
Der EFL Cup ist selbst im fußballverrückten England ein eher nachrangiger Bewerb. Nach seinem aktuellen Hauptsponsor ist er besser als Carabao Cup bekannt – die Firma gleichen Namens kommt aus Thailand und verkauft einen Energy Drink, da gibt es also Parallelen zu einem Hassobjekt vieler Fußballfans, zu Red Bull. Im EFL Cup muss ein weltberühmtes Team wie der FC Arsenal an einem trüben Novemberabend nach Preston in Lancashire, tritt dort mit einer halben Nachwuchsmannschaft an und hofft, sich mit gedrosseltem Aufwand nicht zu blamieren. Im Vorjahr hätte man dieses Spiel, das nun wirklich eher etwas für Komplettisten ist, auch in Deutschland sehen können. Doch in diesem Jahr hatte der Sport-Streamer DAZN den EFL Cup nicht mehr im Angebot. „Die Rechte sind ausgelaufen, und bislang konnte keine erneute Einigung erzielt werden“, heißt es aus der Unternehmenskommunikation lakonisch.
In der Welt des Fernsehsports Fußball, in der inzwischen beinahe täglich irgendwo gespielt wird, ist diese Veränderung nur als ein leichtes Zittern wahrnehmbar. Es ist allerdings ein Zittern, das auf mögliche tektonische Bewegungen verweist. Denn DAZN, ein globales Unternehmen, hat auch für die Übertragungsrechte der Ersten Bundesliga in Deutschland ab 2025 geboten. Den Zuschlag bekam allerdings Sky, das eine geringere Summe versprach, der DFL aber als finanziell verlässlicher erschien. Nach einem Gang von DAZN vor ein Schiedsgericht herrscht gerade Funkstille. Eine Funkstille, in die sich zunehmend Anspannung mischt. Denn die Zeit wird allmählich knapp, und wie immer die Entscheidung der DFL schließlich ausfällt, sie wird bedeutende Auswirkung auf den Fußball im Fernsehen haben. Mit guten Gründen könnte man sogar sagen: In diesem Herbst steht in Deutschland das gesamte System des weltweit populärsten TV-Sports auf der Kippe, wie es sich seit ungefähr 25 Jahren herausgebildet hat. Ein System, das den Fußball auf ganz neue Weisen zu einem Breitensport gemacht hat. Ein System aber auch, das an den gemeinschaftlichen Fundamenten des Sports nagt und gegen das sich zunehmend ein Widerstand spürbar macht, der auch fundamentalistische Züge annimmt.
Sky oder DAZN – wer kriegt den Zuschlag?
Die DFL (Deutsche Fußball-Liga GmbH) ist eine Tochter des Deutschen Fußballbunds (DFB), in dem der gesamte Vereinsfußball in Deutschland, vom Nationalteam bis zum Dorfverein, organisiert ist. Für den kommerziellen Profifußball, also die Erste und die Zweite Bundesliga, wickelt die DFL die Geschäfte ab. Und das Wichtigste dieser Geschäfte ist seit Langem die alle paar Jahre neu zu veranstaltende Neuaufteilung der Übertragungsrechte. Dafür werden zuerst einmal die Saison und der Spieltag in „Pakete“ zerstückelt. Früher wurde am Samstagnachmittag gespielt, inzwischen ist von Freitag am frühen Abend bis Sonntag Schlafenszeit beinahe durchgehend Betrieb. Insgesamt fünf dieser Pakete gehen ausschließlich an das Bezahlfernsehen. Und da hat die DFL dieses Jahr noch einmal an den Proportionen gefeilt, sodass es nun vor allem ein Paket gibt, das die beiden relevanten Bieter Sky Deutschland und DAZN unbedingt brauchen: Das neu justierte Paket B mit insgesamt 196 Livespielen von Runde 1 bis zur Entscheidung über die deutsche Meisterschaft in Runde 34.
