Es wird „ungemütlich“Sam Altman ruft „Alarmstufe Rot“ bei OpenAI aus
Von Hannes Vogel
Das wertvollste Startup der Welt steht an einem Wendepunkt: Wachsende Konkurrenz, zu wenige zahlende Kunden und explodierende Kosten kratzen an OpenAIs Image als führende KI-Schmiede. Sam Altman alarmiert die Belegschaft – und setzt auf fragwürdige neue Geschäfte.
„Wir befinden uns in einer kritischen Phase für ChatGPT,“ warnte OpenAI-Chef Sam Altman diese Woche seine Mitarbeiter in einem internen Memo. Laut der Tech-Webseite The Information und dem „Wall Street Journal“ rief Altman in seiner Nachricht die höchste Warnstufe aus, die das wertvollste Startup der Welt intern verwendet, um die Dringlichkeit von Problemen zu vermitteln: „Code Red“, Alarmstufe Rot. Höchste Priorität hat demnach nun, die Qualität von ChatGPT massiv zu verbessern. OpenAI mobilisiert dafür alle Ressourcen und schiebt andere Projekte, wie etwa KI-Agenten für Shopping und Gesundheit, auf die lange Bank.
Altmans Weckruf ist das bislang deutlichste Zeichen dafür, wie groß der Druck auf die derzeit führende KI-Schmiede der Welt geworden ist. Und wie sehr die Konkurrenz OpenAI im Nacken sitzt: Schon im Oktober hatte der deutsche ChatGPT-Produktchef Nick Turley laut „New York Times“ in einem internen Slack-Kanal von OpenAI „Code Orange“ ausgegeben. Man sei inzwischen „dem größten Wettbewerbsdruck aller Zeiten“ ausgesetzt. Bereits im November hatte Altman seine Belegschaft beim Launch von Googles neuestem KI-Modell „Gemini 3“ auf deutlich härtere Zeiten eingeschworen: Es sei mit „vorübergehendem wirtschaftlichem Gegenwind für unsere Firma“ zu rechnen. „Ich erwarte, dass es da draußen eine Zeit lang etwas ungemütlich wird.“
Damit steht OpenAI am Wendepunkt. Bisher war das Startup unangefochten die führende KI-Schmiede. Seit dem Start von ChatGPT im November 2022 hinkten die Entwickler bei Google, Meta und Co. den Modellen aus San Francisco hinterher. Der Glaube an OpenAIs Technologie und die Bewertungen der KI-Firmen stiegen ins Unermessliche. Doch nun beginnt sich das Blatt zu wenden. Nur wenige der Hunderte Millionen ChatGPT-Nutzer zahlen auch. Zudem holt die Konkurrenz von Google, Anthropic und Co. rasant auf und ist finanziell weit besser ausgestattet. OpenAI muss dringend profitabel werden, um zu überleben. Deshalb setzt Altman auch auf neue, fragwürdige Geschäftsfelder.
Google und Anthropic sind ChatGPT auf den Fersen
Dass Altman intern Alarm schlägt, wirkt wie ein Déjà-vu. Diesmal allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Als ChatGPT Ende 2022 die Welt im Sturm eroberte, gingen bei Google die Warnleuchten an. OpenAI hatte den mächtigsten Internetriesen aus dem Stand geschlagen. Google-Chef Sundar Pichai sorgte sich öffentlich, dass ChatGPT das Ende der Internetsuche bedeuten könne. Drei Jahre lang war OpenAI praktisch synonym mit KI. Nun dreht sich der Wind wieder.
Gemini 3 ist ChatGPT inzwischen bei einer Reihe von Tests überlegen, mit denen die Fähigkeiten von KI gemessen werden. Dazu gehören beispielsweise die „Letzte Prüfung der Menschheit“ (Humanity’s Last Exam), Matheaufgaben, Programmierung oder die zeitgleiche Analyse von Text, Audio und Video. Viele ChatGPT-Nutzer wechseln deshalb zu Gemini: „Ich gehe nicht zurück“, sagte etwa Salesforce-Chef Marc Benioff kürzlich über seinen Wechsel. 650 Millionen Nutzer hat Gemini inzwischen laut Google. ChatGPT bringt es auf 800 Millionen. Mit Claude ist zudem ein weiterer Konkurrent stark im Kommen: Der Chatbot von Anthropic hat sich mit seinem Fokus auf sichere KI-Entwicklung und Unternehmenskunden eine Marktlücke erarbeitet. Hinzu kommen weitere Mitbewerber wie Perplexity, Grok und Llama oder Mistral aus Europa und Deepseek aus China.
