Ehepaar nach Mord zu lebenslanger Haft verurteilt

Nachdem der 39 Jahre alte Atiqullah S. mit einem Beil dreizehnmal auf den Kopf eines jungen Mannes eingeschlagen hatte, ging er unter die Dusche. Wie immer, wenn er nach Hause kam. So schilderte es seine Ehefrau Aiziza Y. vor Gericht. Die ganze Familie, die fünf Kinder, sie alle seien sehr müde gewesen von dem nächtlichen Ausflug. Irgendwann hätten sich alle schlafen gelegt.

Etwa sieben Kilometer entfernt lag der 18 Jahre alte M. tot auf dem Forstweg am Waldrand bei Faulbach im Landkreis Miltenberg. Dort hatte ihn das Ehepaar liegen lassen. Am Morgen des 10. August 2024 entdeckten Passanten den brutal zugerichteten Leichnam. Das Opfer lag mitten auf dem Weg, komplett in Weiß gekleidet. Als Todesursache wurde ein offenes Schädel-Hirn-Trauma festgestellt. Gewehrt habe sich M. kaum. Er sei ohnehin körperlich sehr geschwächt gewesen, sagte die als Zeugin geladene Kommissarin vor Gericht. Bei einer Körpergröße von 162 Zentimetern wog er nur 39 Kilogramm.

Wenige Meter entfernt, auf einer abschüssigen Wiese, fand man die Tatwaffe, mitsamt Kaufetikett und DNA-Spuren von Atiqullah S. An einem Baum mit einer Bank daneben, an einer dunklen Stelle, hatte Atiqullah S. auf das Opfer eingeschlagen – im Beisein seiner Ehefrau und der gemeinsamen fünf Kinder, das jüngste von ihnen gerade erst zwölf Monate alt. Nach der Tat marschierte die gesamte Familie zu ihrer Flüchtlingsunterkunft nach Altenbuch. „Warum haben Sie um Himmels willen Ihre Kinder da mit hineingezogen?“, hatte der Richter gefragt. Darauf antwortete keiner der Angeklagten. Vielleicht weil es keine sonstigen Betreuungsmöglichkeiten gab oder weil eine Familie mit kleinen Kindern weniger Verdacht erregt, so vermuten es Zeugen.

„Hier sitzt jemand, der verbittert ist“

Zum Prozessauftakt legte Atiqullah S. ein umfassendes Geständnis ab. Er gab zu, sich an das Opfer von hinten angeschlichen und zugeschlagen zu haben. Zu Beginn ging der psychiatrische Sachverständige noch davon aus, dass der Familien­vater die Tat im Wahn beging, da er unter paranoider Schizophrenie gelitten haben soll. Atiqullah S. galt damit als schuldunfähig und wurde in einer Psychiatrie untergebracht. Die Einschätzung konnte der Sachverständige aber nur auf der Grundlage von Akten sowie einer vor der Tat gestellten Diagnose treffen. Im Verlauf des Prozesses wuchsen die Zweifel an der Schuldunfähigkeit von Atiqullah S.

Eine abermalige Einschätzung des psychiatrischen Zustandes ergab, dass er während des Prozesses keine Anzeichen von wahnhaftem Verhalten zeigte. Auch die Unterlagen aus der forensischen Psychiatrie des Bezirkskrankenhauses Lohr, in der Atiqullah S. untersucht wurde, kamen zu diesem Ergebnis. „Hier sitzt jemand, der verbittert ist, aggressiv, er ist in seinem Verhalten auch nicht unauffällig. Doch Hinweise auf psychotisches Verhalten gibt es nicht“, sagte der Gutachter vor Gericht.

