Eindrücke von der Fashion Week in Paris

Valentino zeigt Kleider wie aus einem Boudoir

Valentino wird plötzlich spannend. Vor einem halben Jahr hatte Alessandro Michele, nach den äußerst erfolgreichen Jahren bei Gucci, seine erste Kollektion für das römische Modehaus gezeigt. Dieses Mal ist das Setting für sein „Meta-Theater der Intimitäten“ spektakulär: ein in Rot getauchter Saal, laute Clubmusik, an den Seiten Waschbecken und Toilettentüren. Nach der Schau sagt Michele, es gehe ihm um den Gegensatz zwischen Innen und Außen, zwischen Intimem und Ausgestelltem. Und die Kleider sind wirklich wie aus einem Boudoir, ganz filigran, mit viel Spitze, Stufenvolants, wildem Mustermix und dennoch vielen Anspielungen auf den alten Meister Valentino selbst. Die dazwischen gestreuten Männersachen sind wie für US-Sänger Jared Leto gemacht, der denn auch in der ersten Reihe sitzt. Eine Kooperation mit Vans-Sneakern fügt sich ins unglaublich variable Bild einer Marke, die sich in Träumereien verlieren und trotzdem gute Geschäfte machen will.

Verabschiedet sich Jonathan Anderson von Loewe?

Ist das jetzt das Ende? Loewe hat sich dieses Mal für eine ganz andere Präsentation entschieden. Statt Models über den Laufsteg zu hetzen, zeigt Designer Jonathan Anderson seine Mode für Herbst und Winter in einem besonderen Stadtpalais an der Rue de l’Université: Hier wohnte Karl Lagerfeld ab 1975 drei Jahrzehnte lang – so lange wie in keinem anderen Haus in seinem langen Leben. Die wunderbare Präsentation in lichtdurchfluteten Sälen könnte ein Abschiedsgruß Andersons sein, weil sie museal wirkt und weil er selbst gar nicht zu sehen ist. Verlässt er also Loewe?

DSGVO Platzhalter

Dafür spricht auch, dass er gerade in einem Reel auf Instagram viele Momente aus seinen mehr als elf Jahren bei der LVMH-Marke teilte: Eindrücke von Schauen, vom roten Teppich, von Prominenten wie Rihanna, Jennifer Coolidge und Daniel Craig. Angeblich geht Anderson zu Dior. Bei Loewe wäre dann Platz für Jack McCollough und Lazaro Hernandez von Proenza Schouler.

Tom Ford begeistert Anna Wintour

Wann erhebt sich Anna Wintour schon von ihrem Sitz, um im Stehen zu applaudieren? Die Seite Data, But Make it Fashion hat nachgerechnet: in den vergangenen Jahren nur viermal, zum Beispiel bei Sarah Burtons letzter Schau für McQueen 2023. Und letzte Woche! Da gab Haider Ackermann sein Debüt bei Tom Ford, und danach sprang die Chefredakteurin der amerikanischen „Vogue“ doch wirklich von ihrem Sitz auf. Nicht, dass es sich gelohnt hätte! Ackermann interpretierte Fords Frauen und Männer so, wie der sie immer gesehen hat: stark, sexy, nobel, teuer. Aber was soll man mit diesen Wall-Street-Anzügen heute anfangen? Früher, als es noch eine Zukunft gab, wirkten schwarze Anzüge mit schwarzen Lederhandschuhen und schmaler schwarzer Lederkrawatte noch futuristisch. Heute sind sie nur noch von gestern. Sitzen bleiben!

Tom Ford präsentiert Anzüge, die eher an die Wall Street erinnern.
Tom Ford präsentiert Anzüge, die eher an die Wall Street erinnern.privat

Bei Duran Lantink wird es skurril

Unter den jungen Talenten, die Paris neben all den Powermarken zur Modehauptstadt schlechthin machen, sticht nun schon seit einigen Saisons Duran Lantink heraus. Seine Schau wird schon dadurch zum skurrilen Erlebnis, dass mitten auf dem Laufsteg Büroangestellte in ihren Cubicles Papiere beschriften und abstempeln – und bei Beginn der Schau über Mikrofone in einen schauerlichen Gesang verfallen.

Duran Lantik zeigt eine wilde Mischung auf dem Laufsteg.
Duran Lantik zeigt eine wilde Mischung auf dem Laufsteg.AFP

Die Erwartungen waren nicht zu hoch gesetzt. Der niederländische Designer zeigt eine wilde Mischung: Zebramuster, auf den Körper gesprayt, Kuh-, Leopard-, Schlangenmuster, übergroße Blousons, wie aufgeblasen, Karoröcke, vor den Körper gehängt, Strickpullover mit einer Kapuze wie ein Hoodie, übergroße Schultern, die bis über beide Ohren gehen. Der 37 Jahre alte Designer beherrscht alle Formen so gut, dass er damit zu spielen weiß. Mit diesem Esprit könnte er auch neuer Chefdesigner einer der schlummernden Großmarken werden. Was er dann sicher nicht mehr machen würde: als „Braut“ am Ende der Schau einen Mann mit nacktem Oberkörper über den Laufsteg schicken, an dem zwei wogende große Silikonbrüste hängen.

