Kann aus Zerstörung gutes Design werden? Im Fall von Vaia zumindest ließe sich das so sagen, der verheerende Sturm fegte im Oktober 2018 über Norditalien hinweg, Hunderttausende Bäume knickten wie Zahnstocher um. Dass sich das italienische Designer-Duo Formafantasma mit Firmensitz in Amsterdam danach des Themas annahm, ändert natürlich nichts an den Schäden, die auch Menschenleben kosteten – aber ihr Ansatz ging weit über die Ästhetik hinaus: Die Ausstellung „Cambio“ in der Londoner Serpentine Gallery lenkte den Blick auf den dringend nötigen Wandel im Umgang mit Holz. Darauf, wie sehr sich Menschen und Bäume entfremdet haben. Dass Letztere oft nur noch Materiallieferant sind für möglichst billigen Rohstoff. Und wie es anders geht: Aus einem einzigen gefallenen Vaia-Stamm fertigten die beiden Designer eine kleine, modellhafte Möbelserie. Wunderschön, schlicht in der Form, produziert fast ohne Ausschuss.
Nur würde das in der Industrie niemand so herstellen. Viel zu aufwendig und teuer. Die Produktion, das Nachwachsen des Rohstoffs, alles muss möglichst schnell gehen. Der Wald als magischer Ort, uralt, geheimnisvoll, mit nie versiegenden Ressourcen? Ist vielleicht mal so gewesen, aber heute klingt das vielerorts wie ein Märchen aus weit entfernter Zeit.
Ein Dezembermorgen in Neustadt am Titisee, die Hügelkuppen des Schwarzwalds liegen im Nebel, vielleicht kommt später die Sonne durch. In der Halle des Sägewerks Ketterer dröhnen die Maschinen, über das Gelände kurvt ein Gabelstapler. Ein schickes Londoner Ausstellungshaus wie Serpentine, Design aus Amsterdam: Das scheint hier alles ziemlich weit weg zu sein. Aber der Grund, warum im angenehm temperierten Aufenthaltsraum (getäfelt natürlich) drei Männer an einem großen Tisch sitzen, hat im Kleinen ziemlich viel mit dem zu tun, was im Größeren Architektur- oder Design-Studios wie Formafantasma beschäftigt. Mehr Stürme, Trockenperioden, Brände bedeuten mehr Schadholz, weil Monokulturen dem nicht standhalten. Massenweise wird auf Billigmärkte geschwemmt, was mal ein angesehener Werkstoff war: Wie kann heimisches Holz wieder wertvoll werden? Wer muss umdenken, Händler, Handwerker, Kunden?
Im Schwarzwald, dem größten geschlossenen Waldgebiet Deutschlands mit einer langen Tradition als Schauplatz allerlei mystischer Geschichten, haben Johannes Ketterer, Dominik Kleiser und Raphael Pozsgai auf ihre Weise mit dem Umdenken angefangen. Ein Sägewerkbetreiber, ein mittelständischer Schreiner, ein Tischler, sie haben sich zusammengetan und beziehen jetzt ihren größten Widersacher einfach mit ein: den Borkenkäfer. Dazu muss einiges erklärt werden, und das geht am besten bei einem Kaffee im Warmen. Hin und wieder blinkt und rauscht das Firmen-Walkie-Talkie auf dem Tisch.
„Käferholz“ haben sie ihre Initiative genannt, ein sympathisch eingängiger Begriff für ein Konzept, das erst mal Skepsis provoziert. Schließlich geht es um einen Schädling, der weltweit Bäume und ganze Wälder absterben lässt. Mit welcher Vehemenz das geschieht, wissen die drei aus eigener Erfahrung, aber ihr Grundgedanke ist: Auch wenn das Insekt einen Baum befällt – Dominik Kleiser kann das sehr detailliert schildern, er kennt sich aus mit gebohrten Gängen, Larven, Populationen–, sei das Holz trotzdem verwendbar. Sehr gut sogar. Es wird zwar als schadhaft klassifiziert, aber sichtbar ist die Zersetzung in aller Regel nur direkt unter der Rinde, die ohnehin entfernt wird. Was bleibt, sind Bretter oder Platten, denen man die Krankheit des Baums nicht ansieht. Vorausgesetzt, die Kunden bekommen sie aus dem Kopf und spüren beim Wort „Käfer“ nicht automatisch ein leichtes Kribbeln. Habe er alles schon erlebt, sagt Kleiser und schüttelt den Kopf mit den blonden Haaren, „manchmal kommen die verrücktesten Fragen“.