Viel zu wenig zahlende Kunden
Damit wird es für OpenAI noch schwieriger, mit seinen Chatbots Geld zu verdienen. Die monetäre Konversion läuft äußerst schleppend: Laut The Information zahlen aktuell nur rund fünf Prozent der Nutzer, also etwa 35 Millionen Menschen, für die Dienste der KI-Schmiede. Laut dem Bericht rechnet OpenAI intern damit, dass es bis 2030 220 Millionen werden. Das würde das Unternehmen in puncto Abonnenten etwa in eine Liga mit Netflix (300 Millionen Abonnenten) oder Spotify (280 Millionen Abonnenten) katapultieren. Bis dahin ist es jedoch noch ein sehr weiter Weg.
Tatsächlich sind die Ausgaben europäischer Kundinnen und Kunden für OpenAI-Abos im Juni leicht gefallen und haben sich seitdem kaum weiter erholt. Dies geht aus einer Auswertung von anonymisierten Zahlungsdaten europäischer Banken aus Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien hervor, auf die sich Deutsche Bank Research beruft. „Anders als in den letzten beiden Jahren hat sich das Wachstumstempo lange nach der jährlichen Sommerflaute nicht beschleunigt, was darauf hindeutet, dass das Abo-Modell möglicherweise die Sättigungsgrenze erreicht“, schreibt die Bank.
Laut Deutscher Bank Research sammelt OpenAI bei seinen Kunden zwar immer noch am meisten Geld ein. Der Gesamtwert der Abos hat seit Jahresbeginn um 18 Prozent zugelegt. Doch die Wachstumsraten der Konkurrenz sind noch weitaus höher: Perplexity bringt es auf 48 Prozent und Claude hat seine Abo-Einnahmen im gleichen Zeitraum sogar fast versiebenfacht. OpenAI muss daher dringend andere Wege finden, Geld zu verdienen. Deshalb hat Sam Altman angekündigt, bald Werbung zu schalten. Für zahlende Erwachsene soll zudem Sex-Talk mit der KI freigeschaltet werden.
OpenAI braucht Milliarden, um zu überleben
Denn ohne frisches Geld ist OpenAI nicht überlebensfähig. Obwohl es als wertvollstes Startup der Welt mit einer halben Billion Dollar bewertet wird, verbrennt es Kapital mit atemberaubender Geschwindigkeit. Laut „Wall Street Journal“ rechnet OpenAI Investoren gegenüber mit einem Verlust von 9 Milliarden Dollar in diesem Jahr, obwohl das Unternehmen Einnahmen von 13 Milliarden Dollar vorweisen kann. Zu den operativen Verlusten kommen laut Deutsche Bank Research Zahlungsverpflichtungen von 1,4 Billionen Dollar in den nächsten acht Jahren für die gigantischen Investitionen in KI-Rechenzentren wie „Stargate“ in Texas hinzu.
Die Konkurrenz ist finanziell deutlich besser aufgestellt. Zwar schreibt Anthropic ebenfalls noch rote Zahlen und hat mit etwas mehr als vier Milliarden Dollar geringere Umsätze, aber dafür sind die Kosten auch viel niedriger. Laut dem Blatt wird die KI-Firma daher zwei Jahre früher die Gewinnzone erreichen als OpenAI und bis dahin 14-mal weniger Geld verbrennen. Die Cloud-Giganten Google und Amazon verfügen ohnehin über finanzielle Mittel aus ihren etablierten Geschäften und können im Gegensatz zu OpenAI einen Großteil der enormen Ausgaben für die KI-Infrastruktur quasi aus der Portokasse bezahlen. Sam Altman hat selbst zugegeben, dass man sich in einem „Rechenpower-Wettlauf mit finanziell besser ausgestatteten Gegnern“ befinde.
„OpenAI muss seine Ausgaben in den Griff kriegen oder dem Markt beweisen, dass es sich das irgendwie leisten kann“, warnt die Deutsche Bank daher. Langfristig geht das nur, indem die Firma den Kapitalmarkt anzapft. Konkurrent Anthropic arbeitet Medienberichten zufolge bereits an einem Mega-Börsengang, womöglich schon im kommenden Jahr. OpenAI-Finanzchefin Sarah Friar schließt ihn bislang zwar öffentlich noch aus. Intern soll sie allerdings laut Insidern für 2027 einen Gang aufs Parkett anpeilen. Wie viel Zeit noch bleibt, hängt davon ab, was das OpenAI-Team nun aus Sam Altmans Weckruf macht.
