Eine Lösung für den Bewerbermangel?

In ihrer Ausbildung transportiert Leoni Löwe Waren ans andere Ende der Welt. Mit dem Schiff oder Flugzeug, ihr künftiges Spezialgebiet ist Libyen. Ihren Schreibtisch in Bremen muss die 20-Jährige dafür aber nie verlassen, sie schreibt Mails oder sitzt an Zollprogrammen. Was genau mit der Ware passiert? „Keine Ahnung, das wusste ich nicht“, meint die Auszubildende. Bis sie im Sommer im Rahmen ihrer Ausbildung bei einer Spedition in Bremerhaven lernte. Plötzlich saß sie selbst im Lastwagen, war am Hafen. „Dieser Sichtwechsel ist sehr hilfreich.“

Leoni Löwe ist im dritten Lehrjahr ihrer Ausbildung zur Kauffrau für Spedition- und Logistikdienstleistung – und lernt in zwei Unternehmen. Die Firmen Carl Ungewitter Trinidad Lake Asphalt und Addicks & Kreye Container Logistik haben sich dafür zusammengeschlossen. Ihr Ziel: Die Ausbildung soll attraktiver werden. Dafür wechseln die Auszubildenden im zweiten Lehrjahr für vier Wochen das Unternehmen und bekommen andere Einblicke. „Wir müssen bei den jungen Menschen die Begeisterung für diesen Beruf wecken“, ist Regina Mehrtens von Carl Ungewitter Trinidad Lake Asphalt überzeugt.

Kaum Bewerbungen – viele Ausbildungsplätze unbesetzt

Das zeigt die Zahl der Bewerbungen. „Wir hatten jetzt ein paar schwierige Jahre, also sehr schwierige Jahre bei der Suche nach Azubis“, sagt die Ausbildungsleiterin. Vor der Pandemie habe sie im Herbst mindestens hundert Bewerbungen für die Ausbildung im nächsten Jahr erhalten. „Jetzt bin froh, wenn ich ab April, Mai mal so fünf, sechs bekomme.“ Eigentlich bilde die Firma pro Lehrjahr vier Auszubildende aus, momentan seien die meisten Ausbildungsstellen unbesetzt. 

So geht es vielen Unternehmen in der Region. Nach Angaben der Arbeitsagentur waren in Niedersachsen zuletzt noch mehr als 13.000 Ausbildungsplätze offen, in Bremen mehr als 1.000. „Der steigende Bewerbermangel stellt unsere Unternehmen zunehmend vor Herausforderungen“, meint auch Maike Bielfeldt, Geschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Niedersachsen. Laut einer Umfrage der IHK konnte fast jeder zweite Betrieb im vergangenen Jahr nicht alle Ausbildungsplätze besetzen. Bei mehr als zwei Drittel der betroffenen Unternehmen gingen demnach keine geeigneten Bewerbungen ein.

In der Firma grübeln sie viel, wie sie wieder mehr Auszubildende gewinnen können, erzählt Mehrtens. Dabei seien sie 2021 auf die Idee mit der Verbundausbildung gekommen und hätten den anderen Mitgliedern der Bremischen Hafen- und Logistikvertretung (BHV) davon berichtet. Etwa 20 Unternehmen seien interessiert gewesen und stünden seither im Austausch. 

Verschiedene Modelle der gemeinsamen Ausbildung

Auch in anderen Branchen schließen sich Firmen für die Ausbildung zusammen, meist als Stamm- und Partnerbetrieb. Nach Angaben der Handwerkskammer kooperieren in Bremen elf Handwerksbetriebe auf diese Weise miteinander – darunter Konstruktionsmechaniker, Kfz-Mechatroniker, Metallbauer und Tischler. 

Es gebe aber noch andere Formen der gemeinsamen Ausbildung: Kleinere oder sehr spezialisierte Unternehmen lagern ganze Ausbildungsabschnitte in andere Betriebe oder Bildungsträger aus. Andere Firmen schließen sich zu einem Verein zusammen, der dann als Ausbilder auftritt. Oder die Betriebe stellen jeweils Auszubildende ein und tauschen sie phasenweise untereinander aus.

So beispielsweise in Bremerhaven: Drei Hotels bilden unter dem Titel „meerzukunft³“ gemeinsam in sieben Berufen im Gastgewerbe aus. Im zweiten und dritten Jahr verbringen die Auszubildenden jeweils ein bis zwei Monate in den Partnerbetrieben. In der Region Hannover gehen zehn Gastro- und Hotelbetriebe noch einen Schritt weiter: Zu Beginn dieses Ausbildungsjahres gründeten sie die „Ausbildungs-Offensive Gastro im Verbund“ und bieten 20 jungen Auszubildenden neben Seminaren in einer eigenen Akademie Hilfe bei Behördengängen oder bei der Wohnungssuche. 