Die Idee entstand vor einigen Jahren, als nach zwei heißen Sommern der Befall an den Schwarzwald-Nadelbäumen so explodierte, dass vor allem die Fichten massenweise aus dem Forst geholt und abtransportiert wurden. „Zum Teil standen die Container direkt im Wald“, erzählt ein Mitarbeiter des Sägewerks, der mit Wollmütze und warmer Jacke eine Weile mit am Tisch sitzt. „Das hat schon wehgetan.“ Man merkt, dass ihm solche emotionalen Sätze eher selten über die Lippen kommen. Meistens seien die Stämme zu Niedrigstpreisen nach Asien gegangen.
Schnelligkeit ist entscheidend: Damit sich eine Käferkolonie nicht auf Nachbarbäume ausbreitet und ganze Schneisen in den Wald frisst, ist es wichtig, kontaminierte Exemplare rasch zu entfernen. „Damals kam wirklich der Eindruck auf, die uralte Holztradition im Schwarzwald geht verloren. Es war gespenstisch“, sagt Dominik Kleiser. „Wir hatten das Gefühl, wir müssen irgendetwas tun.“ Auch wenn sich die Situation beruhigte, das junge Trio – unterstützt von Kleisers Vater Thomas, genau wollen sie sich nicht festlegen, wer Erfinder der Idee ist – blieb dabei: Dem Ausverkauf zuzuschauen, kam nicht infrage.
„Käferholz ist kein Abfall“, sagt Kleiser, der auch mit Vorträgen in Schulen oder Betrieben für sein Herzensthema wirbt. Raphael Pozsgai, der Schreiner, nickt bedächtig. Inzwischen haben sie Böden und Wandverkleidungen aus dem vermeintlichen Schadholz fest im Sortiment, dazu Regalsysteme und minimalistische Würfelmöbel, die als Hocker oder Beistelltisch funktionieren. Überrannt von Anfragen würden sie nicht, aber es gebe reges Interesse, wenn auch zuweilen falsche Vorstellungen. Ob das Holz auch stabil ist, sei eine häufige Sorge (ist es). Manche glauben, dass sie sich damit den Schädling direkt ins Haus holen, andere hoffen auf Maßanfertigungen zum extraniedrigen Preis. Was Unsinn sei, der Aufwand bleibe der gleiche. „Viel Überzeugungsarbeit“, resümiert Kleiser trocken. Das Tattoo auf seinem Unterarm zeigt eine prächtige Schwarzwaldtanne. Sie könnte für Nostalgie stehen, oder für Trotz. Vielleicht auch für Geschäftssinn, man lebt schließlich vom Holz. Da ist zum Beispiel das charmante Angebot der Kleisers, auf Wunsch ein mäanderndes Muster in das an sich völlig unversehrte Käferholz zu fräsen, um so die Fraßspuren des Insekts nachzuahmen. Die gibt es zwar in der Form gar nicht, aber wenn’s der Kunde nun mal gern so hätte, damit sein Boden oder die Wand nach einem bewegten Vorleben im Wald aussieht.