Nunmehr gab es zwei Angeklagte, die sich wegen gemeinschaftlichen Mordes vor dem Landgericht Aschaffenburg verantworten mussten: Atiqullah S. und seine Ehefrau Aziza Y. Die Zweiunddreißigjährige gestand die Tat nicht. Immer wieder behauptete sie, sie sei nie in die Pläne ihres Mannes involviert gewesen, und M. habe sie nicht gekannt. Die Begegnung mit dem Geschädigten sei rein zufällig gewesen. Doch Aziza Y. konnte nicht die Bilder der Überwachungskameras erklären, auf denen sie am Abend zuvor mit ihren Kindern und dem späteren Opfer in der Bahnhofshalle Aschaffenburg zu erkennen war. Sie und das spätere Opfer wirkten vertraut. So zumindest hatte es ein als Zeuge geladener Polizeibeamte beschrieben.

Aziza Y. zog auch die Aussagen ihres ältesten Sohnes vor Gericht in Zweifel. Der 13 Jahre alte B. gestand dem Ermittlungsrichter zuvor, die Eltern bei der Planung der Tat im Nebenzimmer belauscht zu haben. Und im Gegensatz zu seiner Mutter gab der Sohn vor dem Ermittlungsrichter auch zu, das spätere Opfer gekannt zu haben. Demnach begann alles im Sommer 2023. Der damals noch zwölf Jahre alte B. und das spätere Opfer hatten sich bei einem Online-Spiel kennengelernt. Irgendwann soll der Geschädigte zu dem Sohn einen Satz gesagt haben, der ihm später zum Verhängnis wurde: „Ich ficke dich in den Arsch.“ Da die Lautsprecherfunktion des Handys eingeschaltet war, bekamen die Eltern das mit und fassten den Entschluss, den Achtzehnjährigen zu töten. Über Monate hinweg plante der Vater die Tat unter Einbeziehung seiner Frau.

Lichtzeichen mit dem E-Scooter

Aziza Y. erschlich sich das Vertrauen des späteren Opfers, behauptete, ihr Ehemann befinde sich in Afghanistan, und lockte den Geschädigten, der in einem Flüchtlingsheim im niedersächsischen Bad Münder am Deister lebte, nach Aschaffenburg. Aziza Y. war dort mit vier ihrer Kinder wegen ihres Sohnes in einer Klinik, der dort wegen einer Verletzung am Oberarm behandelt werden musste. M. unterstützte Aziza Y., kaufte den Kindern Süßigkeiten, lachte mit ihnen, half Aziza Y. mit dem Kinderwagen. Am Abend traten sie alle gemeinsam die Reise in Richtung Faulbach an. M. bemerkte nicht, dass Aziza Y.’s Ehemann und der älteste Sohn B. ihnen heimlich gefolgt waren. Als sie nachts an dem von den Eltern verabredeten Tatort ankamen, zog sich Aziza Y. ins Gebüsch zurück. Der älteste Sohn gab dem Vater mit einem E-Scooter ein Lichtzeichen, und Atiqullah S. schlich sich von hinten an den Achtzehnjährigen heran, um ihn zu erschlagen. Er tat dies mit „wahnsinniger Brutalität“, so es der Staatsanwalt in seinem Plädoyer, „so dass von dem Schädel und dem Gesicht des Opfers nicht mehr viel übrig blieb“.

M. habe „wenig Zeit auf der Sonnenseite des Lebens verbringen“ dürfen, sagte der Staatsanwalt. Im Jahr 2022 sei M. aus Afghanistan nach Deutschland geflohen, nachdem er einen Anschlag auf seine Schule überlebt hatte. Auch Mutter und Geschwister seien getötet worden. „Der Geschädigte hatte keine Angehörigen, er war letztendlich allein“, so der Staatsanwalt. Während er sein Plädoyer vortrug, sprang Atiqullah S. im Gerichtssaal plötzlich auf, hielt ein ausgedrucktes Bild von seiner Familie hoch und rief, man solle doch an seine Kinder denken.

Am Tag nach der Tat fuhr die gesamte Familie nach Frankfurt. Aziza Y. zerstörte laut Aussagen ihres Sohnes dort die Mobiltelefone des Opfers sowie das Handy, mit dem Kontakt zu M. aufgenommen wurde. Wie ein Mosaik habe sich die Tat aufklären können, so sagt es der Oberstaatsanwalt im Plädoyer. Auch das Motiv sei nun weitgehend klar.