Für dieses Paket B hat DAZN deutlich höher geboten als Sky. Die DFL hat jedoch nicht, wie es die Logik einer Auktion geböte, den Zuschlag gegeben, sondern darauf verwiesen, dass DAZN seinen bisherigen Zahlungsverpflichtungen nicht immer pünktlich nachgekommen ist. Die DFL hielt das Angebot von DAZN also für nicht ausreichend seriös. Dazu kommt, dass der langjährige Partner Sky ohne das Paket B in gröbere Schwierigkeiten geraten könnte. Denn es geht nun deutlich um den Markenkern, wer in Deutschland den Livefußball für sich reklamieren kann. Die DFL sucht also offensichtlich auch nach einer Balance zwischen zwei Geschäftspartnern.
Wettkampf der Monopole
Man muss einigermaßen weit in die Geschichte zurückblicken, um die Implikationen des Konflikts zu ermessen. Vor der Etablierung eines Bezahlfernsehens in Deutschland hatten die meisten Fußballfans nur einen sehr ungefähren Begriff von der Mannschaft, an die sie ihr Herz hängten. Sie sahen sie vielleicht alle zwei Wochen bei Heimspielen im eigenen Stadion, der Rest waren Ausschnitte in der Sportschau am Samstagabend. Eine „Konferenz“ mit einer Schaltung zwischen den parallel laufenden Spielen gab es nur im Radio, in einem inzwischen legendären Format. Und am Montag hatte das Leibblatt einen großen Sportteil. Es war also eine radikale Veränderung, als Premiere 2000 begann, sämtliche Spiele der Bundesliga zu übertragen. Relativ rasch hatte das in München residierende Unternehmen de facto ein Monopol auf Bezahlfußball. Ungeachtet aller betriebswirtschaftlichen Turbulenzen, die schließlich zu dem Einstieg der Investorengruppe Permira und 2005 zu einem Börsengang führten, war der Markenkern Fußball entscheidend. Er war aber nicht ausreichend, um auskömmliche Abonnentenzahlen zu erzielen.

In politischer Sicht treffen bei den Fußballrechten verschiedene Interessenslagen aufeinander. Die DFL organisiert den Spielbetrieb in Deutschland und steht dabei in Konkurrenz zu Ligen in England, Italien oder Spanien, wo teilweise deutlich höhere Fernseheinnahmen erzielt werden, was sich wiederum in sportlichen Erfolgen niederschlägt. Geld schießt selbst keine Tore, die Dominanz der Premier League hat aber natürlich damit zu tun, dass der englische Fußball das weltweit populärste Produkt ist. Die Sender, zu denen neuerdings auch Streamer wie Amazon oder eben DAZN gehören, suchen nach Programmmischungen, die größtmöglichen Profit versprechen. Wettbewerbsrechtlich sind die Ligen als nationale Monopole organisiert, die in einer Zentralverwaltung jeweils für den ganzen Betrieb die Regeln vorgeben und auch die Einnahmen verteilen. Dagegen gibt es immer wieder Versuche von Kartellämtern, aber auch einfach von Spitzenclubs wie Real Madrid, dieses Ausgleichsmodell zu zerbrechen oder zu umgehen, was aber nur zu anderen Monopolen führen würde.
Die heutige Fußballkultur würde es so nicht geben ohne die umfassende Ausweitung von Übertragungen von Spielen im Fernsehen. In Deutschland gab es einmal ein „paradiesisches“ Jahr, in dem Erste und Zweite Bundesliga, Champions League und englische sowie spanischen Liga allesamt unter einem Dach bei Sky im Angebot waren. Nur in dieser breiten Perspektive kann man den Fußball in seiner systemischen Faszination begreifen – als ein riesiges Mosaik, in dem taktische Innovationen reproduziert werden, Spieler von einer Liga in die andere wandern und Auf- oder Abstiege zu epischen Dramen beitragen, an denen ganze Regionen hängen. Der Gelsenkirchener Krisenclub Schalke 04 wäre ein Beispiel, ebenso aber der Kleinstadtverein Heidenheim, der es durch jahrelange gute Arbeit bis in die erst kürzlich neu erfundene Europa Conference League geschafft hat und diese Woche beim schottischen Club Heart of Midlothian antrat. Zu sehen war das Spiel auf RTL+, der Rest der Nation dürfte eher nicht mit Höchstspannung eingeschaltet haben.
