Elon Musk: Billionen oder absurde Visionen? Jetzt entscheidet sich die Tesla-Wette

Seit fast einem Jahrzehnt gibt Elon Musk immer größere Versprechen für seine Marke Tesla ab. Jetzt kommt es zum Schwur: Die autonomen Taxis müssen funktionieren – und noch eine zweite Science-Fiction-Vision von ihm. In den ersten Stunden sieht es jedenfalls nicht gut aus.

Es dauert keine 24 Stunden, bis die US-Aufsichtsbehörde die erste Untersuchung gegen Teslas sogenannte Robotaxis einleitet. Ausgerechnet Rob Maurer postet auf X, der Nachrichtenplattform von Tesla-Chef Elon Musk, diese Woche ein Video von seiner ersten autonomen Taxifahrt durch Austin im US-Bundesstaat Texas. Maurer hat lange einen Podcast über den amerikanischen Elektroautobauer veröffentlicht, als übermäßig kritisch gilt er nicht.

Jetzt sitzt er auf der Rückbank, als das Fahrzeug selbstständig durch den Verkehr steuert. Nach knapp sieben Minuten will der Tesla eine Linkskurve nehmen, er steuert auf die Abbiegespur, doch plötzlich zögert das Fahrzeug, das Lenkrad wackelt wild hin und her. Offenbar hat das Robotaxi gerade festgestellt, dass es erst eine Straße weiter abbiegen wollte – und fährt einfach geradeaus weiter. Doch dadurch befindet sich das Robotaxi plötzlich im Gegenverkehr. Zum Glück ist die Strecke frei, sodass der autonome Tesla verbotenerweise über eine doppelte durchgezogene Linie auf die nächste Abbiegespur fahren kann. Das Manöver geht gerade noch einmal gut.

Es ist nicht der einzige dokumentierte Fall von Verkehrsverstößen der Robotaxis schon in den ersten Stunden, andere Fahrzeuge fahren deutlich schneller als das Tempolimit es erlaubt. All das ruft die amerikanische National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) auf den Plan.

Das sind keine guten Nachrichten für Tesla. Mit dem Start des Robotaxi-Dienstes hat die entscheidende Phase für das Unternehmen begonnen. In den kommenden Wochen und Monaten wird sich zeigen, ob der Elektroautobauer die großen Versprechen von CEO Musk einhalten kann oder endgültig unter die Räder gerät. Aus Fantasie muss nun endlich Realität werden. In den ersten Stunden sieht es jedenfalls nicht gut aus.

Fast ein Jahrzehnt lang hat Musk seine Fans und die Tesla-Aktionäre immer wieder vertröstet. Seit Jahren ist der Aktienkurs des Elektroautobauers von den harten Geschäftszahlen weitgehend entkoppelt, Tesla ist schon vor langem zu einer Art Meme-Aktie geworden, getrieben nicht von Umsätzen, Auslieferungszahlen und Gewinnen, sondern von Fantasie und Versprechungen.

Die hohe Bewertung lässt sich nur dann rechtfertigen, wenn Tesla nicht nur die Mobilität mit seiner Robotaxi-Flotte revolutioniert. Längst ist auch noch eine zweite Roboter-Fantasie eingepreist: Mit einem KI-gesteuerten, menschenähnlichen Tesla-Helfer soll auch noch die gesamte Arbeitswelt umgekrempelt werden. Neun Jahre nach der ersten Ankündigung wird sich jetzt zeigen, ob Musk und Tesla liefern können.

Viele Versprechungen

Im Juli 2016 veröffentlichte Musk einen Blogbeitrag mit dem Titel „Masterplan, Teil 2“. Er versprach Strom von Tesla-Solardächern, autonomes Fahren und vor allem, dass jeder Tesla künftig als Robotaxi Geld verdienen könnte. Auf einem Investoren-Tag im April 2019 kündigte er Teslas Robotaxis „bis Ende 2020“ an. Die Stichtage kamen und gingen. Ende 2024 verschob er die Massenproduktion auf das Jahr 2026. Sollte es diesmal klappen, käme das autonome Fahrzeug pünktlich zum zehnten Jubiläum des Masterplans.

Geschadet haben die ständigen Verschiebungen und die gebrochenen Versprechen dem Unternehmen bislang nicht. Seit 2016 ist Teslas Aktienkurs von 13 auf 279 Euro gestiegen. Tesla ist der mit Abstand wertvollste Autohersteller der Welt. Dabei läuft es im Kerngeschäft alles andere als rund: Musk hat seit 2016 mit dem Model Y nur ein einziges neues massentaugliches Automodell vorgestellt.

Der Cybertruck floppte selbst bei der amerikanischen Zielgruppe, in Europa wurde er gar nicht zugelassen. Die Verkaufszahlen aller Modelle zusammen erreichten 2023 mit 1,8 Millionen einen Höhepunkt, seitdem fallen sie. Das Solardach-Programm ist de facto eingestellt und die US-Verkehrssicherheitsbehörde NTSB untersucht seit Ende 2024 Teslas Autopilot-System „Full Self-Driving“ nach tödlichen Unfällen, bei denen die Fahrer offenbar darauf vertrauten, dass das Fahrzeug autonom fährt.

Eine Trendwende ist bislang nicht in Sicht: Anfang Juli wird Tesla die Verkaufszahlen für das aktuelle Quartal vorstellen müssen, die Analysten erwarten im Schnitt 393.000 Fahrzeugauslieferungen – elf Prozent weniger als im Vorjahresquartal. Die Verkaufszahlen im wichtigen Markt China sind bereits bekannt, dort verlor Tesla gegenüber dem chinesischen Konkurrenten BYD massiv an Boden. Die Chinesen verzeichneten in den ersten fünf Monaten des Jahres einen Umsatzanstieg um 39 Prozent und verkauften weltweit über 1,76 Millionen Elektroautos. Doch während BYD an der Börse mit 127 Milliarden Euro bewertet wird, ist Tesla seinen Investoren 945 Milliarden Euro wert.

