
Es ist früher Abend, als vor der Villa Belrose ein schwarzer Dacia hält. Der Fahrer ist gebürtiger Ukrainer und von muskulöser Statur. Als alter Militär ist sein Auftreten zackig und sein Händedruck fest. Zum Plaudern hat er keine Zeit. Er weist den Projektmanager einer hier im Bau befindlichen Villa auf offene Einfahrtstore hin, die ihm zu Schichtbeginn aufgefallen sind, mahnt zur Wachsamkeit und setzt seine Fahrt fort.
Seit zwei Jahren ist im Sommer auf dem Hügel um die Villa Belrose, ein Fünfsternehotel auf der Halbinsel von Saint-Tropez, ein privater Sicherheitsdienst aktiv. Engagiert wurde er von Eigentümern, nachdem es immer wieder Einbrüche gegeben hatte. In zwei Schichten drehen die Männer ihre Runden, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, auch an diesem Juniabend. Ihre Aufgaben: in der Siedlung mit ihren rund 140 Häusern Präsenz zeigen, observieren und im Alarmfall schneller vor Ort sein, als es Polizei oder Sicherheitsdienste sein könnten, und sei es auch nur bei einem Fehlalarm. Einbrüche hat es hier seither nicht mehr gegeben.
Die Idee stammt von Peter Baum. Der pensionierte Chefarzt aus Freiburg ist seit 1977 Stammgast auf der Halbinsel und nennt seit 25 Jahren ein Haus auf dem zur Gemeinde Gassin zählenden Hügel sein Eigen. Was Einbrüche angeht, ist Baum leidgeplagt. Viermal zu unterschiedlichen Tageszeiten habe er das Vergnügen gehabt, erzählt er im Gespräch. Einmal habe ungebetener Besuch vor ihm gestanden, als er mit seinen Kindern beim Frühstück saß. Am Ende sei seine Frau völlig verängstigt gewesen. Und die Polizei? „Inexistent“, „demotiviert“ und im Fall von saisonalen Verstärkungskräften „ortsunkundig“. Wenn sie durch das dichte Verkehrstreiben im Sommer auf der Halbinsel überhaupt zu ihm hinaufgefunden habe, dann nachdem sich die Diebe längst aus dem Staub gemacht hätten.
„Das Spiel ist immer das Gleiche“
Baum nippt missmutig an seinem alkoholfreien Heineken, das ihm auf der Terrasse der Villa Belrose serviert wurde. Sein Haus liegt in Sichtweite. Wie fast von überall auf dem Hügel hat man einen herrlichen Blick auf die Altstadt von Saint-Tropez, das hellblaue Meer mit seinen ankernden Yachten und Sainte-Maxime und andere Orte auf der anderen Seite der Bucht.
Multimilliardäre wie Bernard Arnault zieht es an noch exquisitere Ecken wie das Cap Saint-Pierre am Nordostzipfel der Halbinsel. Doch auch auf dem Hügel residiert im Sommer eine wohlhabende Klientel und prägen große Karosserien und opulente Anwesen das Straßenbild. Das zieht Kriminelle an wie Motten das Licht. Zumal das Wohngebiet viel ungeschützter ist als Arnaults Siedlung Parcs de Saint-Tropez oder das südlich davon gelegene Cap Tahiti, die mit Zufahrtsschranken, Wachpersonal und Kameras Festungscharakter haben.
„Das Spiel ist immer das Gleiche“, meint Baum. Junge Frauen kundschafteten die Häuser aus, Männer böten sich als Gärtner an, und wer erfolgreich in ein Haus eingestiegen ist, habe die Beute schon drei Minuten später an einen Komplizen weitergereicht. Andere bekannte Praktiken: in der Altstadt an teure Autos Ortungsgeräte befestigen, um potentielle Opfer in ihr Domizil zu verfolgen, oder am helllichten Tag Uhr oder Handtasche blitzschnell vom Arm reißen. Gewalt gegen Personen wendeten die Kriminellen nicht an. „Die Typen wissen, dass sie nur dann in den Knast kommen, wenn sie Leuten was tun“, sagt er. Kameras schreckten sie deshalb nicht ab. Ungeniert latschten sie in die Häuser. Baums Vertrauen in den französischen Rechtsstaat hat sichtlich gelitten.
