
Als ich ihn das erste Mal sehe, irgendwo im Mittelland an einem Dorffest, steht da ein junger Mann allein auf der Bühne. Seine wuchtige Stimme schallt über das Festgelände, doch das Publikum kümmert’s kaum. Jetzt, nur ein Jahr später, lese ich, dass Edb an den wichtigsten Festivals der Deutschschweiz auftritt. In St. Gallen, auf dem Gurten, am Zürich Open Air. Wie hat er das geschafft? Und wer ist Edb überhaupt, dieser Typ mit den drei Buchstaben?
Es ist Februar in einem Café in der Berner Altstadt, als ich Edb treffe. Er stellt sich als Eddie vor, trinkt einen Kaffee, schwarz. Aus der Ledertasche, die er um sein Hemd trägt, holt er Tabak und dreht sich eine Zigarette. Die lockigen, braunen Haare fallen ihm ins runde Gesicht. Er wirkt ruhig, obwohl von der Straße Trompeten schmettern, Trommeln wirbeln, es ist gerade Fasnacht in Bern: „Ich bin froh, dass ich kein Guggenmusik-Album gemacht habe“, sagt er lachend. Dann erzählt er, wie er in der Primarschule angefangen habe, Cello zu spielen, dass ihn das Nachspielen fremder Noten aber gelangweilt habe. Also lernte er Gitarre. Mit 14 entdeckte er Mundart-Rap, kaufte sich mit dem ersten Praktikumslohn Musikequipment, nahm Songs auf und fing an, Rap mit Indierock zu kombinieren: „Das hat mir den Mix gegeben, den ich heute noch mache.“
Edb singt in Berner Mundart. Die Texte sind ehrlich, frech und melancholisch. Oft geht es um die Liebe, mal jener zu sich selbst, mal jener zu anderen: Bou es Huus us Luft u Liebi / Boue Stei für Stei / Oh weni gheie, i blieb mis Deheime (Bau ein Haus aus Luft und Liebe / Baue Stein für Stein / Und wenn ich falle, bleib mein Daheim), heißt es etwa in Deheime. Dann wiederum, zum Beispiel in Butterkuchen, singt er über seine Träume, und die sind groß: So viu Scheiss da duss, wär lost hüt den no Radio? Wirf mis Härz ufe Tisch und füll drmit baud es Stadion (So viel Scheiß da draußen, wer hört denn noch Radio? Ich werfe mein Herz auf den Tisch und fülle damit bald ein Stadion). Die Texte kann man gut mitsingen, zu den von Gitarre und Synthesizer getragenen Songs tanzen. Doch der Sound ist nicht auf Hochglanz poliert, er klingt rau, unperfekt, eigen.
Vor zwei Jahren veröffentlichte der heute 22-Jährige seinen ersten Song Crazy in Love und lud ihn bei TikTok hoch. Dann ging alles schnell. Oder, wie Edb sagt: „Es wurde wirr und recht geil.“ Innerhalb weniger Tage gewann er Hunderte Follower auf Instagram und TikTok und erhielt erste Anfragen für Konzerte. „Ich wollte durchstarten, aber dann passierte nichts“, sagt er und bläst den Rauch seiner Zigarette zwischen den Lippen aus. Er habe damals mitten in der Ausbildung zum Pflegefachmann gestanden. Das bedeutete: lange Arbeitstage, Schule, Prüfungen – und wenig Zeit für die Musik. „Es ging meinem Kopf nicht gut, ich war jung, lebte allein und musste alles auf die Reihe bringen.“
Im Frühling 2023 besuchte Edb in Berlin ein Songwriting-Camp und fasst den Entschluss, seine Ausbildung abzubrechen. Zwei Wochen später meldete sich Sony Music mit einem Angebot. Er unterschrieb den Vertrag mit der Plattenfirma, flog erneut nach Deutschland, schrieb mit dem Produzenten Fayzen 15 Songs in sechs Tagen, kam zurück in die Schweiz und veröffentlichte im April 2024 sein erstes Album: City Boy.
Ich rufe bei Sony Music in Zürich an: Was macht Edb aus? „Seine Mischung von Pop-Songs und Urban-Attitude lässt ihn in der Schweizer Musikszene herausstechen“, sagt der Promotion-Manager. Auch sein Charisma und sein Humor an den Shows und auf Social Media seien einzigartig. Seine beiden Manager sagen: „Er ist laut, aber nicht lauter, als er liefert.“ Er funktioniere auf der Bühne, er habe Bühnenpräsenz, Haltung, Eigensinn. Und er meint die Sache mit der Musik ernst. Wenn Edb von sich als Musiker spricht, dann spricht er von seinem „Projekt“. Doch wenn es um Eddie, den Menschen, geht, wird er wortkarg. Wie er heißt, wo er aufgewachsen ist, wie seine Kindheit war, habe mit seiner Kunst nicht viel zu tun. „Es spielt keine Rolle, ob ich David, Benjamin oder Eddie heiße.“ Auch auf die Frage, was die drei Buchstaben Edb bedeuten, gibt er keine ernsthafte Antwort. Mal stehen sie für „Ein Dübelloch bohren“, mal für „Ein Döner, bitte“. Nur in seinen Songs hinterlässt er ein paar Hinweiskrümel, dass nicht immer alles einfach war in seinem Leben: Det woni her chum isches chalt (Da wo ich herkomme, ist es kalt), oder: Mama i weiss di mind isch ned da / Redsch die glich Sprach, oder wieso chasch mi glich nid verstah? (Mutter, ich weiß, dein Kopf ist nicht da / Sprichst die gleiche Sprache, oder warum kannst du mich trotzdem nicht verstehen?)
Einige Wochen später treffe ich Edb noch einmal. Er ist in Luzern im Backstage-Raum des Kulturlokals Neubad. Am Abend wird er hier ein ausverkauftes Konzert spielen. Ist er nervös? „Ich hatte nie Lampenfieber“, sagt er und lehnt sich zurück. Ausverkauft, das bedeutet im Neubad knapp 200 Zuschauer. Am Openair St. Gallen werden es dieses Wochenende 15.000 sein. Und nächstes Jahr tourt er durch die Schweiz und Deutschland. Traut er sich das zu? „Ob ich ein kleines oder großes Konzert spiele, am Schluss kommt es auf dasselbe heraus.“ Er habe die Bühne im Griff. Nervös werde er nur, wenn er auf der Straße erkannt und angesprochen werde. Da sei ihm unwohl. Aber er wisse: „Dank diesen Leuten verdiene ich jetzt mein Geld mit meiner Musik.“