Es kann an den Märkten auch mal wackelig werden

Kriege in der Ukra­ine und im Nahen Osten, Spannungen rund um Taiwan, ein erratischer US-Präsident Donald Trump mit einem ähnlich erratischen Berater Elon Musk bald im Weißen Haus, nur an den Finanzmärkten derzeit zurückgedrängte Klimarisiken – es sei erstaunlich, wie robust sich die Kapitalmärkte angesichts dieser Belastungsfaktoren zum Jahreswechsel zeigten, sagt Vermögensverwalter Christian Hille. Das frühere Vorstandsmitglied der Castell-Bank, das sich 2024 mit Weggefährten unter dem Namen „Caplign“ selbständig gemacht hat, beobachtet: „Der Optimismus unter den Anlegern, dass es ,weiter so geht‘, ist recht groß. Die Einzigen, die sich derzeit skeptische Gedanken machen, sind die Lenker von Staatsfonds etwa aus der arabischen Welt“, sagt Hille, der aus seiner Zeit bei der Fondsgesellschaft DWS über Kontakte zu dieser wichtigen Anlegergruppe verfügt.

Wenige US-Zinssenkungen erwartet

Hille betont im Gespräch mit der F.A.Z. über die eingangs genannten und weitgehend bekannten Krisenherde hinaus als Störfaktoren für die Kapitalmärkte im Jahr 2025 und darüber hinaus: Die Zinspolitiken dies- und jenseits des Atlantiks werden auseinanderdriften, bedingt durch die weiterhin starke US-Konjunktur und die zurückfallende Wirtschaft in Europa. Ein solches Entkoppeln war selten. Außerdem wachsen die Schulden auf der Welt. In den USA werde es nur noch wenige Leitzinssenkungen geben, denn die von Trump geplanten Steuersenkungen und die angekündigten Zölle wirkten inflationär.

Schon 2024 seien die langfristigen Zinsen gestiegen, während die US-Notenbank Fed am kurzen Ende die Zinsen gesenkt habe, erinnert Hille: „In diesem Modus werden wir erst einmal fortfahren.“ Falls die Zehnjahresrendite von derzeit 4,5 Prozent auf 5 Prozent steigen sollte, werde aber der US-Immobilienmarkt zu sehr leiden und auch der Dollar zu stark aufwerten – beides sei weder im Interesse von Trump noch der Fed.

Immerhin liefern länger laufende Anleihen in den USA inzwischen wieder höhere Renditen als kürzer laufende, während die Zinskurve zuvor über viele Quartale hinweg atypisch gefallen ist und damit auf eine Rezession hingedeutet hat, die aber nie gekommen ist. Gleichwohl sei der Aufwärtszyklus an den Kapitalmärkten, also die starke Erholung an den Aktienbörsen nach Corona, in einem fortgeschrittenen und späten Stadium, sagt Hille. Die schon starke Renditespreizung zwischen den Anlagen werde noch zunehmen. Der US-Technologiesektor liefere dafür einen Vorgeschmack: KI-Profiteure wie Palantir (Kursplus 360 Prozent seit einem Jahr) und Nvidia (Kursplus 180 Prozent) haben 2024 kräftig zugelegt, die Aktie des bekannten Halbleiterunternehmens Intel dagegen hat 60 Prozent verloren.

Hille geht davon aus, dass mittelfristig die Zinsen in den USA steigen würden – um Inflation und Schuldenaufbau zu begrenzen. Deshalb rät er derzeit von US-Anleihen ab. Auch Hochzinsanleihen („High Yield“) wiesen kein gutes Chance-Risiko-Verhältnis auf. Hier sollte man vor einem Einstieg den Abverkauf abwarten. Allerdings werde die amerikanische Währung profitieren, wenn Anleger, von einem mittelfristig höheren Zinsniveau in den USA angelockt, Gelder in den Dollarraum umlenken sollten. Hille rechnet damit, dass der Euro, für den derzeit 1,05 Dollar gezahlt werden, bald nur noch einen Dollar wert sein und unter die Parität fallen werde. Schließlich lägen die europäischen Volkswirtschaften gerade in der Digitalisierung weit zurück.

Anleger sollten sich angemessene Renditeziele setzen, sagt Hille: „Auch wenn man das nicht gern hört: Die nächsten Jahre werden schwankungsreicher und wahrscheinlich weniger renditestark als die Vor-Corona-Jahre. Es kann an den Kapitalmärkten auch mal wackeliger werden. Deshalb sollte man seine Anlagen smart streuen und darauf achten, dass sie wenigstens relativ werthaltig sind und in Korrekturphasen auch Gegengewichte im Depot vorhanden sind.“ US-Anleihen wären wegen der vermutlich mittelfristig anstehenden Zinserhöhungen „kein guter Hedge“ zu Aktien.

Stattdessen rät Hille zu Gold und Bitcoin – beide werden von vielen Notenbanken zur Anlage eines Teils der Devisenreserven genutzt. „Gold hat immer mal wieder schlechte Jahre, und es wirft keine Zinsen oder Dividenden ab. Aber über die vergangenen 20 Jahre hinweg hat man mit Gold mehr Wert geschaffen als mit einer Anlage in den US-Aktienindex S&P 500“, sagt Hille. Anders als Notenbanken in aufstrebenden Ländern hätten viele Anleger zu wenig Gold im Depot. Aber mehr als 20 Prozent Gold hält auch Hille für zu viel.

Kritischer Blick auf China

Auf der Suche nach weiteren Alternativen zu Anleihen zeigt sich: Ein steigender Dollar dürfte auch für Nichtindus­trieländer („Emerging Markets“) eine Herausforderung darstellen, sagt Hille. Aber das Beispiel Argentinien mit seinem umstrittenen Präsidenten Javier Milei zeige, dass sich bei einem Regierungswechsel in Emerging Markets in Einzelfällen auch Gelegenheiten für Anleger ergeben könnten. Im Vergleich zu den Bewertungen der etablierten Aktienmärkte seien die Emerging-Aktienmärkte zumindest sehr günstig. China hingegen sieht der Vermögensverwalter wegen der hohen Verschuldung gerade von Immobilienprojektentwicklern und lokalen Gebietskörperschaften kritisch.

Der US-Aktienmarkt werde weiter nach oben laufen – dank Trump, pro­gnostiziert Hille. Ausgehend von den „glorreichen Sieben“ Alphabet (Google), Amazon, Apple, Meta (Facebook), Microsoft, Nvidia und Tesla werde sich der Aufschwung verbreitern – kleinere Rücksetzer eingeschlossen. Schließlich sollten auch kleinere US-Unternehmen von den Steuersenkungen und der „America-First-Politik“ Trumps profitieren. Von den europäischen Aktienmärkten hält Hille dagegen nicht viel – weil Unternehmen in Europa, von Ausnahmen wie SAP abgesehen, selten zu den Globalisierungsgewinnern früherer Tage gehörten und auch weniger Zugang zu Wagniskapital hätten als US-Unternehmen. Damit hätten sie es schwer, den technologischen Rückstand aufzuholen.

Europäische Anleihen dagegen seien zum gegenwärtigen Zinsniveau attraktiv, sagt Hille: „Um die Volkswirtschaften in Europa anzukurbeln, wird die Europäische Zentralbank die Zinsen noch deutlich senken müssen.“ Es ergebe daher Sinn, sich das heutige Zinsniveau in Europa zu sichern.