Welches Getränk verbindet die Deutschen? Die Antwort lautet: Glühwein. Nun werden die ersten einwenden, dass sie Glühwein hassten. Egal. Als das Wunder von Bern geschah, haben auch ein paar gemurmelt, sie fänden Fußball langweilig. Die Wirkung alles Großen, Bedeutsamen erreicht auch jene, die sich schnöd davon abwenden. Die Argumente gegen Glühwein sind sattsam bekannt. Erstens: Es ist billige Plörre, der ein schöner Forts de Latour stets vorzuziehen ist. Zweitens: Weihnachtsmärkte nerven, und somit auch ihr Signature-Drink. Drittens: Der Glühweinrausch ist der vulgärste von allen.
Gegen all das lässt sich leicht einwenden: Na und? Menschen verbindet ja gerade, dass sie einander in ihrer Seltsamkeit aushalten. Wer das nicht kann, soll mit einem guten Glas Whiskey in der Hand die Whiskeykellerwand anschauen.
Noch ein Einwand: Ist nicht vielmehr Bier das verbindende Getränk der Deutschen? Nein. Das Bier verhält sich zum Glühwein wie die Deckenlampe zum Lagerfeuer. Gerade weil der Glühwein das Getränk für die kalten, dunkel-glitzernden Wochen um Weihnachten ist, kommt ihm eine besondere Bedeutung zu. Um ihn zu genießen, versammeln die Deutschen sich, und zwar auch in Konstellationen, die sonst nicht durch die Kneipen ziehen.
Glühwein verbindet die Menschen auf eine besondere Art
Und ja: Manche saufen, statt zu genießen, aber das spricht bloß gegen die Säufer. Die durchschnittlichen Glühweintrinker trinken auch mal ein Tässchen zuviel, aber nur, weil der Glühwein sie so innig miteinander verbindet, dass sie gar nicht mehr weg wollen. Und das macht sie fröhlicher, auch am nächsten Morgen noch.
Zum Glühwein treffen Kollegen, Familien, Paare, Freunde, Kegelvereine, Touristen, Tinder-Dates und Spinner einander auf dem Weihnachtsmarkt. Mit klammen Händen umfassen sie kinderzimmerbunte Becher, auf die hoher Pfand gezahlt werden muss, in den allermeisten Fällen in bar, da wir ja in Deutschland sind. Meist regnet es, statt dass Schnee fällt, und die Bratwurst ist auch schon wieder einen Euro teurer als vergangenes Jahr. Es ist genau diese Meckerlaune, die der Glühwein den Deutschen in der Weihnachtszeit für ein paar Stunden austreibt. Das lässt sie dann plötzlich heiter aufblühen wie Italiener an Ferragosto. Glühweinverächter mögen auch das verachten. Sie gehen zum Lachen in den Whiskeykeller.
Glühwein steht für Vorfreude auf das Weihnachtsfest
Auch zu Hause verbindet der Glühwein. Nachbarn laden einander auf ein Glas in die Wohnung ein; dabei ist das Getränk auch der Anlass, es einzunehmen. Glühwein steht für Vorfreude auf das Weihnachtsfest, die man teilen will. Väter stehen in der Küche und rühren Zimstangen, Nelken und Orangenschalen in Wein, den sie eigens zu diesem Zweck gekauft haben. Mütter füllen damit die Thermoskanne. Dann sitzen alle auf dem Sofa, trinken Glühwein und essen Lebkuchen. Allen Kitschskeptikern sei versichert: Ja, da streitet man auch mal. Aber es gibt weltweit kein Getränk, bei dem sich niemand streitet. Bei Glühwein streitet es sich besser, wohliger.
Rund um den Glühweinausschank bilden sich oft neue Allianzen, freilich auch unheilige. Berüchtigt ist die Konstallation „Absturz auf der Betriebsweihnachtsfeier“, in der es zwischen zwei oft anderweitig vergebenen Kollegen unter dem Einfluss von Glühwein zum Äußersten kommt. Häufiger sind allerdings freundliche Worte zwischen Menschen, die sonst wenig oder kaum miteinander reden, oder Duz-Angebote seitens sonst sehr Zurückhaltender. So niemand allzu tief in den Becher schaut, ist die Erinnerung an den Abend am nächsten Tag noch präsent genug, um die neue Verbindung in den Alltag zu retten. Und selbst, wenn nicht: Dann war es halt ein guter Abend. Am Ende seines Lebens wird man zurückschauen; dann ziehen mutmaßlich nicht die Etiketten der teuersten Weine vor dem inneren Auge vorbei, sondern die schönsten Stunden.
Wer auf Glühwein verzichtet, weiß davon nicht viel. Er glaubt vielleicht, er wüsste es, weil er Leute schon beim Glühweintrinken beobachtet hat. Aber das ist, wie jeder weiß, der schon mal ein Lagerfeuer im Fernsehen gesehen hat, nicht dasselbe, wie dabei zu sein. Profitieren wird er dennoch: von der guten Laune der anderen.