„Wegen eines dreckigen Menschen wurde mein ganzes Leben ruiniert“

Am vorletzten Prozesstag wurden im Gerichtssaal Tonaufnahmen aus einer verdeckten Abhörzelle vorgespielt, in der sich das Ehepaar nach der Inhaftierung befand. Der Familienvater sagte zu seiner Frau: „Wegen eines dreckigen Menschen wurde mein ganzes Leben ruiniert.“ Und: „Egal, welcher Richter da sitzt, egal wie stur oder hartnäckig er ist, er wird es verstehen. Wer soll denn anders handeln, wenn sein Sohn so bedroht wird?“ Als Familienoberhaupt habe er doch nur seine Arbeit getan, Gott stehe an seiner Seite und an der seiner Familie. „Oben ist Gott, darunter kommt der Richter“, sagt er zu Aziza Y.

In seinem Plädoyer brachte der Verteidiger immer wieder das Wort Hörigkeit ins Spiel. Aziza Y. sei ihrem Mann klar untergeordnet gewesen. So habe Atiqullah S. in der Abhörzelle immer wieder seine Frau aufgefordert, sie solle sagen, sie habe mit alledem nichts zu tun. Sie sei naiv, und nur er wisse, was zu tun sei. „Wir haben auch gehört, dass Aziza Y. nie allein das Haus verlassen hat. Es war ihr untersagt, einen Deutschkurs zu besuchen, Eifersucht hat eine Rolle gespielt, andere Männer sollten sie nicht anschauen“, sagte der Verteidiger vor Gericht.

Nichts anderes als eine Hinrichtung

Er plädierte für eine Abgrenzung von Mittäterschaft und Teilnahme. Außerdem könne nicht abschließend festgestellt werden, dass es wirklich Aziza Y. war, die sich das Vertrauen zum Opfer erschlich. „Ob es eine Beteiligung war, die in eine Täterschaft überführt werden könnte, daran habe ich erhebliche Zweifel.“

Das Gericht kommt am Freitag zu einem anderen Schluss: Ohne die Mithilfe von Aziza Y. hätte Atiqullah S. nie die Tat durchführen können. Sie habe den Geschädigten nachts an den abgelegenen Ort gelockt. Aziza Y. sei heimtückische Mit­täterin, daran bestünden keine Zweifel. Das Ehepaar wird wegen gemeinschaftlichen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Tat sei nichts anderes als eine Hinrichtung, die mit besonderer Brutalität durchgeführt worden sei, sagt er Richter. Mindestens genauso widerwärtig wie die Tat an sich sei, dass beide Angeklagten den ältesten Sohn zum Mittäter gemacht hätten und auch nicht davor zurückschreckten, den grausamen Mord vor den Augen ihrer Kinder auszuführen.

„Es hat sich nicht um einen sexuellen Übergriff gehandelt“

Im Fall von Atiqullah S. seien zudem zwei Mordmerkmale erfüllt. Er habe die Tat heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen begangen. Für ihn gilt die besondere Schwere der Schuld. Damit kann die Strafe voraussichtlich nicht bereits nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Kammer folgte mit dem Urteil den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht.

„Hinzu kommt noch ein ganz entscheidender Punkt“, so der Richter. „Es hat sich nie um einen tatsächlichen sexuellen Übergriff gehandelt, sondern lediglich um eine telefonische Belästigung, die auch als Umgangssprache unter Jugendlichen verstanden werden könnte.“ Atiqullah S. habe sich als legitimer Vollstrecker eines von ihm selbst gefällten Urteils gesehen. „Es handelte sich um eine besonders verachtenswerte Form von Selbstjustiz.“

Nachdem das Urteil verkündet ist, sitzt Aziza Y. auf der Anklagebank und weint. Sie ist sichtlich verzweifelt und wischt sich mit ihrem Kopftuch die Tränen aus dem Gesicht. Der Ehemann ruft noch etwas in ihre Richtung, ehe er abgeführt wird. Einen Anflug von Reue zeigt er nicht.