Zunehmend setzt sich auch in der Politik
die Erkenntnis durch, dass Einsamkeit nicht das Problem jedes einzelnen
Menschen ist, sondern erheblichen Schaden für Gesellschaft und Wirtschaft verursacht. Auf Basis repräsentativer Daten des Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des DIW Berlin hat die Bundesregierung jüngst ein Einsamkeitsbarometer und eine Strategie mit zahlreichen Maßnahmen präsentiert. Einsamkeit bleibt aber weiterhin ein unterschätztes und unzureichend verstandenes Problem, vor allem für junge Menschen.
Die vergangenen Jahre haben eine
Debatte und eine vermeintliche Epidemie der Einsamkeit hervorgebracht.
Großbritannien führte ein Einsamkeitsministerium ein, um der Thematik größere
Bedeutung zu verleihen. Dabei ist allerdings Vorsicht geboten. Denn schon die
Definition von Einsamkeit ist komplex. Einsamkeit ist per se nicht ein Mangel an
sozialen Kontakten, sondern eher die Diskrepanz zwischen den sozialen
Kontakten, die man sich wünscht, und die man tatsächlich hat. Auch ein
verheirateter Mensch mit Kindern kann von chronischer Einsamkeit betroffen
sein. Eine alleinstehende Person mit sehr wenigen sozialen Kontakten dagegen
mag sich selbst genug sein und keine Einsamkeit empfinden.
Wie misst man Einsamkeit?
Auch die Messung von Einsamkeit
ist kompliziert, denn der Begriff ist negativ konnotiert und Menschen sind daher
vorsichtig, sich selbst als einsam zu bezeichnen. Das SOEP – eine der wenigen repräsentativen
Datenquellen für Deutschland dazu – stellt daher die Frage nach Einsamkeit
indirekt, nämlich ob Menschen sich in der Vergangenheit mehr Kontakte gewünscht
hätten, ob sie sich als Teil der Gemeinschaft fühlen und wie sie dies
empfinden. Aus den Antworten werden Schlussfolgerungen über Einsamkeit gezogen.
Vor allem die chronische
Einsamkeit, also wenn Menschen sich wiederholt oder über einen längeren Zeitraum
einsam fühlen, kann zum Problem für die Gesellschaft als Ganzes werden. Die
Gefahr ist groß, dass Einsamkeit in einem Teufelskreis endet: Betroffene fühlen
sich von der Gesellschaft zunehmend abgelehnt und verlieren ihr
Selbstwertgefühl. Dies kann eine schlechtere Gesundheit zur Folge haben und etwa zu einem
schwächeren Immunsystem, häufigeren Erkrankungen und Fehlzeiten am Arbeitsplatz führen, aber auch zu einer geringeren Produktivität und einer höheren Wahrscheinlichkeit von Depressionen.
Dies wiederum kann die Selbstwahrnehmung verändern: Einsame Menschen können anderen
Menschen die Verantwortung für ihre Einsamkeit geben und ihr soziales Umfeld als
feindlich und ausgrenzend empfinden. Das kann zu einer noch stärkeren Abschottung
und einer Vertiefung der Einsamkeit führen und damit zu einer weiteren
Verschlechterung der Gesundheit.
Manche sprechen sogar von einer Epidemie
der Einsamkeit: Einsamkeit kann chronisch werden und zunehmend mehr Menschen betreffen,
mit negativen Auswirkungen für Gesundheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Einsame
Menschen haben zudem eine geringere soziale und politische Teilhabe. Letztlich
kann eine starke Zunahme von Einsamkeit zu einer sozialen und politischen
Polarisierung der Gesellschaft beitragen. So gibt es auch Erkenntnisse, dass
Einsamkeit das Vertrauen in politische Institutionen sinken lässt und damit
empfänglicher macht für Verschwörungserzählungen.