Es ist also ziemlich viel Flexibilität in den betroffenen Branchen gefragt, um sich dem Kleinlebewesen aus der Familie der Curculionidae erfolgreich entgegenzustellen. Ein gutes Fallbeispiel für den generellen Umgang mit der Klimakrise, die die sprunghafte Vermehrung des Schädlings weiter beschleunigt – Festhalten an Althergebrachtem hilft hier grundsätzlich nicht viel weiter. Und, was die gestalterische Seite angeht, auch kein Beharren auf alten Vorstellungen von schönem Wohnen. Warum nicht mal ein leichterer Fichtentisch statt des Modells aus gewichtiger Eiche? Muss es immer Sibirische Lärche sein für das Parkett?
Interior Design mag in Magazinen oder auf Instagram nämlich sehr freigeistig aussehen, alles scheint erlaubt – in Wahrheit halten sich Moden hartnäckig. Und beim Thema Holz stehen die helle Fichte und die Tanne nicht gerade oben auf der Liste der Trends. Verengte Sehgewohnheiten, die Frage, welche Hölzer wir als edel empfinden und welche als wenig vorzeigbares Bauholz gelten: Das haben auch die Formafantasma-Designer bei ihrem „Cambio“-Projekt thematisiert und für einen Perspektivwechsel plädiert. Nachhaltigkeit im Design werde zur Farce, wenn der Rohstoff für das Parkett Tausende Kilometer entfernt verschifft wird oder die Küchenplatte gleich aus China stammt.
Raphael Pozsgai sagt, für ihn habe die Beschäftigung mit dem Borkenkäfer überhaupt erst dazu geführt, heimisches Holz richtig wahrzunehmen. „Inzwischen fasziniert mich die Idee, was sich im Möbelbereich alles aus Fichte machen lässt. Die haben wir hier direkt vor der Nase.“ Was er sich wünscht, sind aufgeschlossenere Architekten, Baufirmen, Berufskollegen, die jenseits der gängigen Materialien und dafür regionaler denken. Vor allem auf dem Land könnte viel mehr mit lokalen Ressourcen und weniger Transportaufwand gearbeitet werden. Ihren Dreier-Zusammenschluss sehe er durchaus als Modellprojekt, das in anderen Holzgebieten vielleicht Nachahmer finde.
Noch ein Abstecher nach Todtnau, es geht im Auto über den Feldberg, wo der Schnee auf Tannenspitzen glitzert. Dominik Kleiser scheint hier jeden Baum zu kennen oder zumindest zu fast jedem eine Geschichte. Er zeigt auf zwei der selten gewordenen Lärchen, deren gelb leuchtende Herbstnadeln früher zum Schwarzwald gehörten, schildert den zitronigen Duft der Douglasien, die zunehmend gepflanzt werden für mehr Artenvielfalt, und deutet auf eine beklagenswert trockene Fichte, „Käferbefall, eindeutig“. Oben in Todtnau liegt die „Stuub“, eine ehemals traditionelle Unterkunft im robusten Mittelgebirgsstil, von den neuen Gastgebern kürzlich umgewandelt in dezent moderne Ferienwohnungen mit großen Fenstern und weitem Blick. An der Fassade, den Innenwänden, als Material für die offenen Schränke in den lichten Zimmern: Käferholz.
Die Stuub ist das Vorzeigeprojekt von Ketterer, Kleiser und Pozsgai. „Unsere Kunden sind keine Leute, die einfach nur hübsche Zimmer möchten“, sagt die Betreiberin Michelle Deville. „Im Idealfall gehört zu jedem einzelnen Stück eine Geschichte.“ Die vom Borkenkäfer-Holz ist eine, die die Gäste besonders gerne hören. Und ja, die Nachfrage, ob das Insekt noch da drin sitze, hat sie auch schon bekommen. Sie verneint dann, ganz einfach, mehr wollten die meisten nicht wissen. Plastischer hatte es der Sägewerksmitarbeiter unten in Titisee ausgedrückt. Jede Fuhre Holz kommt dort in die sogenannte technische Trocknung, einen langgestreckten Container mit hoher Temperatur. „Halbe Stunde, sechzig Grad. Das überlebt kein Mikroorganismus.“