
Ein neues Buch liefert verstörende Einblicke in Musks Tesla-Konzern: Tödliche Unfälle werden abgehakt, Mitarbeiter terrorisiert und Sicherheitsbedenken ignoriert. Weil die „Nummer 1“ an der Spitze rücksichtslos alle Regeln bricht. Egal, wie groß der Schaden ist.
Wer ist Elon Musk? Seit der reichste Mensch der Welt im Sommer auf die Bühne der Weltpolitik getreten und zu Donald Trumps wichtigstem Geldgeber, Einflüsterer, Staatszerstörer und CEO avanciert ist, versuchen Millionen Menschen zu verstehen, wer der Mann ist, der mit der Kettensäge die alte Weltordnung schreddert. Mehrere Biografien und Dokumentationen über Musk gibt es schon, Interviews mit seinen Ex-Frauen, seiner Mutter, seinem Vater, seinem Bruder, seinen frühen Weggefährten, seinen Kritikern.
Sie zeigen ihn als E-Auto-Pionier, als Tech-Genie, als Wunderkind. Als Iron Man, der wie der Filmheld mit seiner Firma die ganze Welt rettet. Der Raketen baut, die eines Tages die menschliche Zivilisation zum Mars tragen sollen. Die „Handelsblatt“-Reporter Sönke Iwersen und Michael Verfürden schauen in ihrem Buch „Die Tesla-Files“ hinter diese jahrelang kultivierte Fassade. Sie hatten weder Zugang zu seinen Vertrauten noch seiner Familie, oder Musk selbst. Und dennoch kommen sie ihm nahe: durch den Insider-Blick in seine wichtigste Firma liefern die Autoren „Enthüllungen aus dem Reich von Elon Musk“.
Und demaskieren ihn auf neue Weise: über die Innenansicht des Systems, das er sich selbst geschaffen hat, und das daher so viel über ihn verrät. Mithilfe der Daten eines Whistleblowers, die haarsträubende Missstände offenlegen, von gravierenden Sicherheitslücken bis zur Totalüberwachung der Mitarbeiter, ergibt sich indirekt ein Porträt des reichsten Mannes der Welt. „Handelt es sich bei Musk um einen Irren, einen Exzentriker oder das größte Genie unserer Zeit?“, fragen sie zu Beginn. „Die Antwort“, sagt Iwersen, „lautet wohl: alles drei.“
Aber er ist noch etwas anderes: ein Zerstörer. Ein Hasardeur, der besessen vom Erfolg im Innern seines Imperiums genauso auf Regeln pfeift und über alle Grenzen geht, wie man es von ihm inzwischen auf der großen, politischen Bühne kennt. „Er betrachtet Gesetze als ungebührliche Einmischung in seine Geschäfte“, sagt Michael Verfürden. „Er ist Narzisst, Despot und hat eine sehr dünne Haut.“ Musk und andere Tech-Oligarchen wie Peter Thiel sind überzeugt, der Staat müsse wie ein Tech-Konzern geführt werden. Das Buch beweist: Wenn sie dabei Tesla vor Augen haben, ist das Schlimmste zu befürchten. Musks Radikalität hat das Potenzial zur Selbstzerstörung.
Ein Servicetechniker gegen den reichsten Mann der Welt
Die „Tesla-Files“ sind nicht nur eine Momentaufnahme des Systems Musk. Sie sind auch die persönliche Geschichte seines größten Widersachers, eines einfachen Wartungstechnikers, ganz unten in der Tesla-Hierarchie, der durch seinen Mut und hohes persönliches Risiko der Öffentlichkeit einen Blick hinter die Kulissen ermöglicht: Lukasz Krupski. Der Mann aus Polen, der 2018 im Tesla-Lieferzentrum im norwegischen Drammen anheuert, zahlt einen hohen Preis dafür: Musk setzt die Polizei in Marsch und lässt seine Wohnung durchsuchen, seine Telefone und Computer beschlagnahmen, setzt eine frühere CIA-Offizierin auf ihn an. Stürzt ihn in einen jahrelangen Konflikt, der alles andere in seinem Leben lähmt. Bis heute.
Der Whistleblower war einst ein technikgläubiger Musk-Jünger, einer der für Tesla sogar sein Leben riskierte: Als in einem Showroom ein Model 3 plötzlich Feuer fängt, fasst er mit bloßen Händen in den brennenden Motorraum und verhindert eine Katastrophe. Musk bedankt sich per Email bei ihm. Doch seine internen Warnungen über Sicherheitsmängel und Arbeitsschutz will Tesla letztlich nicht hören. Er wird als nervtötender Nestbeschmutzer abgestempelt, der zu kritisch denkt. Tesla spioniert seinen Rechner aus, versetzt ihn in den Keller und feuert ihn schließlich.
Es ist die perfekte Chiffre für das System Musk. Denn so wie seine Firma mit Krupski umgeht, behandelt sie noch viel größere Probleme. Auf einem Indoor-Spielplatz zwischen tobenden Kindern übergibt er den Reportern einen Datenschatz: Rund 23.000 Dateien, hunderte Powerpoint-Präsentationen, Rechnungen, Kontoauszüge, Baupläne und Verträge. Mehr als 100 Gigabyte interne Originaldokumente mit Geschäftsgeheimnissen, auch von Anwälten, Banken, Kunden und Geschäftspartnern von Tesla.
Stehen Musks Ambitionen über dem Leben?
