Eine Quereinsteigerin berichtet: Herausforderungen im Schuldienst

Im Mai 2023 habe ich den Schritt gewagt und mich aus meinem bisherigen Job in der Kommunikationsabteilung eines mittelgroßen Unternehmens heraus an einer Grundschule im Rhein-Main-Gebiet beworben. Zum Beginn des nun zu Ende gehenden Schul­jahres bin ich dann an eine andere Grundschule ge­wechselt, da ich dort an einem Fortbildungsprogramm für Quereinsteiger teilnehmen kann. Dieses Programm hat für mich den Vorteil, dass ich schon jetzt eine ­unbefristete Stelle habe. Zudem habe ich neben den 13 Schulstunden, die ich pro Woche unterrichte, auch jede Woche einen kompletten Weiterbildungstag, ­gemeinsam mit den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Programms. An diesem Tag werden uns pädagogische Inhalte beigebracht, aber auch Inhaltliches zu in meinem Fall den Fächern Deutsch, Mathematik, Sachkunde und Kunst.

Die Schule, an der ich jetzt seit einem Jahr bin, ist deutlich besser organisiert als die davor. Mir ist klar geworden, dass die Professionalität und das Engagement der Schulleitung eine ganze Menge ausmachen: für die Atmosphäre im Kollegium, aber auch für das Verhalten der ­Eltern gegenüber den Lehrern. ­Zudem sind wir personell besser aufgestellt als an meiner alten Schule. Davon profitieren Schüler und ­Lehrer enorm, denn es gibt so gut wie keinen Unterrichtsausfall.

Alle meine Schüler haben Migrationshintergrund

Auch als Quereinsteigerin weiß man, was einen ­erwartet, wenn man an eine Brennpunktschule kommt, nämlich: kein Querschnitt der Gesellschaft. In meiner ersten Klasse sind 22 Schüler, alle mit Mi­grationshintergrund. 15 sind in Deutschland ­geboren, sieben in ihrem Herkunftsland. Alle ­sprechen zu Hause auch die Sprache ihres Herkunftslandes, die sieben Kinder, die erst nach Deutschland gekommen sind, ausschließlich ihre Muttersprache.

Mir würde das Unterrichten nicht mehr Spaß machen, wenn meine Klassen gemischter wären. Aber man muss seine Ansprüche senken.

15 der 22 werden ihren Weg gehen, da bin ich mir sicher. Aber was ist mit den schwachen Schülern? Mit den anderen Quereinsteigern im Programm und auch im Lehrerzimmer an meiner Schule sprechen wir ­immer wieder darüber: Wo führt das hin, wenn wir sieben pro Klasse verlieren?

Handys gibt es in jedem Haushalt, Bücher nicht.

Ich bin in den vergangenen zwei Jahren natürlich sicherer und routinierter geworden, aber ich muss noch besser lernen, abzuschalten. Ein Beispiel: Für die erste Klasse heißt es normalerweise, dass die Kinder bis Weihnachten kleine Texte lesen können. Als das bei meiner ersten Klasse zum Ende des vergangenen Jahres bei einigen noch nicht der Fall war, habe ich ab Januar die ganze Zeit überlegt, welche Übungen ich mir noch einfallen lassen kann, damit sie das lernen. Jeden Abend habe ich noch mal am Schreibtisch gesessen. Das hat mich wirklich beschäftigt. Eine erfahrene Kollegin hat dann zu mir gesagt: Mach dir nicht so viele Gedanken, irgendwann platzt der Knoten. Und so war es dann auch.

Alle stehen ständig unter Strom

Ich mag wirklich alle Kinder. Die ­können total ­spontan, lieb und lustig sein.

In meinem früheren Job hatte ich auch genug zu tun, aber mit den Kollegen war auch mal Zeit, einen Kaffee zu trinken, zusammen ­Mittagessen zu gehen und sich Privates zu erzählen. Das ist als Lehrerin anders. Alle stehen ständig unter Strom. Ich habe Kolleginnen, die ich total nett ­finde, mit denen ich es aber noch nicht ­geschafft habe, mehr als ein paar Minuten am Stück zu sprechen. Alles passiert immer zwischen Tür und Angel.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Im Lehrerzimmer wird sehr offen ­darüber geredet, wenn ein Kind nicht so schlau ist.

Ich habe den Quereinstieg nie bereut

Das Gefühl, nie fertig zu sein, auch wenn ich gut vorbereitet bin, nervt mich. Das hatte ich zuletzt zum Ende des Studiums. Meine Entscheidung, aus einem Unternehmen in den Schuldienst zu wechseln, habe ich bislang trotzdem nicht bereut.

Ich finde am Lehrerjob schon auch gut, dass ich meistens nachmittags zu Hause sein kann, wenn meine beiden Kinder Schulschluss haben.

Die Erstklässler brauchen – anders als die Drittklässler, die ich auch unterrichte – sehr lang für alles, und ich muss ihnen Dinge beibringen, die sie eigentlich in ihrem Alter schon können sollten. Von den 45 Minuten, die eine Unterrichtsstunde dauert, sind wir maximal 15 Minuten wirklich mit Lernen beschäftigt.

Das Weiterbildungsprogramm des Landes Hessen, das ich gerade absolviere, läuft noch zwei Jahre, danach folgt noch ein Studien­semester. Manche Angebote sind supergut, aber die Qualität schwankt. Was mich stört: In der Weiterbildung wird nicht die Realität wiedergegeben. Es wird immer von der „optimalen“ Klasse ausgegangen, in der alle mitarbeiten können und wollen, alle ihr Material dabeihaben, keine Sprachbarrieren bestehen und der Unterricht störungsfrei abläuft.

Aus meiner Sicht würden an Grundschulen zwei Veränderungen die Situation wirklich verbessern: kleinere Klassen von 15 Schülern und mehr Personal. 400 neue Tablets, die keiner einrichten kann, sind jedenfalls nicht die Lösung.

Es ist auf jeden Fall nützlich, dass ich in meinem Leben schon was anderes gesehen habe als nur die Schule. Vielleicht kann ich besser beurteilen, was Kinder brauchen, um „da draußen“ zurechtzukommen. Ich bin Mitte 40; trotzdem lerne ich jeden Tag etwas Neues und ­erlebe immer wieder Dinge, die ich so noch nicht kannte – wer kann das schon von sich ­behaupten?

Umorientierung

An den allgemeinbildenden Schulen in Deutschland unterrichten immer mehr sogenannte Quer- und Seiteneinsteiger, also Lehrkräfte ohne anerkannte Lehramtsprüfung. Wie das Statistische Bundesamt Anfang Juni mitteilte, traf das im Schuljahr 2023/24 auf rund 77.600 Personen (entspricht 10,5 Prozent der Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen) zu. Im Schuljahr 2015/2016 lag der Anteil mit 4,5 Prozent noch deutlich niedriger. An Berufsschulen machen die Quereinsteiger fast 17 Prozent der Lehrkräfte aus. Laut einer Prognose der Kultusminister wird der Lehrermangel noch bis 2033 anhalten.