Eiskönig: Magnum geht als Weltmarktführer an die Börse


In der Lobby begrüßt ein überdimensionierter Wand-Cartoon in knalligen Farben den Besucher. Figuren rennen lachend durchs Bild, eine von ihnen reitet auf einer Rakete aus Eiscreme. Aus dem Boden ragt ein Eis am Stil in Fußform, ein Eisbecher wiederum schwebt als Ballon in der Luft. „Aus Liebe zum Eis“, lautet der Titel des Gute-Laune-Werks. „The Magnum Ice Cream Company“ empfängt hiermit seine Besucher. Der Konzern hat sich in einem grauen Zweckbau in der sonst so pittoresken Mitte Amsterdams angesiedelt. Er bildet jetzt noch die Eissparte des Mischkonzerns Unilever, soll bald aber eigenständig an der Amsterdamer Börse notiert sein.

Nach jetzigem Stand ist es am 8. Dezember so weit und damit knapp einen Monat später als ursprünglich geplant. Denn Magnum wird in Nebennotiz auch noch in London und New York geführt, und wegen des Haushaltsstreits in den USA sind viele Mitarbeiter der Börsenaufsichtsbehörde SEC im Zwangsurlaub. Nun soll ein gesondertes Schnellverfahren den Schritt aufs Parket dennoch möglich machen.

Es wird einer der großen Börsengänge des Jahres: Die heimische Aktionärsschützervereinigung VEB veranschlagt den Magnum-Wert anhand von Analystenberichten auf zehn bis 15 Milliarden Euro. Die Niederlande bekommen mit dem abgespaltenen Unternehmen ein Stück Unilever zurück: Der Lebens- und Waschmittelkonzern hatte im Jahr 2020 seine niederländisch-britische Doppelstruktur aufgelöst, dabei den Sitz Rotterdam aufgegeben und sich auf London beschränkt. Das führte auch zu Unruhe in der Politik – zumal der damalige Ministerpräsident Mark Rutte von der wirtschaftsliberalen Partei VVD vorher alles in Gang gesetzt hatte, um steuerliche Wünsche dieses Juwels der Unternehmenswelt zu erfüllen.

„Frieden, Liebe und Eiscreme“

Die Eissparte erzielte im vergangenen Jahr laut Unilevers Geschäftsbericht 8,3 Milliarden Euro Umsatz und steuerte damit knapp 14 Prozent zu den Konzernerlösen von 61 Milliarden Euro bei. Vier Marken stehen im Mittelpunkt: das namensgebende Magnum, Ben & Jerry’s, Cornetto und die „Herz-Marke“ – eine Gruppe, zu der zahlreiche Untermarken gehören, in Deutschland zum Beispiel Langnese. Vereint werden sie durch ein stilisiertes Herz als Logo,

In der Werbung gibt sich Magnum als Genussbringer. Die erste Etage der neuen Unternehmenszentrale strahlt denn auch Coolness und Wohlgefühl aus. Das Unternehmen hat sie zur Vorzeigeetage gemacht und zum Veranstaltungsraum für Gäste, Geschäftspartner und Vertriebler – lebhaft gestaltet wie die Lobby: viel Orange, flotte Sprüche, auch mal ein Kalauer („Have a n’ìce day“). Ein VW Bully der links-progressiven Marke Ben & Jerry’s ragt mit seiner Schnauze in den Raum. An anderer Stelle wünscht die Marke „Peace, Love & Icecream“, Frieden, Liebe & Eiscreme. Bewusst habe man eine Zentrale mitten in Amsterdam gewählt, sagt ein Mitarbeiter. Das Unternehmen solle Teil der Gemeinschaft sein, nicht irgendwo außerhalb angesiedelt.