Aus dem Puzzle setzt das Reporter-Team in monatelanger Sisyphus-Arbeit ein verstörendes Bild zusammen. Bei Tesla kursieren offen Listen aller Mitarbeiter mit zehntausenden höchst vertraulichen Informationen, von Privatadressen über Sozialversicherungsnummern bis zu Gehältern. Ebenso private Kontaktdaten tausender Kunden, aber auch die Handynummern von Musks Ex-Frau Talulah Riley oder Apple-Mitgründer Steve Wozniak. Die Reporter sind live dabei, wie Krupski sich ins IT-System einloggt und einfach jedes beliebige Dokument öffnet.
Darunter sind auch tausende Kundenbeschwerden. Sie deuten auf massive Probleme mit dem Autopiloten hin. Er bremst plötzlich auf der Autobahn oder fährt ohne Vorwarnung in die Leitplanke. Mehr als 1000 unerklärliche Crashs und hunderte Notbremsungen sind dokumentiert. Systematische Probleme, die ein Ingenieur intern als „direktes Risiko für die Sicherheit des Kunden“ bezeichnet. „Mein Autopilot hat mich fast umgebracht“ schreibt einer von ihnen. Anderen kostet die Fahrt im Tesla tatsächlich das Leben: So wie etwa die beiden Männer, deren Wagen von der Straße abkommen, gegen eine Leitplanke beziehungsweise einen Baum knallen und dann vor den Augen der Feuerwehr verbrennen.
Tesla mauert, behauptet immer wieder, keine Daten zu den Todesfahrten gespeichert zu haben. Überprüfen lässt sich das nicht. Dafür finden sich Hinweise, dass Tesla Beweismittel zurückhält und Prozesse behindert. Eine „Struktur, die konsequent darauf ausgelegt ist, Musks Vision vom autonomen Fahren zu schützen und gleichzeitig kritische Informationen vor Dritten abzuschirmen“, nennen das die Reporter nach jahrelangen Recherchen.
„Nummer Eins“ ist allmächtig
Über seine Mitarbeiter geht Musk im Zweifel genauso hinweg, wie über seine Kunden. Seine Verkäufer peitscht Tesla offenbar auf wie bei „Wolf of Wall Street“: „Es läuft oft wie in einer Sekte, das ist eine total verrückte Welt“, erzählt einer von ihnen in den „Tesla-Files“. Von seinen Angestellten verlangt Musk dauerhaft Vollgas zu geben, auch auf Kosten ihrer Gesundheit. Kranken Mitarbeitern in Grünheide spioniert Musk inzwischen zu Hause nach, droht damit, ihren Lohn einzubehalten und setzt sie unter Druck, Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden und ihre Diagnosen offenzulegen.
Ein Teil davon lässt sich sicher mit Musks Prägung erklären. Seinem Asperger-Syndrom, seiner traumatischen Kindheit voller Psychoterror und emotionalem Missbrauch in Südafrika. Mit der zerrütteten Ehe seiner Eltern, dem angeblich gewalttätigen Vater, der die Mutter geschlagen und mit einem Messer zu den Nachbarn gejagt haben soll. Damit, dass Elon selbst in der Schule gehänselt, gemobbt und verprügelt wurde.
All das hat ihn zu einem Mann gemacht, der nach Anerkennung und Bewunderung giert. Wohl auch deshalb herrscht bei Tesla ein totalitärer Personenkult um den Techno-König, wie er sich selbst ganz offiziell nennt. Sieht er sich selbst als idealen Menschen, als Effizienz-Roboter, mit „einer Mischung aus hoher Intelligenz und Ambitionen“, wie es in einer internen Präsentation heißt. Und wird er von seinen Untergebenen nur N1 genannt – Nummer Eins. Den Machthaber, den niemand infrage stellen darf.
Musk spielt immer alles oder nichts
Doch die Tesla-Files zeigen auch, dass Musk sich ebenso bewusst entscheidet, Systemsprenger zu sein. Dass er gezielt Regeln überschreitet, Grenzen ignoriert und im Zweifel Gesetze bricht. „Elons DNA“ sei das, sagen die Autoren. „Move fast and break things“: Heraus kommt dabei zunächst radikale Innovation. Doch ob es wirklich kreative Zerstörung ist, bei der etwas Besseres entsteht, scheint offen. Man schaudert, wenn man Musk sagen hört, „das menschliche Bedürfnis, gemocht zu werden“ sei „eine wirkliche Schwäche. Die habe ich nicht“.
Kara Swisher, die Tech-Reporterin der „New York Times“, die Musk seit 30 Jahren kennt, sagt: Musk sei ein Mann, der sich nicht nur stets für das Zentrum des Universums hält, sondern der „immer der Held sein muss“ und wirklich glaubt, dass ohne Tesla die Menschheit verloren ist. Welchen Schaden er anrichtet, sei ihm egal. „Es geht nie um Lösungen. Sondern darum, dass alles Mist ist und wir es abschaffen müssen. Sie sagen einem nie, was ihr Ersatz dafür ist. Denn sie haben keine Theorie des Schaffens. Sie haben eine Theorie der Zerstörung.“ Auch in den Tesla-Files scheint das durch. Man kann darin erkennen, dass Musk an sich selbst scheitern könnte. Dass er nicht nur die Konkurrenz, sondern sich selbst zerstören könnte. Weil er nicht merkt, wann es genug ist.