DSV-Adler Philipp Raimund in der AZ: „Für mich ist die Tournee nicht das größte Ding der Welt“

AZ: Herr Raimund, nach Ihren Flügen und auch abseits der Schanzen, strahlen Sie derzeit stets gute Laune und große Zufriedenheit aus. Sie scheinen gerade sehr mit sich im Reinen zu sein. Ist das so?
PHILIPP RAIMUND: Definitiv ist das so. Das hängt natürlich auch mit meinen zurzeit sehr guten Leistungen zusammen. Mir ist damit eine große Last von den Schultern gefallen. Denn ich habe ja die Sommer Grand Prix-Serie gewonnen, diese Form wollte ich unbedingt mit in den Winter nehmen. Dass mir gleich beim ersten Weltcup-Wochenende in Lillehammer mit Platz sechs und Rang vier ein Top-Einstand gelungen ist, hat mich bestätigt und hat mir sehr gut getan. Ich war genau in dem System, das ich mir erarbeitet hatte, und das im Sommer schon bestens funktionierte. Und so ist es dann weiter gegangen. Inzwischen stand ich bei elf Wettkämpfen viermal auf dem Podest. Das habe ich mir hart erarbeitet. Und gerade trägt meine Arbeit Früchte.

Sie haben einen langen Anlauf benötigt, um nun, mit 25 Jahren, zum Kreis der weltbesten Skispringer zu gehören. Haben Sie etwas Spezielles gefunden, dass Ihre Leistungen im Vergleich zu den Jahren zuvor so deutlich verbessert hat?
Ich würde sagen, es haben bei mir einfach mehrere Zahnräder ineinandergegriffen – und jetzt rollt das System. Es ist normal, dass du im Laufe deiner sportlichen Entwicklung mal eine Stufe rauf- und auch wieder zwei, drei Stufen runtergehen musst. Gerade im Skispringen haben minimale Einflüsse maximale Auswirkungen. Bei mir ist es in dieser Saison auf jeden Fall eine gewisse Lockerheit, die mir hilft, meine Aufgaben zu bewältigen. Die wiederum kommt durch die guten Sprünge und dem daraus resultierenden Selbstvertrauen zustande. Hinzu kommen die engeren Anzüge, da liegt der Fokus mehr auf der Sprungkraft, und die ist mir gegeben. Und zudem auf der Sauberkeit der Sprünge. Das kommt mir zusätzlich noch entgegen. Ich habe gespürt, dass ich sauberer arbeiten muss, und darauf habe ich schon im Sommer den Fokus gelegt, damit ich Ruhe in meinen Sprung bekomme. Nur so konnte ich zu der Konstanz finden, die mich gerade auszeichnet.

Raimund: „Ich rede auch sehr schnell und mache viele Späße“

Sie sprachen Ihre Sprungkraft an. In den Vorjahren haben Sie die nicht immer unbedingt in Ihrem Absprung kanalisiert bekommen. Wie ist es Ihnen gelungen, dieses Fehlerbild abzustellen?
Ich habe zuvor in der Tat meine Kraft gnadenlos rausgeballert. Jetzt weiß ich, dass 80 Prozent Kraftaufwand vor dem Absprung reichen, damit ich top abhebe. Danach ist der Übergang perfekt, und ich kann mich aufs Fliegen konzentrieren.

Nur 80 Prozent Ihrer Kraft für einen Absprung aufzuwenden, klingt kompliziert. Wie bekommen Sie das hin?
Das ist tatsächlich sehr schwer. Es ist auch ein komisches Gefühl, in einen Wettkampf zu gehen, bei dem du denkst: „Voll nach vorne“, du dich aber dann zurücknehmen musst. Es ist allerdings auch eine Luxus-Situation, dass ich so viel Absprungenergie besitze, dass 80 Prozent ausreichen. Manchmal, zum Glück sehr selten inzwischen, gebe ich auch zu viel Kraft ab, dann gelingen mir meine Sprünge nicht.

Bundestrainer Stefan Horngacher erklärt Ihre neue Stärke auch damit, dass Sie etwas von Ihrer, wie er sagte „Euphorie“, eingebüßt hätten. Das habe Ihnen sehr geholfen. Sehen Sie das auch so?
Ich bin vom Typ her sehr locker. Ich rede auch sehr schnell und mache viele Späße, aber das sehen meine Teamkollegen auch als eine Stärke von mir. Ich glaube, Stefan Horngacher meinte, dass ich mich mittlerweile mehr fokussieren kann und insgesamt geduldiger an meine Wettkämpfe herangehe.

Raimund über die Vierschanzentournee: „Natürlich will ich sie auch mal gewinnen“

Überdies arbeiten Sie mit einem Mentaltrainer zusammen. Hat Sie das auch das insgesamt entspannter werden lassen?
Ich glaube schon, dass es einer der Gründe ist, die mir sehr geholfen haben, mich zu erden und Konstanz in meine Leistung zu bringen. Ich sage mir vor einem Wettkampf: „Das ist jetzt nichts Besonderes.“ Ich muss dieselben Sachen machen wie immer, ob in Engelberg, bei der Tournee oder den Olympischen Spielen. Die Arbeit mit meinem Mentaltrainer hat mich insofern gestärkt, dass mir der Druck von außen gleichgültig ist.

Dank Ihrer Leistungen in dieser Saison haben Sie sich auch in eine Mitfavoritenrolle bei der Vierschanzentournee gesprungen, die am 29. Dezember in Oberstdorf beginnt. Sehen Sie das auch so?
Ich glaube, das ist eine Rolle, die du als Athlet von den Zuschauern und den Medien erhältst. Ich betrachte die Tournee als vier Einzelwettkämpfe. Wenn ich bei allen diesen vier Wettkämpfen eine starke Leistung zeige, kann am Ende auch etwas dabei herauskommen. Für mich ist die Tournee aber nicht das größte Ding der Welt. Ich sage jetzt nicht: Wenn ich die Tournee gewinne, werde ich der nächste Papst.

Gleichwohl handelt es sich um den ersten Höhepunkt dieser Saison. .  .  
… ja klar. Die Tournee ist seit Jahren im Fokus der deutschen Öffentlichkeit. Natürlich ist die Tournee ein Aushängeschild der Sportart Skispringen. Natürlich will ich sie auch mal gewinnen. Aber ändert das die Welt? Ich glaube nicht.

Raimund liegen die Olympia-Schanzen von Predazzo

Ein weiteres Highlight sind die im Februar beginnenden Olympischen Spiele, die für die Skispringer auf den Schanzen von Predazzo stattfinden. Stefan Horngacher beschreibt Sie als jemanden, der besonders vorfreudig auf diese Spiele blickt.
Ja, das ist so, es sind ja auch meine ersten Olympischen Spiele. Darauf freue ich mich ganz enorm. Aber ich fokussiere mich zunächst auf die anstehenden Wettbewerbe, also die Tournee und die Skiflug-WM. Mein Ziel ist es, auf dem Level zu bleiben, das ich zuletzt gezeigt habe, auch bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg. Wenn ich das schaffe und weiter Top-Leistungen zeige, kann ich mit einem guten Gefühl zu Olympia reisen und mit um die Medaillen kämpfen.

Liegen Ihnen die Schanzen von Predazzo?
Das würde ich schon sagen. Predazzo war auch eine Station des Sommer Grand Prix im September. Ich wurde Dritter auf der großen Schanze und Sechster auf der kleinen. Es wird noch ein bisschen was am Radius der Schanze verändert, aber das ändert nichts daran, dass mir diese Anlagen gefallen.