ESC: Die Sängerin, die unpolitisch sein will – und doch den Nahost-Konflikt in sich trägt – Medien

Für Teilnehmer aus Israel ist der Eurovision Song Contest (ESC) spätestens seit vergangenem Jahr eine sehr eigene Erfahrung. Das erlebt gerade Sängerin Yuval Raphael. Im Gegensatz zu den übrigen Delegationen bei dem europäischen Gesangswettbewerb in Basel wird sie nicht nur bejubelt – es schlägt ihr auch blanker Hass entgegen.

2024 in Malmö konnte die israelische Sängerin Eden Golan wegen der massiven Proteste gegen ihren Auftritt kaum ihr Hotelzimmer verlassen, sie bekam Todesdrohungen. Angeblich wurde sie vom israelischen Geheimdienst bewacht. In diesem Jahr in Basel ist die Lage nun etwas ruhiger. Aber auch hier fanden in der Finalwoche des ESC mehrere kleine, aber lautstarke Demonstrationen gegen Israel und Raphaels Auftritte statt. Bei einer der öffentlichen Proben wurde Raphael sogar ausgepfiffen, auch zum Halbfinale schafften es ein paar Palästina-Flaggen in die Halle.

Noch immer habe sie Schrapnelle in ihrem Körper, erzählt sie in Interviews

Die Teilnahme Israels am ESC war immer kontrovers, seit dem Krieg in Gaza ist der Streit eskaliert. Mit der Nominierung Raphaels wurde versucht, das alles etwas abzukühlen. Gleichzeitig ist es aber eben auch sie, die den Nahostkonflikt als Person auf die Bühne trägt. Denn sie ist eine Überlebende des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023. Mit Freunden feierte sie an diesem Tag auf dem Nova-Festival, als aus dem Gazastreifen Raketen nach Israel geschossen wurden und Hunderte Terroristen begannen, auf dem Festival und in den umliegenden Kibbuzim wahllos Menschen zu ermorden und zu entführen. Raphael und ihre Freunde versuchten, erst mit dem Auto zu fliehen, versteckten sich dann aber doch in einem Bunker am Straßenrand, der eigentlich gegen Luftangriffe schützen soll. Dort fanden die Hamas-Terroristen sie. Sie feuerten in die Menge, warfen Granaten in den Bunker. Immer wieder. Raphael überlebte verletzt als eine der wenigen, unter den Leichen versteckt. Noch immer habe sie Schrapnelle in ihrem Körper, erzählt sie in Interviews.

Womöglich sollte mit ihrer Teilnahme am ESC den Kritikern die Angriffsfläche genommen werden. Denn jede Kritik an Israel müsste sich dann auch mit dem Angriff der Hamas auseinandersetzen. Raphael hat aber auch eine Verbindung in die Schweiz, wo der ESC in diesem Jahr ausgetragen wird. Als Kind lebte sie mit ihren Eltern drei Jahre lang in Genf. Der Neuen Zürcher Zeitung erzählte sie, es sei eine ihrer liebsten Erinnerungen, wie sie in Genf in ihrem Kinderzimmer im Bett liegt, die Tür einen Spalt geöffnet, und im Wohnzimmer singen die Eltern und Freunde hebräische Lieder.

Beim ESC ist sie im Gegensatz zu den anderen Künstlern noch einmal mehr abgeschirmt

Abgesehen davon, dass sie bis vor zwei Jahren nicht professionell gesungen hat, wirkt Raphael also wie die perfekte Kandidatin für den ESC in diesem Jahr. Wenn man sie live hört, mag man das kaum glauben, so groß ist das Volumen ihrer Stimme, so gut schafft sie es, in ihrem Song „A New Day Will Rise“ große Emotionen zu wecken, ohne sich aufzudrängen. Wer zuhören will, kann zuhören.

Privat ist über sie, vielleicht auch aus Sicherheitsgründen, wenig bekannt. Dem ESC verriet sie, dass sie in einem Vorort von Tel Aviv lebt. Sie reitet und tanzt gerne, sie mag Soul und R’n’B. Als Kind habe sie auch gerne Led Zeppelin, Scorpions und Céline Dion gehört.

Beim ESC ist sie im Gegensatz zu den anderen Künstlern abgeschirmt. Viele Sänger konnte man die Woche über unkompliziert bei Veranstaltungen in der Stadt oder im Pressezentrum treffen. Nicht so Raphael, Anfragen für ein Treffen wurden nicht einmal beantwortet. Wenn überhaupt, gab sie Medien nur kurze Videointerviews. Unter den diesjährigen Künstlern scheint aber zumindest eine gewisse Solidarität zu herrschen. Nachdem am Donnerstag beide ins Finale eingezogen waren, umarmte die Dänin Sissal sie vor laufender Kamera. Beim Finale an diesem Samstag wird die israelische Sängerin aber wieder als Einzige mit Pfiffen und Buhrufen oder Schlimmerem rechnen müssen. Der BBC sagte Raphael, sie habe vorher geprobt, mit solchen Ablenkungen umzugehen.