„Das klar definierte Ziel: die akuten Besetzungsprobleme von Ausbildungsstellen zu lösen und gleichzeitig langfristig den Fachkräftebedarf in der regionalen Gastronomie und Hotellerie zu sichern“, wirbt der Verbund online.

Eine Lösung für den Bewerbermangel?

Björn Reichenbach von der Handelskammer Bremen bezweifelt, dass mit einer Verbundausbildung viele Bewerber gewonnen werden können. „Das ist ein erklärungsbedürftiges Konstrukt“, meint der Teamleiter der Ausbildungsberatung. „Verbundausbildung – was bedeutet das eigentlich? Das ist keine plakativ zu transportierende Botschaft, um Jugendliche zu erreichen.“ Ein Lied auf Streaming-Plattformen müsse innerhalb von wenigen Sekunden überzeugen, ähnlich sei es heute auf dem Ausbildungsmarkt.

Eine Verbundausbildung erfordere zudem viele Absprachen und eine gewisse Offenheit, sagt Reichenbach. „Die Firmen müssen bereit sein zu sagen: Wir sehen uns jetzt nicht nur als Konkurrenten, sondern wir wollen zusammenarbeiten. Auch wenn Azubis vielleicht erleben, dass manches im anderen Betrieb besser läuft.“ Einige Unternehmen hätten Sorge, dass Absolventen zur Konkurrenz abwandern. Die Verbundausbildung sei deshalb „kein Massenphänomen“.

Bremer Firmen wollen Verbundausbildung etablieren

Anfangs hatten die beiden Logistikunternehmen aus dem Land Bremen zu kämpfen. „Die Herausforderung der Verbundausbildung lag sicherlich in der Planung des Zeitraums, in dem der Austausch stattfinden sollte“, meint Liones Kottulinsky von Addicks & Kreye Container Logistik. Hinzu kommt der lange Fahrtweg zum anderen Betrieb. Die Firma sponserte den beiden Auszubildenden das Bahnticket, Leoni Löwe zog für einen Monat um.

Aber auch für das Team bedeute der Austausch Mehrarbeit, sagt Mehrtens. Die Mitarbeitenden müssen in kürzester Zeit Auszubildenden ohne Vorerfahrung in dem Bereich ihre Arbeit nahebringen. Die beiden Unternehmen wollen die Kooperation dennoch etablieren. „Das passt einfach. So wie wir das unternehmerisch sehen, aber auch vom Menschlichen her“, sagt die 39-Jährige. „Wenn ich eine junge Azubine vier Wochen nach Bremerhaven schicke, will ich auch sehen, dass sie sich halbwegs wohlfühlt.“

Fachlich habe sich die Verbundausbildung schon gelohnt, meint Leoni Löwe. Bei ihrer Station in Bremerhaven habe sie Zollgut begleitet. „Da hatten meine Kolleginnen die Tage tatsächlich Fragen zu und ich konnte helfen.“ Als sie in der Schule von der Kooperation erzählt habe, hätten sich auch andere Auszubildende dafür interessiert. Also ein Anreiz für Bewerberinnen und Bewerber? „Auf jeden Fall“, meint die 20-Jährige.

Niedersachsen fördert acht Ausbildungsverbünde

Seit zwei Jahren fördert Niedersachsen Ausbildungsverbünde – und das Interesse wächst. Bisher seien acht Kooperationen genehmigt worden, teilte das Kultusministerium in Hannover mit. Die Nachfrage sei sehr positiv. Erste Anfragen für den Ausbildungsbeginn 2025 lägen bereits vor. 

Mit der Förderung möchte das Ministerium Betriebe für die Ausbildung gewinnen. Auf diese Weise sollen mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden – insbesondere für Jugendliche, die es auf dem regulären Arbeitsmarkt schwer haben. Unterstützung gibt es unter anderem für Bildungs- und Beratungspersonal, für Fahrtkosten sowie für die Ausstattung.

Die geförderten Kooperationen seien sehr unterschiedlich, teilte das Ministerium weiter mit. Sieben Ausbildungsverbünde bemühen sich um benachteiligte Jugendliche, ein Verbund um Ausbildungen mit besonderem Bedarf an Nachwuchs. Ein Ausbildungsverbund startete beispielsweise zu Beginn dieses Ausbildungsjahres und zielt darauf ab, Fachkräfte im Bereich Erneuerbare Energien auszubilden.

Für das Projekt stehen rund 4,25 Millionen Euro Fördergeld der Europäischen Union zur Verfügung, weitere 300.000 Euro stellt das Land bereit. „Das Budget ist nicht ausgeschöpft“, teilte ein Sprecher des Kultusministeriums mit. Die Förderung läuft noch bis Ende 2028.