Florentina Leitner lebt ihre Phantasie aus

Sie hat in Antwerpen von den Besten gelernt, von Walter Van Beirendonck und Dries Van Noten. Mit gerade einmal 29 Jahren hat Florentina Leitner daher in der belgischen Modehauptstadt eine ganz eigene Marke aufgebaut. Schon zum fünften Mal hat es die Österreicherin auf den offiziellen Kalender der Pariser Modewoche geschafft. Ihre Dekonstruktion der Mode macht trotz düsterer Einsprengsel Spaß. Für Herbst und Winter lässt sie sich von amerikanischen Cheerleaderinnen beeinflussen – und zeigt ihre Kollektion denn auch in drei aufeinanderfolgenden Präsentationen in einer Turnhalle mit Basketballkorb.

Angeregt von UFO-Sichtungen: Die Kollektion von Florentina Leitner
Angeregt von UFO-Sichtungen: Die Kollektion von Florentina LeitnerAlfons Kaiser

Ihr „Edgy-Effekt“, wie sie selbstironisch zwischen den Schauen sagt: Die Mädchen mit den Kappen, den Crop-Tops und den Mini-Faltenröcken werden von Aliens entführt. Bisschen viel auf einmal? Ja, aber so viel braucht sie, um ihre Phantasie auszuleben, die sich auch von UFO-Sichtungen anregen ließ. In Antwerpen, Japan und Südkorea verkauft Florentina Leitner ihre Kollektionen schon. Jetzt ist es langsam Zeit für Deutschland und Österreich. An ihrer alten Heimat vermisst sie übrigens vor allem die Berge. Davon gibt es in Belgien nicht so viele.

Zu Gast bei Givenchy: US-Schauspielerin Rooney Mara
Zu Gast bei Givenchy: US-Schauspielerin Rooney MaraScott A Garfitt/Invision/AP

Givenchy geht in die Zukunft

Unter all den Premieren in dieser Prêt-à-porter-Saison war diese die wichtigste: Sarah Burton hat ihre erste Kollektion für Givenchy gezeigt. Die Designerin, die 1996 als Praktikantin bei Alexander McQueen begann und nach dessen Tod 2010 zur Chefdesignerin der Marke wurde, kennt das von Hubert de Givenchy gegründete Modehaus schon lange – schließlich war ihr Chef McQueen dort von 1996 bis 2001 der Kreativdirektor. Kein Wunder also, dass Burton, die 2011 durch Kate Middletons Brautkleid für ihre Hochzeit mit Prinz William bekannt wurde, sich sehr gut eingedacht hat – bis hin zu einer dicken schwarzen Schleife am Hals, wie sie Givenchy schon in seiner ersten Kollektion 1952 als Highlight gesetzt hatte. Aber Sarah Burton erstarrt nicht in Verehrung, sondern gibt der LVMH-Marke mit minimalistischen Mitteln und skulpturalen Formen ein modernes Gesicht. Unter ihrem Vorgänger Matthew M. Williams hatte Givenchy die Richtung verloren. Jetzt geht es geradewegs in die Zukunft.

Balenciaga kommt auf den Boden

Wie? Eine tragbare Balenciaga-Kollektion? Yep, gibt es! Zumindest für Herbst und Winter. Kaum zu glauben, aber statt gespenstischer Gestalten laufen dieses Mal Models über den Laufsteg, die richtige Anzüge tragen (einer so verknittert, als ob der arme Mann einen ganzen Bürotag hinter sich hätte), richtige Kleider, Jeansjacken, Hoodies, Puma-Sneaker aus einer Kooperation mit dem deutschen Sportmodehersteller. „Ja, das ist ein bisschen Demna 2.0“, sagt Designer Demna nach der Schau. Man muss es ihm glauben, denn er selbst trägt doch wirklich einen Anzug, den er sich hat schneidern lassen. Das bedeutet entweder, dass der 43 Jahre alte, stets rebellische Designer nun wirklich erwachsen wird, oder dass er sich mehr an den Kunden orientiert, weil die Zahlen im Kering-Konzern gar nicht gut aussehen, oder dass in solchen Zeiten sogar die Mode auf den Boden kommen sollte.

Nach der Schau: Drei Balenciaga-Männermodels backstage
Nach der Schau: Drei Balenciaga-Männermodels backstageAlfons Kaiser

Ein paar Looks übrigens lassen das alte Balenciaga der Übergrößen und Übertreibungen erkennen: So hängt ein Hoodie bis auf den Boden, wie ein langes, schützendes Kleid. Auch das passt zu diesen Zeiten.

Hermès experimentiert mehr denn je

Viele große Luxushäuser stagnieren oder verlieren sogar an Umsatz. Für zwei große Marken in Italien und Frankreich gilt das nicht: Prada und Hermès wachsen, als gäbe es keine globalen Probleme. Bei Prada ist das vor allem auf die experimentelle Linie Miu Miu zurückzuführen. Und auch bei Hermès experimentiert Nadège Vanhee-Cybulski mehr denn je.

Hermès war selten so vielseitig.
Hermès war selten so vielseitig.AFP

Die Designerin, schon seit fast elf Jahren verantwortlich für die Hermès-Damen, lässt sich nicht davon beeindrucken, dass es eigentlich um Herbst und Winter geht: Sie schickt Shorts aus strukturiertem Leder über den Laufsteg, tolle Bomberjacken, Wickeltops, Mäntel wie große Decken. Und es ist auch nicht alles Schwarz, wie hinterher einige glauben – die Farbpalette reicht vom traditionellen Beige bis zum giftigen Hellgrün. So variabel und vielseitig war Hermès selten.