30-Liter-Flasche für 150.000 Euro
Der Deutsche wollte dem kriminellen Treiben in seinem Urlaubsparadies nicht tatenlos zusehen. Er gründete zum Informationsaustausch mit den Nachbarn eine Whatsapp-Gruppe und schlug den Sicherheitsdienst vor. Mitstreiter waren schnell gefunden. Mehr als 60 der 140 Eigentümer am Hang konnte Baum zum Mitmachen bewegen. Die Kosten werden unter ihnen geteilt, in diesem Sommer sind es rund 2000 Euro je Mitglied. Würde jeder hier in der Siedlung mitmachen, sänke der Preis. Nur gebe es Trittbrettfahrer, sagt Baum, die also von der Präsenz des Sicherheitsdiensts profitieren, ohne dafür zahlen zu wollen. Für ihn überwiegt der positive Umstand, keine Einbrecher mehr im Haus zu haben, auch wenn man natürlich nicht wissen könne, wie die Gegenseite „aufrüstet“.
Einstweilen wirkt die Abschreckung. Das erfreut auch Felix Roehl-Lagrelius, den Geschäftsführer des hiesigen Bauleitungsbüros Cantalux Coordination. Der gebürtige Hamburger ist seit vielen Jahren im Immobiliengeschäft an der Côte d’Azur tätig, wohnt unweit vom Hügel und hat Baums Initiative von Beginn an unterstützt. Für ihn ist sie beispielhaft für Wohngebiete, in denen sich nicht jeder einen eigenen Sicherheitsmann leisten kann, weil effektiv und für die einzelnen Hausbesitzer zu überschaubaren Kosten. „Prävention durch geeignete Technik, aber auch mit Personal vor Ort ist der beste Schutz“, lautet nach zwei Jahren sein Zwischenfazit.

An der sonnenverwöhnten Côte d’Azur ist Saint-Tropez neben Monaco der Inbegriff für Reichtum, Jetset und Party, wobei es auf der überwiegend grünen und wenig zugebauten Halbinsel auch Campingplätze und Unterkünfte für alle Einkommensklassen gibt. Einst zog es wegen der besonderen Lichtverhältnisse Künstler wie Signac, Matisse und Picasso hierher. Von den Fünfzigerjahren an begründeten dann Aufenthalte von Filmstar Brigitte Bardot, Playboy Gunter Sachs, Louis-de-Funès-Filme und eine wilde Hochzeit von Mick Jagger die heutige Popularität. Nach wie vor zieht sie ein betuchtes, feierfreudiges Publikum an, nach wie vor verkehren Prominente wie Leonardo DiCaprio oder Orlando Bloom in Adressen wie dem Club 55 am Strand von Pampelonne. Im Nachtklub „Les Caves du Roy“ kostet die normale Flasche Champagner 900 Euro und die 30-Liter-Flasche 150.000 Euro.
„Von Kleinkriminalität am stärksten betroffener Badeort“
Doch die Stars, das Geld und das Flair locken nicht nur Touristen an, sondern auch Diebe. Seit Langem verzeichnet Saint-Tropez einen regelrechten Kriminalitätstourismus. Die Banden kommen nach übereinstimmenden Berichten pünktlich im Frühsommer aus Rumänien, Albanien und Süditalien, teils aus der Ukraine und Tschetschenien und bleiben bis Saisonende. Sie kennen den Markt, gehen professionell vor und lassen die Kriminalitätsrate in die Höhe schnellen, ehe im Herbst, Winter und Frühling wieder Ruhe herrscht.
Das wuselige Verkehrstreiben im Sommer spielt ihnen in die Karten, erst recht wenn sie auf Rollern durch die überfüllten Straßen manövrieren. In die Häuser brechen sie meist still und leise tagsüber ein, wenn Urlauber auf Ausflügen sind oder am Strand liegen. Ein halb geöffnetes Fenster reicht. „Es handelt sich eindeutig um ein saisonales Phänomen, das auf einen Tourismusboom zurückzuführen ist“, erklärte die Präfektur des Departements Var vor drei Jahren dem „Le Figaro“, nachdem die Zeitung Saint-Tropez in einer Auswertung den unrühmlichen Titel „von Kleinkriminalität am stärksten betroffener Badeort“ Frankreichs verliehen hatte. Während der Sommersaison verzeichne die Stadt eine Verachtfachung der Bevölkerung.
