

In einer durchschnittlichen Bundesligapartie dribbeln die Spieler etwa 30-mal. Sie versuchen es links, sie versuchen es rechts, selten gelingt es. Umso außergewöhnlicher ist es, wenn es klappt, wenn ein Spieler an zwei Abwehrbeinen vorbeikommt.
Noch faszinierender ist es, wenn er gleich an vier Abwehrbeinen vorbeidribbelt. Der Japaner Ritsu Doan tat das am Sonntagabend in Frankfurt, und er schoss den Ball danach auch noch am Mainzer Torwart Robin Zentner vorbei. Die Eintracht gewann durch sein Dribbling 1:0.
Zu diesem Zeitpunkt waren 81 Minuten gespielt, und diese 81 Minuten waren in etwa so abwechslungsreich wie der Verlauf der Nebelschlieren im Frankfurter Süden. Schon zu Spielbeginn hatten sie sich über den Platz gelegt. Der Nebel hing dort, als die Eintracht ihre erste Chance in der 50. Minute hatte. Und er hing noch immer dort, als die Mainzer nach 75 Minuten zum ersten Mal aufs Tor schossen.
Ach, der spielt ja auch mit!
In den ersten 45 Minuten aber bekamen die Zuschauer keine einzige Chance zu sehen. Kurz vor der Halbzeit, Zentner hatte sich gerade zum dritten Mal den Ball zum Abstoß bereitgelegt, schwenkte die Fernsehkamera auf Eintracht-Sportvorstand Markus Krösche, der entnervt vom Mainzer Zeitspiel die Augen rollte.
Irgendetwas musste sich ändern, zumindest aus Frankfurter Sicht. Dino Toppmöller brachte also Hugo Larsson und Jean-Mattéo Bahoya für Ellyes Skhiri und Farès Chaibi – zwei Wechsel, die das Eintracht-Spiel beschleunigen sollten. Aber selbst nach einer Stunde dürfte sich mancher Zuschauer beim Gedanken erwischt haben: Ach, der spielt ja auch mit!
Ihre ersten Chancen hatten die Frankfurter durch Ansgar Knauff. Nach fünfzig Minuten köpfte er freistehend in Zentners Arme, nach 55 Minuten schoss er knapp rechts vorbei. Kurz darauf landete der erste Mainzer Torschuss im Fangnetz hinter Eintracht-Torwart Michael Zetterer. Die 05er schienen darüber nachzudenken, dass nicht nur ein Punkt schön wäre, sondern auch drei. Sie spielten einen Tick offensiver, die Eintracht hatte plötzlich Platz zu kontern. Bahoya hatte nur noch einen Verteidiger vor sich, aber auch er schoss übers Tor.
Jonathan Burkardt gegen Mainz 05
Auch Jonathan Burkardt versuchte, sich in Position zu bringen, aber der Stürmer kam selten an den Ball. Noch im Sommer hatte die Eintracht Burkardt gezeigt, wie er aus Mainz mit der S-Bahn nach Frankfurt fuhr. Damals noch im schwarzen Pulli, als einer unter Zigtausenden Pendlern, wie sie jeden Tag aus Rheinhessen in die Nachbarstadt fahren. Burkardt aber war abends nicht mehr mit der S8 oder der Regionalbahn zurückgefahren, sondern geblieben. Er hat mittlerweile neunmal für die Frankfurter getroffen und gegen Klubs wie Liverpool oder Neapel gespielt.
Der Angreifer hat in dieser Zeit seine ersten Tore in der Champions League erzielt. Und er ist innerhalb weniger Wochen zum wichtigsten Offensivspieler der Eintracht geworden. Seine schwierigste Aufgabe aber wartete am Sonntagabend auf ihn: Er spielte gegen den Klub, für den er nicht neunmal traf, sondern 45-mal – gegen Torwart Robin Zentner oder Mittelfeldspieler Dominik Kohr, an deren Seite der Stürmer viele Jahre auflief.
Einmal, nach 18 Minuten, rannte Burkardt auf Zentner zu, weil ein Rückpass zum Schlussmann etwas kurz geraten schien. Zentner aber spitzelte den Ball an Burkardt vorbei. Ansonsten traten die Mainzer lange konzentriert auf. Sie hatten sich als Tabellenvorletzter auf den Weg nach Frankfurt gemacht, im Bus, 37 Kilometer entfernt. Und es schien, als könnten sie zumindest einen Punkt mit nach Hause nehmen.
Dann aber, nach 81 Minuten im Nebel von Frankfurt, dribbelte Doan rechts an Armindo Sieb vorbei, links an Silvan Widmer. Er quetschte sich durch die Mitte und schob den Ball am ausgestreckten Bein von Zentner vorbei. Vor knapp einem Jahr hatte die Eintracht ein Heimspiel gegen Mainz 1:3 auf absurde Weise verloren – eine Partie, in der sie fünf, sechs Tore hätte schießen können. In diesem Jahr schoss sie ein Tor in einem Spiel, in dem sie auch keines hätte schießen können. Das ist der entscheidende Unterschied.
