EU-Entscheidung zum Verbrenner-Aus: Ein Turbo für die kleinen Elektroautos

Am Tag nachdem die Europäische Union ihre Pläne für neue Emissionsregeln vorgelegt hat, sucht die Autobranche sichtlich nach Orientierung. Der Volkswagen-Konzern gibt sich zufrieden und spricht von einem „pragmatischen Entwurf“, vor allem weil elektrische Kleinwagen bald besonders gefördert werden. Und in diesem Segment wollen die Wolfsburger viele neue Modelle herausbringen.

Beim Autolobbyverband in Berlin klingt das ganz anders. Der VDA muss Interessen der ganzen Branche berücksichtigen, vom Zulieferer bis zu den Luxusherstellern BMW und Mercedes. In der Summe, so lässt der Verband wissen, sei das Gesamtpaket enttäuschend. Statt wirklich auf Technologieoffenheit zu setzen, komme aus Brüssel bloß ein „Lippenbekenntnis“. Neue Anforderungen wie die Verwendung von grünem Stahl und erneuerbaren Kraftstoffen schafften neue Hürden für die Industrie.

Die Europäische Kommission hatte am Dienstag ein Paket vorgestellt, das der Branche einerseits mehr Flexibilität geben, andererseits den Kurs zu sauberen Antrieben beibehalten soll. Die CO2-Flottenemissionen sinken demnach vom Jahr 2035 an nur noch um 90 Prozent im Vergleich zu 2021 – statt wie zunächst geplant um 100 Prozent. Damit können auch danach noch neue Benzin- oder Hybridfahrzeuge zugelassen werden, genau wie Elektroautos mit kleinem Verbrennungsmotor an Bord, der die Reichweite verlängert, sogenannte Range Extender.

„Supergutschriften“ für die Hersteller kleiner Autos

Die Hersteller, die Autos mit Verbrennungsantrieb verkaufen wollen, müssen aber für den Bau klimaneutral produzierten Stahl verwenden und sie mit Biokraftstoffen betanken. Für Unternehmensflotten greifen strenge Regeln, sodass Batteriefahrzeuge wohl auch unter den neuen Vorschriften schnell einen großen Anteil ausmachen müssen. Die Kommission geht in eigenen Schätzungen davon aus, dass Mitte des nächsten Jahrzehnts etwa ein Drittel der verkauften Neufahrzeuge noch einen Verbrenner- oder Hybridantrieb haben werde. Der gesamte Rest müsste demnach vollelektrisch fahren.

Erfreut zeigen sich Hersteller, die schon heute auf elektrische Kleinwagen „made in Europe“ setzen. Dazu gehört nicht nur der deutsche VW-Konzern, sondern auch Renault aus Frankreich. Mit den Modellen R5, R4 und dem gerade neu auf den Markt kommenden, in Slowenien gebauten Twingo haben die Franzosen drei Elektrofahrzeuge mit weniger als 4,20 Meter Länge im Angebot, die in die geplante neue „Unterkategorie von Personenkraftwagen“ namens „M1E“ fallen. Der Verkauf von in der EU produzierten Autos aus dieser Kategorie soll den Herstellern fortan „Supergutschriften“ bei den CO2-Zielen einbringen.

DSGVO Platzhalter

Dass zudem für den Bau von „M1E“-Autos künftig weniger strenge Regeln gelten sollen als für größere Premiumautos, ist ebenfalls im Sinne von Renault. Zusammen mit dem Opel-Mutterkonzern Stellantis haben die Franzosen in den vergangenen Monaten vehement für eine solch differenzierte Regulierung lobbyiert. „Braucht man wirklich einen Spurhalteassistenten in Autos, die 95 Prozent ihrer Zeit in der Stadt fahren?“, hatte der bis Sommer amtierende Renault-Chef Luca De Meo rhetorisch gefragt. Die aktuellen Vorschriften würden es „nicht ermöglichen, Kleinwagen unter akzeptablen Rentabilitätsbedingungen herzustellen“.

EU erhöht den Anreiz, Kleinwagen zu bauen

Die Kombination aus „Supergutschriften“ und Regulierungsabbau gibt Herstellern einen starken Anreiz, in elektrische Kleinwagen in Europa zu investieren und diese auch preiswert auf den Markt zu bringen. Das könnte diesem politisch seit Langem geforderten Segment zum Durchbruch verhelfen. Bislang gibt es nur wenige Modelle wie den in der Slowakei produzierten ë-C3 der Stellantis-Marke Citroën, die mit Preisen von weniger als 20.000 Euro mit kleinen Verbrennerautos konkurrieren können. Renaults in Nordfrankreich produzierte Modelle R5 und R4 etwa kosten selbst in der Einstiegsversion mit kleiner Batterie knapp 25.000 respektive 30.000 Euro aufwärts. VW bringt im kommenden Jahr die ersten Autos seiner „Urban Car Family“ auf den Markt, zu der unter anderem das Modell ID.Polo zum Einstiegspreis um 25.000 Euro gehören soll. Im Jahr 2027 ist dann ein noch kleineres Modell für 20.000 Euro geplant, der „ID.Every1“.