Fans werden zu Scouts
Ein Überdruss an dem Fernsehprodukt Fußball ist aber weiterhin nicht wirklich zu bemerken. Fast alle Vereine sind heute von einer dichten Medienszene umgeben, die weitgehend informell ist. Zahlreiche Podcasts, Taktikblogs, Spielerbewertungsseiten gäbe es in diesem Maß nicht ohne die tägliche Empirie aus dem Kabel oder vom Satelliten. Früher waren alle Fans auf ihre Weise Trainer, sie wussten am besten, was gut ist für ihr Team. Das gilt bis heute, aber inzwischen sind viele Fans auch Scouts, die (in Entsprechung zu den dafür abgestellten Experten) die Ligen selbst durchforsten nach Hoffnungsträgern für die nächste Defensivkrise bei ihrem Verein. Ein EFL-Cup-Spiel wie Preston North End gegen Arsenal ist vor allem unter diesen Aspekten interessant – man sieht dort ein paar Stars der Zukunft und holt sich einen Informationsvorsprung.
Die Ausschreibung der Ligarechte in Deutschland hat in diesem Jahr die Besonderheit, dass sie mit einem Irrweg der letzten Dekade aufräumt. Damals legte das Kartellamt darauf Wert, dass kein einzelner Anbieter allein die Rechte bekommen durfte. Aber auch die DFL konnte darauf hoffen, bei stärkerer Konkurrenz die Einnahmen so zu erhöhen, dass der Rückstand auf die Premier League nicht unaufholbar würde – was er de facto allerdings schon ist. Das Kartellamt, eigentlich dem Interesse der Konsumenten verpflichtet, hat dafür gesorgt, dass der Fußball nun auf zwei, drei oder sogar vier Abos verteilt ist. DAZN hat nun Sky für das entscheidende Rechtepaket in einem Maß überboten, das Argwohn angebracht erscheinen lässt, ob der Preis auch betriebswirtschaftlich reell ist. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Player mit großer Ansage den Markt aufzumischen versucht und dann vor aller Augen kollabiert – so lief es mit Arena in den Nullerjahren.
DAZN tritt mit dem Anspruch auf, das Netflix des Sports zu werden. Derzeit sind mit der Champions League, der spanischen La Liga und der Serie A aus Italien attraktive Fußballinhalte im Programm, dazu kommt jede Menge amerikanischer Sport. Mit dem Poker um das Paket 2 der Bundesliga versucht DAZN offensichtlich, in eine erpresserische Position gegenüber der Kundschaft in Deutschland zu kommen. Innerhalb weniger Jahre hat sich der Monatspreis, der anfänglich auch an Netflix angelehnt war, auf einiges über 30 oder sogar 40 Euro (wenn man sich nicht für ein Jahr binden will) erhöht. Die avisierten höheren Einnahmen für die DFL müssten letztlich von den Fans kommen, auf die wohl DAZN seinen Aufwand umlegen würde. Der Poker findet vor dem Hintergrund zunehmender Ressentiments in den organisierten Fanszenen gegen Investoren allgemein statt. Im Hintergrund läuft bei der anstehenden DFL-Entscheidung demnach auch eine politische Großorientierung mit: stärkere Globalisierung oder provinzielle Selbstgenügsamkeit?
Vermutlich noch vor Weihnachten wird für die Auktion ein neuer Anlauf erfolgen und ein definitives Ergebnis feststehen müssen. Die befassten Experten, Banken, Gremien werden dabei auch auf Kleinigkeiten achten wie die, ob DAZN sich die „peanuts“, die für den EFL Cup aus England fällig gewesen wären, nicht mehr leisten konnte oder wollte. Der Fußball zeigt sich dabei als Labor des Plattformkapitalismus. Und es ist alles andere als ausgemacht, was in diesem Fall „good governance“ ist.