Kürzlich entdeckte ein ehrenamtlicher Mitarbeiter der englischen Denkmalstiftung „English Heritage“ an Wänden und Balken des Herrenhauses Gainsborough Old Hall im englischen Lincolnshire Zeichen, die wohl vor vier- bis fünfhundert Jahren in die Balken und Wände geritzt wurden. Einmal aufmerksam geworden, erspähte man immer mehr von diesen „Witches’ Marks“ (Hexenzeichen). Außerdem fand sich ein Fluch, den anscheinend ein Feind des Hausherrn dieses 1460 erbauten Gebäudes hinterlassen hatte, wie „English Heritage“-Chefkurator Kevin Booth zu berichten weiß.
SZ: Mr. Booth, was genau sind „Witches’ Marks“?
Kevin Booth: Es ist ein etwas irreführender Begriff, weil man denken könnte, sie seien von Hexen angebracht worden. Tatsächlich sollen sie aber Unheil abwehren. Wir wussten schon länger von Brandzeichen an den Fachwerkbalken, die bewusst mit Kerzen verursacht und immer wieder aufgefrischt wurden. Sie waren definitiv dazu gedacht, böse Geister und Dämonen vom Haus fernzuhalten. Dann gibt es sogenannte „Daisy Wheels“, die wie eine Blume mit sechs Blütenblättern in einem Kreis aussehen. Es gibt konzentrische Kreise, die ineinander liegen und Pentagramme, die in einer einzigen Linie gezeichnet sind.
Und wie wirken die gegen Dämonen?
Die Idee ist wohl, dass der böse Geist, wenn er erst mal ins Haus kommt und ins Zentrum einer solchen Zeichnung kriecht, nicht wieder herausfindet und gefangen ist. Die Menschen haben so etwas zum Beispiel an der Decke über ihrem Bett angebracht, damit, wenn ihnen im Schlaf der Mund offensteht, nicht ein böser Geist hineinspringt. Außerdem haben wir mehrere Zeichen gefunden, die wie ein W aussehen.
W wie „witch“?
Das könnte man denken, aber es handelt sich um ein doppeltes „V“. Das steht für „Virgo Virginum“, Jungfrau der Jungfrauen. Damit ist die Heilige Maria gemeint. Man findet es oft in Kirchen und Burgruinen, als Talisman zum Schutz durch die Muttergottes. Aber in einem häuslichen Umfeld, vor allem in dieser Massierung, ist es ungewöhnlich.
Was ist das ungewöhnlichste Zeichen, das Sie entdeckt haben?
Der auf den Kopf gestellte Name „William“, ergänzt um eine Art von phallischem Symbol. Dabei handelt es sich unserer Ansicht nach aber nicht um ein „Witches’ Mark“, sondern um einen Fluch, der dem Träger des Namens schaden soll. 1596 hatte die Familie Hickman das Haus gekauft. William Hickman war ein sehr unbeliebter Lord of the Manor, weil er wohl ein sehr rücksichtsloser Geschäftsmann war, der seinen Einfluss im Ort missbrauchte. Zu dieser Zeit würde auch die Schrift passen.
Stammt der Fluch vielleicht von einem unzufriedenen Bediensteten?
Das müsste schon ein sehr gebildeter Bediensteter gewesen sein, die meisten Menschen konnten Anfang des 17. Jahrhunderts nicht lesen und schreiben. Interessanterweise finden sich die meisten „Witches’ Marks“ allerdings in dem Bereich, in dem früher die Dienerschaft wohnte. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Aberglaube bei ihnen besonders stark ausgeprägt war. Man kann anhand solcher Entdeckungen viel über uralte Vorstellungen darüber lernen, wie man das Böse fernhält.
Und, haben die Zeichen geholfen?
Na ja, ein paar Geister haben es angeblich trotzdem in die Gainsborough Old Hall geschafft. Ein weiterer William, William Rose, der hier Ende des 19. Jahrhunderts aufwuchs, erzählte seiner Tochter zum Beispiel, dass er als Teenager einmal sein Akkordeon aus dem ersten Stock des Turms holen wollte. Als er die Tür öffnete, sah er eine geisterhafte Frau, die auf ihn zuging. Er erschrak so sehr, dass er samt seinem Akkordeon rückwärts die Wendeltreppe hinabfiel. Aber ehrlich gesagt: So eine Geschichte gibt es in fast jedem Haus, das „English Heritage“ betreut.
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