Mit der F.A.Z. wollte die Präfektur trotz mehrfacher Anfrage nicht über das Thema sprechen. Auch von der Stadt Saint-Tropez kam erst ein Rückruf, nachdem die deutsche Trash-TV-Familie Geiss („Die Geissens“) in ihrer Villa in Ramatuelle auf der Halbinsel Mitte Juni überfallen worden war, was für viel Wirbel im Internet und in der Klatschpresse sorgt. Ein Sprecher aus dem Rathaus bemühte sich sichtlich um Imagepflege.
Immer die gleichen Netzwerke
Er betonte, dass längst mehr für die Sicherheit getan werde und sich dies in der Kriminalitätsstatistik auch zeige. Binnen drei Jahren habe man die Zahl der öffentlichen Kameras auf 300 verdreifacht und habe sich die Zahl der Uhrendiebstähle auf 25 halbiert. Dank KI seien die Kameras heute viel leistungsfähiger und eine Kennzeichenerfassung flächendeckend möglich. Auch von einer schwachen Gendarmerie könne keine Rede sein: Während im Winter 55 staatliche Sicherheitskräfte im Einsatz seien, verfüge man zwischen April und November über 100.
Ist die tatsächliche Lage in Saint-Tropez also besser als der Ruf? Die Zahl der Einbrüche ist im vergangenen Jahr tatsächlich deutlich zurückgegangen. Unmöglich könne man ja eine Premiumkundschaft beherbergen und zugleich der Kriminalität freien Lauf lassen, macht der Sprecher der Stadt deutlich. Auch aufseiten der Gemeindeverwaltung im kleineren Gassin hebt man neben einer stärkeren Polizeipräsenz im Sommer Investitionen in die Videoüberwachung hervor. Diese beliefen sich auf 630.000 Euro. Klar ist aber auch: Die besten Kameras nützen nichts, wenn für eine Anklage kein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Eine Kennzeichenerfassung hilft wenig, wenn organisierte Banden mit gestohlenen Fahrzeugen unterwegs sind. Es seien immer die gleichen Netzwerke, räumt man im Rathaus von Saint-Tropez ein, bedacht darauf, nicht allzu politisch zu werden.
Schon wenige prominente Fälle reichen, um das Bemühen um ein besseres Image zu konterkarieren. Das zeigt der Einbruch bei den Geissens. „Saint-Tropez ist auf jeden Fall, leider Gottes, nicht sicher“, erklärte Robert Geiss kurz nach der Tat auf seinem reichweitenstarken Instagram-Kanal. Auch der österreichische Geschäftsmann René Siegl machte vor wenigen Tagen publik, in seinem Anwesen in Saint-Tropez bestohlen worden zu sein, beklagte den Diebstahl „zutiefst persönlicher, unersetzbarer Werte“ und stellte für Hinweise zur Identifizierung der Täter eine Belohnung von 100.000 Euro in Aussicht.
„75 Prozent sind selbst verschuldet“
Die Dimension der Einbruchskriminalität plastisch vor Augen führte vor zwei Jahren der Fall zweier Albaner, bei denen Diebesgut im Wert von mehr als einer halben Million Euro gefunden wurde. Nach diversen Einbrüchen auf der Halbinsel horteten sie neben Bargeld 250 Luxusgegenstände aller Art. Geschnappt werden konnten sie nur, weil ein Opfer ein Ortungsgerät in seiner Handtasche hatte. Inzwischen ist das Duo zu drei Jahren Haft verurteilt worden.
Selbst an Schauergeschichten über Gasbetäubungen mittels Klimaanlage mangelt es in Saint-Tropez nicht. Unter anderen dem ehemaligen Formel-1-Fahrer Jenson Button und seiner Frau sei dies widerfahren, hatte es vor ein paar Jahren geheißen. Betäubt sei das Paar dann in Ramatuelle ausgeraubt worden. Medial war die Aufregung riesig. Weniger Notiz wurde von der Meldung drei Wochen später genommen, dass es keine Beweise für eine Gasbetäubung gab. Auch Pensionär Baum will von zwei Menschen wissen, dass sie mit Gas betäubt wurden. Für ihn steht fest: „Saint-Tropez ist eines der gefährlichsten Pflaster überhaupt.“
Viele Menschen, die dauerhaft in der Region leben, beurteilen die Kriminalitätsprobleme differenzierter. Unter Sylvie Siri, seit knapp fünf Jahren Bürgermeisterin von Saint-Tropez, habe es Verbesserungen gegeben. Das könne man nicht von jedem Touristen behaupten. „75 Prozent sind selbst verschuldet“, sagt Robert van Straaten über die Einbrüche und Diebstähle. Er meint: wegen Unachtsamkeit und mangelnder Vorsorge. Den Behörden stellt er ein gutes Zeugnis aus, wenn es um die Aufarbeitung vieler Fälle nach Ende der Sommersaison geht.
