Es wobbelt – was bringen Woom-Räder – Gesellschaft

Es gibt Momente im Kapitalismus, da wird man praktisch neu geboren, als Teil einer neuen Zielgruppe. Das passiert besonders heftig, wenn man ein Kind bekommt. Bunte Produkte tauchen dann vor einem auf, die einem größere, allergrößte Vorteile versprechen.  Man lernt wippende Wiegen mit Bewegungssensoren kennen oder DJ-Pulte, bei denen es nicht einfach nur darum geht, blinkende Knöpfe zu drücken, sondern nebenbei auch schon mal Spanisch zu lernen. Alles ist möglich – was natürlich genauso für die Preise der Produkte gilt.

Alles furchtbar, dieser Kommerz. Einerseits.

Im Segment „Fortbewegung“ hat der Fahrradhersteller Woom nun noch mal ein ganz neues Feld eröffnet: ein Fahrrad für unter Einjährige! „Kein Spielzeug und kein gewöhnliches Laufrad“, verkündet der Hersteller, sondern „ein echter Gamechanger“: Das Woom Wow.

Moment, unter Einjährige? Die können doch oft nicht mal laufen? Korrekt. Voraussetzungen, die das Produktblatt für die radelnden Gamechanger aufführt: Die Kinder sollen mindestens 70 Zentimeter groß sein und stabil stehen, wenn sie sich an etwas festhalten. Also los: Ein bisschen elterliche Haltehilfe, rauf auf den Woom-Wow-Sattel und losradeln? „Wobbeln“, nennt der Hersteller das, irgendwas zwischen Hin- und Herwackeln, Tapsen und Taumeln. Auf einem Sattel, der eine längliche, schwarze Fläche ist. Auf zwei breiten Reifen, sehr breit, eher Walzen. Mit einem  Rahmen in pastelligen Gute-Laune-Farben, als ob Batmans Motorrad zu lange in der Garage der Teletubbies gestanden wäre.

Endlich! Denn ja, natürlich ist – das wissen wahrscheinlich alle Eltern von fast Einjährigen – Bewegung an sich ein Mysterium (Wie ist sie denn jetzt schon wieder aufs Sofa geklettert? Mist, die Badezimmertür!). Und nein, Kinder lernen auf dem Wow nicht Fahrrad fahren. Aber in Wahrheit geht es hier auch um echte Lebenskunst, die richtige Balance. Achtsamkeit für Achtmonatige quasi. Ein erster Wackelkontakt mit dem großen Ding Mobilität. Also die Vor-Vorstufe zum ersten Carbon-Rennrad, man kann nie früh genug anfangen, den Kapitalismus am Laufen zu halten.

Das mit dem Wobbeln klappt mal besser und oft viel schlechter. Gut, dass Eltern ohnehin schon ihre ganz eigenen Wow-Skills mitbringen: Ihre Reflexe sind bestens auf kleine Stürze vorbereitet, der dauernde Rückenschmerz wird routiniert weggeatmet und die eigene Angst vor Verletzungen der Kinder gekonnt verborgen hinter einem motivierenden „Super!“.  Und irgendwann dann, nach einiger Übung, lässt man los und staunt: Das Kind, es wobbelt!

Braucht nun jedes Kind dieses neue Ding, um sich motorisch richtig zu entwickeln? Sicherlich nicht. Wird dadurch eine weitere Phase frühkindlicher Entwicklung kommerzialisiert? Klar. Macht es Spaß, sofern man es einfach nur als Teil des Spielzeugarsenals sieht, das wenigstens nicht blinkt und keine Geräusche macht? Ja. Und bald schon – jede Wette – wird eine Nachfolgeversion auf den Markt kommen, bei der auch ein eigener Lautsprecher eingebaut ist, mit dem die Kleinen spielerisch die Straßenverkehrsordnung auswendig lernen.