Die Folgen für die Gesellschaft sind fatal
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass vor allem vier
verletzliche Gruppen stark von Einsamkeit betroffen sind. Zum einen sehen wir
eine starke Zunahme der Einsamkeit unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Vor allem mit der Covid-Pandemie ist die Einsamkeit der jungen Menschen, aber auch
der älteren, sehr stark gestiegen. Während die Einsamkeit unter älteren
Menschen jedoch wieder deutlich sinkt, ist sie unter jungen Menschen nicht
deutlich zurückgegangen, sondern verharrt auf einem hohen Niveau. Leider gibt es zu wenige
Daten, um die Ursachen klar zu belegen. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass
junge Menschen in ihren sozialen und persönlichen Entwicklungen häufig dauerhafte
Nachteile erfahren haben, die schwer zu kompensieren sind. Keine
wissenschaftlichen Belege gibt es jedoch für die Behauptung, die stärkere
Nutzung sozialer Medien sei verantwortlich für den Anstieg der Einsamkeit unter
jungen Menschen.
Geflüchtete bilden die zweite
Gruppe, die besonders häufig unter Einsamkeit leidet. Eine Studie des DIW
Berlin (https://www.diw.de/de/diw_01.c.847744.de/einsamkeit_von_gefluechteten_2017.html) zeigt, dass die Einsamkeit
unter Geflüchteten vor der Pandemie drei- bis viermal höher war als unter Deutschen
ohne Migrationsgeschichte. Mit der Pandemie ist der
Anteil junger Menschen, die unter Einsamkeit leiden, auf ein ähnlich hohes
Niveau gestiegen wie unter Geflüchteten. Vielleicht verstehen nun auch mehr Deutsche,
die die Einsamkeit ihrer Kinder erleben, wie dramatisch die Konsequenzen von
Einsamkeit auch für andere Gruppen sind.
Einsamkeit auch in strukturschwachen Regionen besonders verbreitet
Drittens sind Menschen mit
geringen Einkommen, Arbeitslose und diejenigen, die viel Sorgearbeit leisten, tendenziell
häufiger von Einsamkeit betroffen, wie auch aus dem Einsamkeitsbarometer der
Bundesregierung hervorgeht. Die Gründe dafür dürften vielfältig sein,
beispielsweise geringe finanzielle Mittel für soziale Aktivitäten und Teilhabe
sowie eingeschränkte Mobilität.
Zudem gibt es Anzeichen, dass vor
allem Menschen in strukturschwächeren Regionen häufiger unter Einsamkeit
leiden. In solchen Gegenden wandern junge Menschen – die eigenen Kinder oder
Enkelkinder – ab, weil soziale Treffpunkte, Kneipen oder Geschäfte schließen und
es auch sonst immer weniger Gelegenheiten für spontane Begegnungen gibt. Wie
eine Studie des DIW Berlin im Juli
zeigt, so ist vor allem in diesen demografisch schwächeren Regionen die
Frustration mit der Politik besonders groß und der Stimmanteil der AfD sehr
viel höher als anderswo.
Einsamkeit ist ein
gesellschaftliches Phänomen mit erheblichen gesundheitlichen, sozialen und
politischen Konsequenzen. Es ist gut, dass die Politik das Problem erkannt und eine Strategie zur Bekämpfung vorgestellt hat. Dies wird jedoch nicht
ausreichen, denn es gibt nach wie vor zu wenig Daten und Wissen über die
Ursachen von Einsamkeit als auch über die Instrumente, um diese zu bekämpfen.
Die Politik wäre gut beraten, mehr Fokus auf die drei verletzlichen Gruppen von
jungen Menschen, Menschen mit Migrationsgeschichte und Menschen in strukturschwachen
Regionen zu legen. Und die Politik sollte mehr tun und vor allem die Prävention
von Einsamkeit in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen rücken, denn wie bei vielen
sozialen, gesundheitlichen und gesellschaftlichen Problemen ist eine effektive
Vorsorge der beste Weg, um größeren Schaden für den Einzelnen und für die
Gesellschaft zu vermeiden.