Elon Musks Kritiker sprechen von seinem „Realitätsverzerrungsfeld“, mit dem er Analysten, Investoren, Kunden immer wieder verleitet. Trotz aller gebrochener Versprechen nehmen die Anleger Musks Ankündigungen weiter für bare Münze. Aber Ende April bekam dieses Verzerrungsfeld erstmals echte Risse: Angesichts der weltweit fallenden Verkaufszahlen korrigierte die US-Bank JP Morgan ihr Kursziel für die Aktie auf gerade einmal 115 Dollar herunter. Erstmals gibt es mehr negative als positive Analystenschätzungen auf dem Markt.

Bei so vielen schlechten Nachrichten braucht Elon Musk endlich wieder positive Schlagzeilen. Die sollen eigentlich die zehn bis zwanzig Robotaxis in Austin liefern. Doch auch dabei handelt es sich keineswegs um das Fahrzeug, das Musk 2024 als Prototyp vorgestellt hatte, sondern um das seriennahe Model Y mit neuer Software und einem Sicherheitsfahrer auf dem Beifahrersitz.

Konkurrenten wie Alphabets Tochterfirma Waymo sind längst viel weiter: Waymo betreibt Tausende autonome Taxis ohne Sicherheitsfahrer, die in mehreren großen US-Städten bereits Millionen Fahrten absolviert haben. Sie setzen für die Erkennung komplexer Verkehrssituationen auf Laser-Scanner. Darauf verzichtet Tesla völlig. Ob die Technik trotzdem funktioniert, muss sich jetzt auf Austins Straßen zeigen – und die ersten Bilder sehen nicht gut aus.

Wie lässt sich das Realitätsverzerrungsfeld trotzdem aufrechterhalten? Die Antwort ist wie immer bei Musk ein neues, ein noch größeres Versprechen. Eine Fantasie, die weit über das Autogeschäft hinaus geht. Musk braucht ein weiteres Produkt, das nach Science Fiction und künstlicher Intelligenz (KI) klingt – und das trägt den Namen „Optimus“.

Roboter im Haushalt

Ende 2021 sprach Musk von einem Tesla-Roboter, der Kunden Aufgaben im Alltag abnehmen soll. „Tesla-Bots sollen zunächst Menschen bei repetitiven, langweiligen und gefährlichen Aufgaben ersetzen. Die Vision ist jedoch, dass sie Millionen von Haushalten unterstützen – zum Beispiel beim Kochen, Rasenmähen und in der Altenpflege“, schrieb Musk 2022. Zwei Jahre später zeigte er erstmals einen Prototyp des „Optimus“. Das Versprechen diesmal: Bis Ende 2025 werde Tesla schon 5000 Stück davon bauen. Es bleiben noch sechs Monate.

Doch das Robotik-Feld ist hart umkämpft, Tesla müsste jahrelange Forschungsarbeit diverser Konkurrenten aufholen. Selbst Musks grenzenloser Optimismus kann nicht davon ablenken, das seine Firma bislang hinterherhinkt. Im Mai veröffentlichte das Unternehmen auf X ein Tanzvideo seines Roboters, das vor allem eines zeigte: Die Bewegungskoordination des „Optimus“ bleibt hinter diversen chinesischen Konkurrenten zurück.

Ausgerechnet BYD hat inzwischen ein eigenes Roboterprojekt angestoßen, das unter dem Namen „Boyobod“ Aufgaben im Haushalt übernehmen soll – für gerade einmal 10.000 Dollar. Auf der World Robot Conference in Peking im Sommer vergangenen Jahres zeigten mehr als zwei Dutzend chinesische Firmen ebenfalls humanoide Roboter, und unterboten sich gegenseitig mit Ankündigungen zum Preis.

Damit bleiben noch die Industriekunden. Musk hofft etwa auf Aufträge von Logistikdienstleistern. Doch der Markt für Industrieroboter ist bereits weit entwickelt, zudem ist „Optimus“ als humanoider Roboter für die meisten Aufgaben im professionellen Einsatz schlicht ungeeignet. Es fehlt an einer Aufgabe für seine menschenähnliche Maschine. Eine Erfahrung, die bereits das US-Start-up Boston Dynamics machen musste, das schon vor fünf Jahren beeindruckende Tanzvideos seiner menschenähnlichen Roboter veröffentlichte und danach jahrelang erfolglos nach Anwendungen suchte.  

„Die meisten Arbeiten in der Industrie sind hochrepetitiv, Geschwindigkeit ist entscheidend. Dafür ist der ,Optimus‘ keine sinnvolle Bauform“, sagte vor einigen Wochen ausgerechnet Chris Walti – der ehemalige Leiter des „Optimus“-Teams bei Tesla. Er schmiss ebenso hin wie sein Nachfolger Milan Kovac. Kovac sieht für sich keine Zukunft mehr bei Tesla, Anfang Juni kündigte er aus privaten Gründen seinen Rückzug an. Das ist bemerkenswert, da er in der Firma als der Antreiber und das Gehirn hinter dem Roboterprojekt galt.

Die Nachfolge soll nun vorerst Ashok Elluswamy übernehmen, der bislang das Autopilot-Projekt bei Tesla leitet. Der hat damit gleich zwei fast unmögliche Aufgaben: Er muss erfüllen, was Musk verspricht.

Benedikt Fuest ist Wirtschaftskorrespondent für Innovation, Netzwelt und IT.