Für den Premiumhersteller BMW war schon immer klar, dass das harte Verbrenner-Aus ein Irrweg ist. Man brauche Technologieoffenheit, keine Verbote, hieß es dazu stets vom Vorstandschef Oliver Zipse. BMW verkauft wie Mercedes viele Dienstwagen. Und diese Flotten müssen nun schneller elektrifiziert werden als bisher. Mercedes kritisierte am Mittwoch ebenfalls die neue Verordnung. Vor allem die Vorschriften für den Einsatz grünen Stahls und sauberer Kraftstoffe müsse man nun genau analysieren. „Mobilität muss CO2-neutral werden, und batterieelektrische Mobilität bleibt der Hauptpfad zur Dekarbonisierung unserer Industrie.“ Die ganz großen Schwierigkeiten drohen in der Riege der Lieferanten, von denen viele ausschließlich Teile für den Verbrennungsmotor herstellen.

Fachleute befürchten „Havanna-Effekt“ bei Gebrauchten

Private Autokäufer könnten einen Preisschock auf dem Gebrauchtwagenmarkt erleben: Denn so erfreulich die Preisentwicklung bei E-Autos sein mag, könnte sich bei den gebrauchten Verbrennern sogar ein gegenteiliger Effekt einstellen. Fachleute sprechen von einem „Havanna-Effekt“ – ein Phänomen in der Autoindustrie, bei dem Kunden aufgrund hoher Preise, Inflation und Zinsen ihre alten Fahrzeuge länger behalten, statt auf neue umzusteigen. Unter der neuen EU-Regulierung könnten Betreiber von großen Unternehmens- und Mietwagenflotten dazu übergehen, noch schnell große Mengen an Diesel- und Benzinfahrzeugen zu kaufen, bevor die neuen Vorschriften greifen – mit dem Effekt, dass die Preise in die Höhe schnellen.

Gerade die Autovermieter stehen unter besonderem Druck und sehen sich nun mit einer geradezu paradoxen Lage konfrontiert: Für sie bedeutet das aufgeweichte Verbrenner-Verbot ein faktisches Vorziehen des „Verbrenner-Aus“ um fünf Jahre auf 2030 für einen Großteil der Neuzulassungen. So sieht das jedenfalls der Ko-Vorstandsvorsitzende von Sixt, Konstantin Sixt, der sich insbesondere an den nationalen Elektroquoten stört, die zu mehr Bürokratie führten. „Aus unserer Sicht, gestützt durch Studien und Kundenumfragen, folgt eine erfolgreiche Transformation einem klaren Prinzip: Nachfrage folgt der Schnelladeinfra­struktur, nicht umgekehrt. Darauf sollte sich Brüssel konzentrieren.“

Sein Bruder Alexander, ebenfalls Ko-Chef von Deutschlands größtem Autovermieter, hatte kürzlich schon im Gespräch mit der F.A.Z. auf die mangelhafte Ladeinfrastruktur in Europa verwiesen. Rund 60 Prozent aller europäischen Ladesäulen befinden sich demnach in den drei EU-Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. „Oder anders: 80 Prozent der gesamten EU ist Ladewüste“, sagte er. „Versuchen Sie mal, ein Elektroauto in Südeuropa zu laden, wo es faktisch keine Lademöglichkeit gibt.“ Aber auch in Deutschland ist die Ladeinfrastruktur nach seinen Worten bei Weitem noch nicht ausreichend, da knapp die Hälfte aller hiesigen Kommunen keine einzige öffentliche Lademöglichkeit besitze.

Tatsächlich hatte die Bundesregierung schon 2019 das Ziel von einer Million Ladesäulen ausgegeben, heute sind es lediglich rund 180.000. Ladesäulenbetreiber beklagen zu lange Genehmigungsverfahren in der öffentlichen Infrastruktur. Und das sei nicht alles, sagte Sixt: „Mit den Ladesäulen allein ist es nicht getan, es müssen dafür noch sehr viele zusätzliche Kraftwerke genehmigt und gebaut werden. Das ist im wahrsten Sinne ein Windmühlenkampf.“