
Dass ein gutes Nervenkostüm gefragt sein würde, reifte bei vielen Beteiligten an diesem Fußballabend im Frankfurter Stadion früh als Erkenntnis. Wegen des Streiks der Gewerkschaft Verdi, dem in der Stadt unter anderem alle Straßenbahnfahrten zum Opfer fielen, wurde das Toleranzvermögen zahlreicher Zuschauer des Europa-League-Achtelfinals auf den überfüllten Zubringerstraßen auf die Probe gestellt. Den Spielern machten die erschwerten Bedingungen zur Rush-Hour dank der extra-frühen Anreise des Eintracht-Teams und einer Eskorte für den Ajax-Bus weniger als allen anderen zu schaffen, woraufhin die Partie immerhin pünktlich begann – und neunzig Minuten später mit der Elf von Trainer Dino Toppmöller einen verdienten Sieger fand, der beim 4:1 geduldig auf seine Chancen gewartet und sie dann konsequent genutzt hatte.
Die Frankfurter blieben mehr noch als beim 2:1 im Hinspiel beharrlich und überzeugten in puncto Willensstärke. Sie zogen in Summe souverän in die Runde der letzten acht Klubs ein. Im Viertelfinale, das für den 10. und 17. April terminiert ist, treffen die Hessen auf Tottenham Hotspur. Der Klub aus der englischen Premier League gewann sein Rückspiel gegen AZ Alkmaar mit 3:1. Die Niederländer hatten im ersten Aufeinandertreffen ein 1:0 für sich erreicht.
„Wir nehmen es, wie es kommt“, sagte hinterher Doppel-Torschütze Mario Götze. Er sprach vom „nächsten Schritt“ auf dem langen Weg ans Wunschziel Bilbao, wo am 21. Mai im Estadio de San Mamés das Finale stattfindet. „Es war wichtig für uns, Ajax in beiden Spielen zu schlagen“, bilanzierte Markus Krösche. „Wir wollten vor schwierigen Wochen Selbstvertrauen tanken“, sagte der Eintracht-Sportvorstand, „das ist uns gelungen, es freut mich für die Mannschaft.“ Krösche lobte außerdem Götze für dessen Leistung: „Mario ist in solchen Spielen ein Anker, der uns Sicherheit gibt und Druck nimmt.“
Trapp fällt kurzfristig aus
Den Plan, wie er es am liebsten hätte angehen wollen, musste Toppmöller kurzfristig revidieren. Insgesamt nahm er fünf personelle Änderungen gegenüber dem Ausrutscher gegen Union Berlin am Sonntag (1:2) vor, wobei der Tausch des Torwarts nicht vorgesehen war. Aber nach dem Ausfall Kevin Trapps, der über Schmerzen am Schienbein klagte, rückte Ersatzmann Kauã Santos nach. Für den Brasilianer war es die erste Startelf-Nominierung seit dem 21. Dezember, als er Trapp ebenfalls vertreten hatte und beim 1:3 gegen Mainz eine ungenügende Vorstellung bot, bei der er mit einem Slapstick-Eigentor negativ auffiel. Sein Selbstbewusstsein, so hieß es zuletzt aus Eintracht-Kreisen, habe darunter erheblich gelitten.
Am Donnerstag gab es für ihn nicht allzu viele Szenen, in der er sein Können hätte beweisen können; aber die wenigen Bälle, die seine aufmerksam aufpassenden Vorderleute durchließen, wehrte der 1,98 Meter große Santos umsichtig ab. Bei der Strafraumbeherrschung halfen ihm seine beträchtliche Armspannweite und eine Beherztheit im Rauslaufen, die Trapp so nicht mehr oft zeigt. Beim späten 1:3 von Ajax, erzielt von Kenneth Taylor (78. Minute), streckte sich Santos vergeblich, nachdem ihm die Sicht auf den Schützen verdeckt worden war.

Die Eintracht machte früh deutlich, dass sie hier und heute nicht gewillt sein würde, sich die günstige Ausgangslage durchkreuzen zu lassen. Die erste Hälfte gehörte mit zum Besten, was das Team seit langem zeigte: Der Pressing-Druck auf den Gegner war hoch, die Zweikampfführung energisch, die Chancenverwertung gut. In der 7. Minute brachte Jean-Matteo Bahoya die Frankfurter in Führung. Es war der erste Treffer im Trikot der Eintracht für den Neunzehnjährigen, der vor 14 Monaten von SCO Angers aus der zweiten französischen Liga an den Main gekommen war. Bahoya schloss eine Kombination über Landsmann Hugo Ekitiké und Götze, mit denen er im Doppelpass die Ajax-Defensive auseinandernahm, mit einem Flachschuss aus acht Metern unhaltbar ab.
Amsterdam hatte danach Pech, dass Daniele Rugani und Ahmetcan Kaplan mit Mittelfeld mit den Köpfen aneinanderstießen. Rugani zog sich dabei eine blutende Platzwunde zu, die am Spielfeldrand versorgt werden musste. Und in Überzahl schlug die Eintracht zum zweiten Mal zu. Robin Koch drosch aus dem Mittelkreis einen hohen Pass nach vorne, den Kaplan falsch einschätzte, sodass Götze an der Fünf-Meter-Linie an den Ball kam. Der Team-Senior nahm das Spielgerät in bester WM-2014-Manier aus der Drehung mit der Brust an und schob es mit dem nächsten Fußkontakt über die Linie (25. Minute).
Damit waren Fakten geschaffen, die den Frankfurtern gelegen kamen: Ajax musste sich weiter aus der Deckung wagen und öffnete zwangsläufig Räume. Rasmus Kristensen (30.) und Ansgar Knauff (33.) hätten mit mehr Präzision und Entschlossenheit bei ihren Vorstößen auf der rechten Seite zeitiger für einen noch deutlicheren Zwischenstand sorgen können.
Amsterdam, das in seiner Saison-Strategie besonderen Wert darauf legt, abermals Meister in der Eredivisie zu werden und sich so für die lukrative Champions League zu qualifizieren, bekommt es in der Liga in den kommenden beiden Partien mit AZ Alkmaar und PSV Eindhoven zu tun. Trainer Francesco Farioli, der für den Auftritt in Frankfurt seine Elf auf neun Positionen verändert hatte, sah dem Treiben denn auch eher unaufgeregt zu, nahm Wechsel in der zweiten Halbzeit vor allem unter dem Aspekt der Belastungssteuerung vor und verband damit offenbar keine Hoffnung auf eine Wende.
Der Eintracht war das nur recht, denn so konnte sie ihrerseits ohne größere Kraftanstrengung nachlegen: Ekitiké schoss das 3:0 (67.), ehe Taylors Treffer nichts an der Eindeutigkeit des Geschehens änderte. Stattdessen gelang Götze mit einem sehenswerten Heber aus 40 Metern über den herausgeeilten Keeper Jay Gorter hinweg noch das 4:1 (82.).
Der erste Frankfurter Sieg nach drei Niederlagen in Serie gelang in stringenter Manier, was das Publikum entsprechend honorierte. Anders als am Wochenende gegen Berlin verließ kaum jemand vor dem Abpfiff seinen Tribünenplatz: Die auch auf dem Heimweg unvermeidbaren Staus ließen sich für die Mehrzahl der Eintracht-Fans an diesem Feier-Abend wesentlich besser ertragen.