher zunächst große Mengen dieser Insekten züchten. Mit Blick auf die Massenzucht stellt sich die Frage, wie sich die Tiere am besten ernähren lassen, ohne dass dies zu teuer wird. Was fehlt der Fliege, wenn Menschen sie füttern? Mit dieser Frage und mit Überwinterungsstrategien der Insekten befassen sich Forscher ebenfalls.
Weibchen vertragen keine Hitze
Nicht zuletzt müssen Männchen von Weibchen getrennt werden, um gezielt männliche Fliegen den Gammastrahlen aussetzen zu können. Forscher machen sich nach den Worten von Schetelig die unterschiedliche Farbe der Nachkommen zunutze. Im Puppenstadium seien die Männchen braun und die Weibchen weiß. So könnten die Weibchen aussortiert werden. Dies gelinge mit einer Sortieranlage für Reis. Embryonen der Fruchtfliegen könnten aber auch mit einem bestimmten Marker nach Geschlechtern getrennt werden. Heranwachsende Weibchen vertrügen keine Hitze und stürben, wenn sie starker Wärme ausgesetzt würden, erläutert der Forscher. Dies senke die Aufzuchtkosten, weil ein erheblicher Teil der Insekten nicht weiter ernährt werden müsse.
Die sterilen Männchen werden die Forscher in der griechischen Region Naoussa freilassen. Von dort stammt etwa ein Zehntel der Pfirsichernte auf der Welt. Aus einem früheren Forschungsvorhaben wissen die Forscher zudem grundsätzlich um das Schädlingsaufkommen in dieser Gegend, wie Schetelig sagt. Um dieses Wissen zu vertiefen, hätten sie Gebiete mit Drohnen überflogen und kartiert und dabei Bäume und Sträucher erfasst. Aus 130 dieser Gebiete haben die Forscher nach seinen Worten 13 herausgesucht, um die sterilen Männchen freizulassen.
Die Bereitschaft der Obstbauern zur Zusammenarbeit mit den Forschern sei groß. Es habe mehrere Treffen mit Landwirten gegeben. Dieses Miteinander sei extrem wichtig. Schließlich wollen die Wissenschaftler etwas entwickeln, das die Bauern auch einsetzen.
Ein Verfahren für Bauern und Zöllner
Dies gilt gerade für eine im Verlauf des Projekts entwickelte Technik zur Bestimmung von Fruchtfliegen in einem möglichst frühen Stadium. Dieses Verfahren ähnele dem aus der Corona-Pandemie bekannten PCR-Test, liefere aber das Ergebnis schon nach etwa anderthalb Stunden statt nach Tagen, so Schetelig. Zu diesem Zweck werde eine Lösung auf eine zerdrückte Larve gegeben. Durch eine chemisch-biologische Reaktion werden die verschiedenen Fruchtfliegenarten unterschiedlich eingefärbt, wie der Insektenbiotechnologe sagt. Dieses Verfahren könnten Bauern ebenso anwenden wie Zöllner. Schließlich können Fruchtfliegen aus Asien per Fracht im Schiff oder im Flugzeug eingeschleppt werden.

Wie viele sterile Männchen die Forscher ausfliegen lassen, ist noch offen. Dies hängt laut Schetelig von den Funden in den eigens aufgehängten Insektenfallen in den Plantagen ab. Die Forscher wollen ein Invasionsszenario mit einem nach und nach wachsenden Aufkommen von Fruchtfliegen nachbilden und Erfahrungen sammeln. Schließlich zielt das EU-Projekt unter Beteiligung der Hebräischen Universität in Jerusalem, des Agrarministeriums von Mauritius und einer auf Fragen der Landwirtschaft spezialisierten Forschungsgesellschaft aus Südafrika darauf ab, anschwellende Populationen möglichst früh einzudämmen. Für den Test nutzen die Wissenschaftler Männchen der Mittelmeer-Fruchtfliege. An anderen Spezies arbeiten sie laut Schetelig bisher nur im Labor.