Weniger statt immer mehr Einbrüche
Van Straaten, ein gebürtiger Holländer, ist seit einem knappen Vierteljahrhundert Direktor des Hotels Villa Belrose und hat schon viel gesehen. Prominente gehen bei ihm ein und aus. Er könne nur raten, sich gut zu überlegen, ob man teure Uhren oder andere Luxusobjekte zur Schau stellen möchte. Wo Geld ist, gebe es nun mal auch Kriminelle. Umsicht und Sicherheit seien gefragt. „Für Südamerikaner ist das völlig normal“, sagt van Straaten. Bei Baums Initiative am Hügel macht er mit. Daneben hat er für die Privatvillen seines Hotels, deren Wochenpreis schon mal 70.000 Euro betragen kann, naturgemäß einen speziellen Sicherheitsdienst.

Ahmed Manaa, dessen Unternehmen Partners Security Company an der Côte d’Azur Personen und Objekte schützt und überwacht, kann vieles davon nur unterstreichen. Er stößt immer wieder auf die verschiedenen Perspektiven von Kunden, je nachdem, ob sie aus eher sicheren oder unsicheren Ländern kommen. „Man bringt an seinen Urlaubsort eine Einstellung mit, die von zu Hause geprägt ist“, sagt er. Gerade für Menschen aus einem sicheren Land wie Deutschland erscheine der Gedanke an private Wachleute oder andere Sicherheitsvorkehrungen ungewohnt.
In den vergangenen Jahren will Manaa eine Sensibilisierung festgestellt haben. Statt immer mehr gibt es nach seiner Wahrnehmung weniger Einbrüche. Privat wie auch von der öffentlichen Hand werde mehr unternommen. Und man müsse sich klarmachen: In einem freien Land wie Frankreich kommen Einbrüche und Überfälle ans Licht, erst recht durch soziale Medien. Alles werde in Echtzeit dokumentiert. Das verzerre die Wahrnehmung im Vergleich zu früher, aber auch im Vergleich zu autokratischen Staaten, die nur scheinbar sicherer sind. „Wenn in einem dieser Länder jemand vom Balkon geworfen wird, schreibt da niemand drüber“, sagt Manaa.
Knapp 21.000 Euro je Quadratmeter
Reihenweise spezialisierte Sicherheitsunternehmen gibt es in der Region. An Nachfrage mangelt es nicht. Es ist ein Katz- und Mausspiel, bei dem die technische Entwicklung eher zuungunsten der Kriminellen verläuft. Architekten berichten von sechsstelligen Summen zum Schutz großer Anwesen. „Alles im Leben hat seinen Preis“, sagt Alexis Lavagna, der in Gassin das Sicherheitsunternehmen GLS mit 14 Mitarbeitern in zweiter Generation führt. Es wirbt mit eigener Software und führt modernste Systeme zum Einbruchschutz, zur Zugangskontrolle und zur Überwachung mit Bi-Spektrum-Wärmebildkameras im Sortiment.
Man sollte meinen, dass der betuchten Klientel auf der Halbinsel nicht das nötige Kleingeld fehlt, um ihre stattlichen Anwesen mit solchen Gerätschaften in Hochsicherheitsanlagen zu verwandeln. Selbst fünfstellige Summen in den Schutz erscheinen angesichts der Immobilienpreise verkraftbar. So muss aktuell durchschnittlich rund 17.500 Euro je Quadratmeter auf den Tisch legen, wer in Ramatuelle ein Haus kaufen will. In Saint-Tropez sind es knapp 21.000 Euro.
Doch man staune nicht schlecht, dass trotz der Berichte über Einbrüche selbst viele Luxuspaläste schlecht geschützt seien, berichten Fachleute. Es komme gar nicht so selten vor, dass Leute Rolls-Royce fahren, aber über keine Alarmanlage verfügen. Herrscht dann losgelöste Urlaubsstimmung, ist Alkohol im Spiel, und ist wie bei den Geissens die Terrassentür offen, haben Kriminelle leichtes Spiel.