Unilever begründet die Abspaltung damit, dass ein Eisanbieter nicht ins Kernportefeuille passe, unter anderem wegen der nötigen Kühlkette. Wie üblich fallen die Schlagworte des „fokussierten Unternehmens“, das nun ganz für sich arbeite statt versteckt in einem Konglomerat: kein Ringen mehr mit anderen Sparten um Geld und Ressourcen. Dem steht die geringere Streuung von Geschäftsrisiken entgegen. Durchläuft im Mischkonzern ein Geschäftsfeld eine schwache Periode, können das andere Sparten eine Zeit lang auffangen. Anders im fokussierten Konzern: Wenn sich beispielsweise die Verbrauchergewohnheiten unerwartet ändern oder etwas mit einzelnen Produkten schiefläuft, wird der Kapitalmarkt das brutaler bestrafen.

Konzentrierter – und verwundbarer

Auch sind die Kosten für die Abspaltung hoch: Sie summieren sich im Fall Magnum auf etwa 800 Millionen Euro, wie Dokumenten zu entnehmen ist, welche Magnum gerade bei der SEC eingereicht hat. Ein Großteil des Betrags entfällt auf die Entwicklung und den Einsatz von Softwaresystemen, die Prozesse wie Finanzen, Personal steuert.

In denselben Dokumenten an die SEC führt das Unternehmen die Risiken auf. Dazu gehören jene Gefahren, die praktisch mit jedem kommerziellen Handeln verbunden sind, aber aus juristischen Gründen miterwähnt werden. Beispiel: Wenn das IT-System unzureichend funktioniert, könne das Geschäft leiden. Konkreter und auf die Branche bezogen ist der Aspekt „Rohstoffpreise“. Jener für Kakao sei in den drei Jahren bis Ende 2024 um 375 Prozent gestiegen, in erster Linie wegen extremen Wetters in Ghana und der Elfenbeinküste, heißt es im SEC-Dokument. Als Magnum-spezifisches Risiko kommen die Turbulenzen um die Marke Ben & Jerry’s hinzu: Unilever hatte die US-Marke im Jahr 2000 mit der Vereinbarung übernommen, dass Ben & Jerry’s mit unabhängiger Führung agiere und weiter seine progressive „soziale Mission“ betreiben dürfe. Darüber gab es in den vergangenen Jahren Konflikte mit dem Mutterkonzern in London, vor allem um das Thema Israel herum. Ben & Jerry’s dürfte im abgespaltenen Konzern einen größeren Stachel darstellen, weil sein Umsatzanteil viel höher ist als im Großkonzern.

Heppenheim als größtes Europa-Werk

Begonnen hatte alles vor mehr als hundert Jahren mit einem Metzger namens Thomas Wall, der die Sommerflaute im Wurstverkauf überwinden wollte und beschloss, ins Eisgeschäft zu expandieren. Über viele Übernahmen wuchs das Geschäft zur heutigen Magnum. Das Unternehmen bezeichnet sich als Branchenführer mit einem Fünftel Marktanteil im globalen Einzelhandel. Der Weltmarkt wird nach Darstellung des Unternehmens voraussichtlich weiter um drei bis vier Prozent jährlich wachsen. In den Niederlanden produziert man im östlichen Hellendoorn, das größte europäische Werk aber steht in Deutschland: in Heppenheim.

Vorstandsvorsitzender der „Magnum Ice Cream Company“ ist Peter ter Kulve, ein Unilever-Manager, der seit 1988 im Unternehmen arbeitet. Die Aufsicht führt Jean-François van Boxmeer, früher Vorstandsvorsitzender des Bierkonzerns Heineken . Unilever hat angekündigt, zunächst mit knapp 20 Prozent beteiligt zu bleiben. Der Anteil soll aber nach und nach abverkauft werden, wie es in Informationen zum Börsenplan heißt.

Bevor Unilever die Abspaltung beschloss, hatte der Konzern nach Informationen aus Finanzkreisen mit Private-Equity-Gesellschaften über einen Verkauf der Eissparte verhandelt. Momentan sind keine derartigen Gespräche bekannt – auszuschließen sind sie aber nie, auch nicht im letzten Stadium vor einem Börsengang. Der größte Branchenkonkurrent hat einen Finanzinvestor als Miteigner: Nestlé hat sein Speiseeisgeschäft in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der Beteiligungsgesellschaft PAI eingebracht: Froneri mit den Marken Häagen-Dazs, Mövenpick und anderen.